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Die Grenzboten. Jg. 19, 1860, II. Semester. IV. Band.

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dert werden" konnte. Weder die Negierung noch der neuhcrgestellle Bundes¬
tag war zu einer Beseitigung desselben ohne ständische Mitwirkung berechtigt,
da es mit der Verfassung in anerkannter Wirksamkeit bestand und folglich nach
Art. 56 der wiener Schlußakte "nur aus verfassungsmäßigen Wege" wieder
abgeändert werden durfte.

Gleichwol hat die Regierung in Folge Vundesbeschlnsses vom 27. März
1852 unterm 13. April desselben Jahres Verfassungsurkunde und Wahlgesetz
"außer Wirksamkeit" gesetzt und eine provisorische Verfassung nebst Wahlord¬
nung als "Gesetz" verkündet, ohne irgend eine landständische Zustimmung
einzuholen. Es ist nicht nöthig, die Veranlassung und die Folge" dieses
eigenthümlichen Verfahrens näher zu erörtern. Alle Welt weiß, daß Hassen-
pflug außerordentliche Geldmittel und Steuerbcwilligungen verlangte, ohne die
verfassungsmäßige Vorbedingung einer Budgetvorlage erfüllt zu haben; daß
man die Ablehnung dieses unstatthaften Ansinnens "Steuerverweigerung", die
Nichtbefolgung der verfassungswidrigen Steuerausschreiben "Aufruhr" und die
Unterdrückung des nicht vorhandenen Aufruhrs durch Vernichtung des ganzen
Verfassungsrechts "Bundeshilfc" nannte. Alle Welt weiß anch, daß dies al¬
les geschehen ist, nicht weil sich mit den kurhessischen Verfassnngsgesetzen nicht
regieren ließ, sondern, weil man die preußische Union, an welcher die Stände
festhielten, vernichten wollte, weil sieh's um Herstellung des Bundestags, um
den vollsten Sieg der Reaction handelte.

Es ist auch bekannt, daß es der kurhcssischen Regierung nnter der Herr¬
schaft eines vierjährigen Kriegszustandes durch Versprechungen. Drohungen.
Ausflößungen, Aenderungen der Grundlagen des Wahlgesetzes u. s. w. end¬
lich gelang, die vom Bundestage angeordnete "Erklärung" Seitens der Hasseu-
pflug'sehen "wirklichen Stände" herbeizuführen. Indessen war dieselbe von
der Art, daß die Regierung im Sommer 1858 eine ganze Reihe von Ein¬
wendungen dagegen erhob, welche sie mit Hilfe der Bundesversammlung zur
Geltung zu bringen gedachte. Allein ehe dies Vorhaben gelang, nahm die
zweite Kammer im Oktober 1859 und' Februar 18V0 ihre Erklärung zurück
und verlangte die Herstellung der Verfassung von 1831. Gleichzeitig machte
Preußen am Bundestage die Ansicht geltend, daß diese Verfassnag nur pro¬
visorisch außer Wirksamkeit gesetzt, nicht aber definitiv aufgehoben worden sei,
und daß die Rückkehr zu derselben nicht rinr nach den vorliegenden Bundes¬
beschlüssen zulässig, sondern auch "eben so sehr durch praktische Gründe, wie
durch die Achtung vor dem Recht geboten" erscheine. Es beantragte daher
eine weitere Prüfung vom Ausschüsse in der angedeuteten Richtung, wobei
insbesondre auch die Frage in Betracht gezogen werden könne, ob "vielleicht
in den Zusätzen der Verfassung aus den Jahren 1848 und 1849 und dem


dert werden" konnte. Weder die Negierung noch der neuhcrgestellle Bundes¬
tag war zu einer Beseitigung desselben ohne ständische Mitwirkung berechtigt,
da es mit der Verfassung in anerkannter Wirksamkeit bestand und folglich nach
Art. 56 der wiener Schlußakte „nur aus verfassungsmäßigen Wege" wieder
abgeändert werden durfte.

Gleichwol hat die Regierung in Folge Vundesbeschlnsses vom 27. März
1852 unterm 13. April desselben Jahres Verfassungsurkunde und Wahlgesetz
„außer Wirksamkeit" gesetzt und eine provisorische Verfassung nebst Wahlord¬
nung als „Gesetz" verkündet, ohne irgend eine landständische Zustimmung
einzuholen. Es ist nicht nöthig, die Veranlassung und die Folge» dieses
eigenthümlichen Verfahrens näher zu erörtern. Alle Welt weiß, daß Hassen-
pflug außerordentliche Geldmittel und Steuerbcwilligungen verlangte, ohne die
verfassungsmäßige Vorbedingung einer Budgetvorlage erfüllt zu haben; daß
man die Ablehnung dieses unstatthaften Ansinnens „Steuerverweigerung", die
Nichtbefolgung der verfassungswidrigen Steuerausschreiben „Aufruhr" und die
Unterdrückung des nicht vorhandenen Aufruhrs durch Vernichtung des ganzen
Verfassungsrechts „Bundeshilfc" nannte. Alle Welt weiß anch, daß dies al¬
les geschehen ist, nicht weil sich mit den kurhessischen Verfassnngsgesetzen nicht
regieren ließ, sondern, weil man die preußische Union, an welcher die Stände
festhielten, vernichten wollte, weil sieh's um Herstellung des Bundestags, um
den vollsten Sieg der Reaction handelte.

Es ist auch bekannt, daß es der kurhcssischen Regierung nnter der Herr¬
schaft eines vierjährigen Kriegszustandes durch Versprechungen. Drohungen.
Ausflößungen, Aenderungen der Grundlagen des Wahlgesetzes u. s. w. end¬
lich gelang, die vom Bundestage angeordnete „Erklärung" Seitens der Hasseu-
pflug'sehen „wirklichen Stände" herbeizuführen. Indessen war dieselbe von
der Art, daß die Regierung im Sommer 1858 eine ganze Reihe von Ein¬
wendungen dagegen erhob, welche sie mit Hilfe der Bundesversammlung zur
Geltung zu bringen gedachte. Allein ehe dies Vorhaben gelang, nahm die
zweite Kammer im Oktober 1859 und' Februar 18V0 ihre Erklärung zurück
und verlangte die Herstellung der Verfassung von 1831. Gleichzeitig machte
Preußen am Bundestage die Ansicht geltend, daß diese Verfassnag nur pro¬
visorisch außer Wirksamkeit gesetzt, nicht aber definitiv aufgehoben worden sei,
und daß die Rückkehr zu derselben nicht rinr nach den vorliegenden Bundes¬
beschlüssen zulässig, sondern auch „eben so sehr durch praktische Gründe, wie
durch die Achtung vor dem Recht geboten" erscheine. Es beantragte daher
eine weitere Prüfung vom Ausschüsse in der angedeuteten Richtung, wobei
insbesondre auch die Frage in Betracht gezogen werden könne, ob „vielleicht
in den Zusätzen der Verfassung aus den Jahren 1848 und 1849 und dem


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[0376] dert werden" konnte. Weder die Negierung noch der neuhcrgestellle Bundes¬ tag war zu einer Beseitigung desselben ohne ständische Mitwirkung berechtigt, da es mit der Verfassung in anerkannter Wirksamkeit bestand und folglich nach Art. 56 der wiener Schlußakte „nur aus verfassungsmäßigen Wege" wieder abgeändert werden durfte. Gleichwol hat die Regierung in Folge Vundesbeschlnsses vom 27. März 1852 unterm 13. April desselben Jahres Verfassungsurkunde und Wahlgesetz „außer Wirksamkeit" gesetzt und eine provisorische Verfassung nebst Wahlord¬ nung als „Gesetz" verkündet, ohne irgend eine landständische Zustimmung einzuholen. Es ist nicht nöthig, die Veranlassung und die Folge» dieses eigenthümlichen Verfahrens näher zu erörtern. Alle Welt weiß, daß Hassen- pflug außerordentliche Geldmittel und Steuerbcwilligungen verlangte, ohne die verfassungsmäßige Vorbedingung einer Budgetvorlage erfüllt zu haben; daß man die Ablehnung dieses unstatthaften Ansinnens „Steuerverweigerung", die Nichtbefolgung der verfassungswidrigen Steuerausschreiben „Aufruhr" und die Unterdrückung des nicht vorhandenen Aufruhrs durch Vernichtung des ganzen Verfassungsrechts „Bundeshilfc" nannte. Alle Welt weiß anch, daß dies al¬ les geschehen ist, nicht weil sich mit den kurhessischen Verfassnngsgesetzen nicht regieren ließ, sondern, weil man die preußische Union, an welcher die Stände festhielten, vernichten wollte, weil sieh's um Herstellung des Bundestags, um den vollsten Sieg der Reaction handelte. Es ist auch bekannt, daß es der kurhcssischen Regierung nnter der Herr¬ schaft eines vierjährigen Kriegszustandes durch Versprechungen. Drohungen. Ausflößungen, Aenderungen der Grundlagen des Wahlgesetzes u. s. w. end¬ lich gelang, die vom Bundestage angeordnete „Erklärung" Seitens der Hasseu- pflug'sehen „wirklichen Stände" herbeizuführen. Indessen war dieselbe von der Art, daß die Regierung im Sommer 1858 eine ganze Reihe von Ein¬ wendungen dagegen erhob, welche sie mit Hilfe der Bundesversammlung zur Geltung zu bringen gedachte. Allein ehe dies Vorhaben gelang, nahm die zweite Kammer im Oktober 1859 und' Februar 18V0 ihre Erklärung zurück und verlangte die Herstellung der Verfassung von 1831. Gleichzeitig machte Preußen am Bundestage die Ansicht geltend, daß diese Verfassnag nur pro¬ visorisch außer Wirksamkeit gesetzt, nicht aber definitiv aufgehoben worden sei, und daß die Rückkehr zu derselben nicht rinr nach den vorliegenden Bundes¬ beschlüssen zulässig, sondern auch „eben so sehr durch praktische Gründe, wie durch die Achtung vor dem Recht geboten" erscheine. Es beantragte daher eine weitere Prüfung vom Ausschüsse in der angedeuteten Richtung, wobei insbesondre auch die Frage in Betracht gezogen werden könne, ob „vielleicht in den Zusätzen der Verfassung aus den Jahren 1848 und 1849 und dem

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 19, 1860, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341594_110347/376>, abgerufen am 16.01.2025.