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Die Grenzboten. Jg. 19, 1860, II. Semester. IV. Band.

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durch dz. 72 der Verfassungsurkunde für "einen Theil der Staatsverfassung"
erklärt wurde. Dies Gesetz erfolgte am 16. Februar 1831 unter Zustimmung
der alten Stände, welche hiernächst am 9. März 1831 verabschiedet wurden
und so der neuen Landesvertretung Platz machten.

Die solchergestalt vereinbarte und beurkundete Staatsvcrfassurig des Kur-
fürstenthums ward vou allen Seiten anerkannt und blieb bis zum Jahre 1848
in unveränderter Geltung. Es hatten sich aber, namentlich unter dem ersten
Ministerium Hassenpflug in den dreißiger Jahren, und dann unter den Bestre¬
bungen von Bickell und Scheffer, so zahlreiche Anfechtungen und Verkümme¬
rungen verfassungsmäßiger Rechte gezeigt, daß im März 1848 der Ruf nach
neuen Bürgschaften allgemein war und von radikaler Seite, namentlich auch
vom jetzigen Minister der auswärtigen Angelegenheiten v. Goeddaeus, eine
constituirende Versammlung verlangt wurde. Die altliberalc Partei widersetzte
sich aber dem Verlassen des Rechtsbodens mit aller Entschiedenheit; ja nicht
einmal eine Auflösung der unter Schefferfchen Einflüssen 1847 gewählten
Stände wurde vorgenommen, sondern man begnügte sich mit dem Einflüsse
der Ereignisse und schritt erst in letzter Stunde der gewöhnlichen Landtagspc-
riode, am 31. October 1848, zur Verabschiedung.

Auch die Aenderungen an der Verfassung selbst, welche man mit diesen
Ständen in einhelliger Zustimmung vornahm, beschränkte" sich aus wenige
Bestimmungen, indem man nur die Beseitigung der schreiendsten Mißstände
vor Augen hatte, z. B. die Abstellung der bisherigen obcrbefehlshaberischcn
Thätigkeit des Landesherni ohne ministerielle Verantwortlichkeit.

Alle Aenderungen wurden übrigens in verfassungsmäßiger Weise nach den
strengen Vorschriften des K. 153 der Verfassungsmkunde vorgenommen, welcher
"entweder völlige Stimmen eins elligkeit der auf dem Landtage an¬
wesenden ständischen Mitglieder, oder eine, auf zwei nach einander folgenden
Landtagen sich aussprechende Stimmenmehrheit von drei Vierteln der¬
selben" erfordert.

Auf die letzte Weise kam namentlich das sogenannte Wahlgesetz vom
5. April 1849 auf den Landtagen von 1848 und 1849 zu Stande.

Dies Gesetz griff etwas tiefer in die Bestimmungen der Verfassungsurfunde
selbst ein, indem es unter dein Einflüsse der deutschen Grundrechte die erb¬
lichen und bevorrechteten Landstandschastcu aufhob und solchergestalt die Zu¬
sammensetzung der Landesvertretung erheblich änderte. Es fielen also die Prin¬
zen und Standesherrn, der Erbmarschall, die Stifter, die Universität und die
verschiedenen Ritterschaften hinweg; dagegen blieben die sechzehn Vertreter der
Städte und die sechzehn Abgeordneten der Landgemeinden. Statt jener bevor¬
zugten Klassen, von denen einige, z. B. die Landstandschasten der Prinzen, erst
durch die Verfassung von 1831 eingeführt worden waren, wurden sechzehn


durch dz. 72 der Verfassungsurkunde für „einen Theil der Staatsverfassung"
erklärt wurde. Dies Gesetz erfolgte am 16. Februar 1831 unter Zustimmung
der alten Stände, welche hiernächst am 9. März 1831 verabschiedet wurden
und so der neuen Landesvertretung Platz machten.

Die solchergestalt vereinbarte und beurkundete Staatsvcrfassurig des Kur-
fürstenthums ward vou allen Seiten anerkannt und blieb bis zum Jahre 1848
in unveränderter Geltung. Es hatten sich aber, namentlich unter dem ersten
Ministerium Hassenpflug in den dreißiger Jahren, und dann unter den Bestre¬
bungen von Bickell und Scheffer, so zahlreiche Anfechtungen und Verkümme¬
rungen verfassungsmäßiger Rechte gezeigt, daß im März 1848 der Ruf nach
neuen Bürgschaften allgemein war und von radikaler Seite, namentlich auch
vom jetzigen Minister der auswärtigen Angelegenheiten v. Goeddaeus, eine
constituirende Versammlung verlangt wurde. Die altliberalc Partei widersetzte
sich aber dem Verlassen des Rechtsbodens mit aller Entschiedenheit; ja nicht
einmal eine Auflösung der unter Schefferfchen Einflüssen 1847 gewählten
Stände wurde vorgenommen, sondern man begnügte sich mit dem Einflüsse
der Ereignisse und schritt erst in letzter Stunde der gewöhnlichen Landtagspc-
riode, am 31. October 1848, zur Verabschiedung.

Auch die Aenderungen an der Verfassung selbst, welche man mit diesen
Ständen in einhelliger Zustimmung vornahm, beschränkte« sich aus wenige
Bestimmungen, indem man nur die Beseitigung der schreiendsten Mißstände
vor Augen hatte, z. B. die Abstellung der bisherigen obcrbefehlshaberischcn
Thätigkeit des Landesherni ohne ministerielle Verantwortlichkeit.

Alle Aenderungen wurden übrigens in verfassungsmäßiger Weise nach den
strengen Vorschriften des K. 153 der Verfassungsmkunde vorgenommen, welcher
„entweder völlige Stimmen eins elligkeit der auf dem Landtage an¬
wesenden ständischen Mitglieder, oder eine, auf zwei nach einander folgenden
Landtagen sich aussprechende Stimmenmehrheit von drei Vierteln der¬
selben" erfordert.

Auf die letzte Weise kam namentlich das sogenannte Wahlgesetz vom
5. April 1849 auf den Landtagen von 1848 und 1849 zu Stande.

Dies Gesetz griff etwas tiefer in die Bestimmungen der Verfassungsurfunde
selbst ein, indem es unter dein Einflüsse der deutschen Grundrechte die erb¬
lichen und bevorrechteten Landstandschastcu aufhob und solchergestalt die Zu¬
sammensetzung der Landesvertretung erheblich änderte. Es fielen also die Prin¬
zen und Standesherrn, der Erbmarschall, die Stifter, die Universität und die
verschiedenen Ritterschaften hinweg; dagegen blieben die sechzehn Vertreter der
Städte und die sechzehn Abgeordneten der Landgemeinden. Statt jener bevor¬
zugten Klassen, von denen einige, z. B. die Landstandschasten der Prinzen, erst
durch die Verfassung von 1831 eingeführt worden waren, wurden sechzehn


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 19, 1860, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341594_110347/374>, abgerufen am 15.01.2025.