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Die Grenzboten. Jg. 19, 1860, II. Semester. IV. Band.

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Meisters. Nur Geduld. Herr Gesandter! Siege sind oft Niederlagen. Mehr
als äußerlich gewonnen wird, geht innerlich verloren durch den sich in die
allmülig ernüchterten Gemüther einnistenden Widerstand. Der Grundsatz
der legitimen Erbfolge ist es, welcher Europa den ersten Rang unter den
Erdtheilen gesichert hat, auf welchem die ganze Weltgeschichte als auf das
erste Erfordernis einer dauernden Staatenbildung hinweist. ' Wenn auch
schmählich von den Bourbonen verunziert, ficht dennoch d"le Legitimität für sie
gegen die muratistischen Gelüste. Ob dieser Kampf so ausfallen würde,
wie man es jetzt in den Tuilenen wünschen mag? Darüber kann sich nur
egoistische Beschränktheit täuschen.

An den verschiedenen Stationen, Torre della Nunziata, Torre del
Greco und Portici lagen auf den Bahnhöfen Truppen, den abendlichen Haupt¬
zug, der sie mitnehmen sollte, erwartend. "Dove g,mela,te?" riefen ihnen aus
allen Wagenfenstern Neugierige zu. Einige antworteten: nach Nocera, an¬
dere: nach Capua, uoch andere: wir wissen's nicht. Sie hattey Alle recht, am
meisten die letzten.

Als wir die Stadt erreichten, war es dunkel. Wir eilten nach dem To¬
ledo hinaus, dieser prächtigsten unter den prächtigen Straßen Neapels, welche
zugleich als ihr politischer Wärmemesser gelten kann. Wie sonst walzte sich
zwischen den hohen Palastreihen unübersehbar zu Wagen und zu Fuß durch
laut schreiende Obst-, Limonade-. Confect- und Zeitungsverkäuferinnen die
wohlgekleidete Menschenmasse, welche allabendlich dort nach der Glut des Ta¬
ges Erholung zu suchen pflegt. Wir fragten einen müssig dastehenden alten
Mann, was man vom König höre. Auf die italienische Anrede antwortete
der Greis in gebrochenem Französisch mit dem Erbieten uns zu einer "Mo
ÄemoiskUö" zu führen. Wir fragten einen zweiten, der uns als Antwort
seine Dürftigkeit klagte. Andere hatten überhaupt keine Zeit, uns Rede zu
stehn, bis wir im Cafe Benvenuto erfuhren, daß der König erst den fol¬
genden Tag reisen werde. Wir sahen ein, daß wir ohne etwas zu versäu¬
men uus in unsern Gasthof zurückziehn konnten, die Physiognomie der Stadt
war noch unverändert.

Am folgenden Morgen hörte man über die Vorgänge im Palaste, welche
zu der plötzlichen Entscheidung geführt hatten, das Nähere. Nachdem die
Bemühungen der revolutionären Comites, und des Ministeriums die Massen
zu einer Kundgebung im Sinne der italiemschen Einheit fortzureißen, gari-
baldinische Proclamationen, Aushänge der Porträts von Garibaldi und Victor
Emanuel in allen Bilderläden der Stadt, Verbot der Porträts der könig¬
lichen Familie in deu Schaufenstern. Bestrafung der Personen, welche den
König'hochleben ließen u. s. w. -- nachdem alle diese Bemühungen, trotz der
Unterstützung von fünf im Hasen liegenden piemontesischen Kriegsschiffen.


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Meisters. Nur Geduld. Herr Gesandter! Siege sind oft Niederlagen. Mehr
als äußerlich gewonnen wird, geht innerlich verloren durch den sich in die
allmülig ernüchterten Gemüther einnistenden Widerstand. Der Grundsatz
der legitimen Erbfolge ist es, welcher Europa den ersten Rang unter den
Erdtheilen gesichert hat, auf welchem die ganze Weltgeschichte als auf das
erste Erfordernis einer dauernden Staatenbildung hinweist. ' Wenn auch
schmählich von den Bourbonen verunziert, ficht dennoch d"le Legitimität für sie
gegen die muratistischen Gelüste. Ob dieser Kampf so ausfallen würde,
wie man es jetzt in den Tuilenen wünschen mag? Darüber kann sich nur
egoistische Beschränktheit täuschen.

An den verschiedenen Stationen, Torre della Nunziata, Torre del
Greco und Portici lagen auf den Bahnhöfen Truppen, den abendlichen Haupt¬
zug, der sie mitnehmen sollte, erwartend. „Dove g,mela,te?" riefen ihnen aus
allen Wagenfenstern Neugierige zu. Einige antworteten: nach Nocera, an¬
dere: nach Capua, uoch andere: wir wissen's nicht. Sie hattey Alle recht, am
meisten die letzten.

Als wir die Stadt erreichten, war es dunkel. Wir eilten nach dem To¬
ledo hinaus, dieser prächtigsten unter den prächtigen Straßen Neapels, welche
zugleich als ihr politischer Wärmemesser gelten kann. Wie sonst walzte sich
zwischen den hohen Palastreihen unübersehbar zu Wagen und zu Fuß durch
laut schreiende Obst-, Limonade-. Confect- und Zeitungsverkäuferinnen die
wohlgekleidete Menschenmasse, welche allabendlich dort nach der Glut des Ta¬
ges Erholung zu suchen pflegt. Wir fragten einen müssig dastehenden alten
Mann, was man vom König höre. Auf die italienische Anrede antwortete
der Greis in gebrochenem Französisch mit dem Erbieten uns zu einer „Mo
ÄemoiskUö" zu führen. Wir fragten einen zweiten, der uns als Antwort
seine Dürftigkeit klagte. Andere hatten überhaupt keine Zeit, uns Rede zu
stehn, bis wir im Cafe Benvenuto erfuhren, daß der König erst den fol¬
genden Tag reisen werde. Wir sahen ein, daß wir ohne etwas zu versäu¬
men uus in unsern Gasthof zurückziehn konnten, die Physiognomie der Stadt
war noch unverändert.

Am folgenden Morgen hörte man über die Vorgänge im Palaste, welche
zu der plötzlichen Entscheidung geführt hatten, das Nähere. Nachdem die
Bemühungen der revolutionären Comites, und des Ministeriums die Massen
zu einer Kundgebung im Sinne der italiemschen Einheit fortzureißen, gari-
baldinische Proclamationen, Aushänge der Porträts von Garibaldi und Victor
Emanuel in allen Bilderläden der Stadt, Verbot der Porträts der könig¬
lichen Familie in deu Schaufenstern. Bestrafung der Personen, welche den
König'hochleben ließen u. s. w. — nachdem alle diese Bemühungen, trotz der
Unterstützung von fünf im Hasen liegenden piemontesischen Kriegsschiffen.


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[0037] Meisters. Nur Geduld. Herr Gesandter! Siege sind oft Niederlagen. Mehr als äußerlich gewonnen wird, geht innerlich verloren durch den sich in die allmülig ernüchterten Gemüther einnistenden Widerstand. Der Grundsatz der legitimen Erbfolge ist es, welcher Europa den ersten Rang unter den Erdtheilen gesichert hat, auf welchem die ganze Weltgeschichte als auf das erste Erfordernis einer dauernden Staatenbildung hinweist. ' Wenn auch schmählich von den Bourbonen verunziert, ficht dennoch d"le Legitimität für sie gegen die muratistischen Gelüste. Ob dieser Kampf so ausfallen würde, wie man es jetzt in den Tuilenen wünschen mag? Darüber kann sich nur egoistische Beschränktheit täuschen. An den verschiedenen Stationen, Torre della Nunziata, Torre del Greco und Portici lagen auf den Bahnhöfen Truppen, den abendlichen Haupt¬ zug, der sie mitnehmen sollte, erwartend. „Dove g,mela,te?" riefen ihnen aus allen Wagenfenstern Neugierige zu. Einige antworteten: nach Nocera, an¬ dere: nach Capua, uoch andere: wir wissen's nicht. Sie hattey Alle recht, am meisten die letzten. Als wir die Stadt erreichten, war es dunkel. Wir eilten nach dem To¬ ledo hinaus, dieser prächtigsten unter den prächtigen Straßen Neapels, welche zugleich als ihr politischer Wärmemesser gelten kann. Wie sonst walzte sich zwischen den hohen Palastreihen unübersehbar zu Wagen und zu Fuß durch laut schreiende Obst-, Limonade-. Confect- und Zeitungsverkäuferinnen die wohlgekleidete Menschenmasse, welche allabendlich dort nach der Glut des Ta¬ ges Erholung zu suchen pflegt. Wir fragten einen müssig dastehenden alten Mann, was man vom König höre. Auf die italienische Anrede antwortete der Greis in gebrochenem Französisch mit dem Erbieten uns zu einer „Mo ÄemoiskUö" zu führen. Wir fragten einen zweiten, der uns als Antwort seine Dürftigkeit klagte. Andere hatten überhaupt keine Zeit, uns Rede zu stehn, bis wir im Cafe Benvenuto erfuhren, daß der König erst den fol¬ genden Tag reisen werde. Wir sahen ein, daß wir ohne etwas zu versäu¬ men uus in unsern Gasthof zurückziehn konnten, die Physiognomie der Stadt war noch unverändert. Am folgenden Morgen hörte man über die Vorgänge im Palaste, welche zu der plötzlichen Entscheidung geführt hatten, das Nähere. Nachdem die Bemühungen der revolutionären Comites, und des Ministeriums die Massen zu einer Kundgebung im Sinne der italiemschen Einheit fortzureißen, gari- baldinische Proclamationen, Aushänge der Porträts von Garibaldi und Victor Emanuel in allen Bilderläden der Stadt, Verbot der Porträts der könig¬ lichen Familie in deu Schaufenstern. Bestrafung der Personen, welche den König'hochleben ließen u. s. w. — nachdem alle diese Bemühungen, trotz der Unterstützung von fünf im Hasen liegenden piemontesischen Kriegsschiffen. ^rcuzt'0l,an IV. 4

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 19, 1860, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341594_110347/37>, abgerufen am 15.01.2025.