Die Grenzboten. Jg. 19, 1860, II. Semester. IV. Band.ausübten, so ist das nichts anderes als was z. B. Nußland. Oestreich und Es ist das unglückseligste Vorurtheil, daß der einheitliche Bundeskörper, Darauf hinzuweisen ist insofern nöthig, als wir uns immer einbilden, wir Vergleichen wir dieses Verhältniß und den nordamerikanischen und schwei¬ Grenzboten IV. 1660, 45
ausübten, so ist das nichts anderes als was z. B. Nußland. Oestreich und Es ist das unglückseligste Vorurtheil, daß der einheitliche Bundeskörper, Darauf hinzuweisen ist insofern nöthig, als wir uns immer einbilden, wir Vergleichen wir dieses Verhältniß und den nordamerikanischen und schwei¬ Grenzboten IV. 1660, 45
<TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0365" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/110713"/> <p xml:id="ID_1071" prev="#ID_1070"> ausübten, so ist das nichts anderes als was z. B. Nußland. Oestreich und<lb/> Preußen gegen Krakau gethan haben, ohne daß doch diese vier Staaten einen<lb/> gemeinschaftlichen Staatskörper bildeten.</p><lb/> <p xml:id="ID_1072"> Es ist das unglückseligste Vorurtheil, daß der einheitliche Bundeskörper,<lb/> den die Nationalpartei zu gründen wünscht, bereits existirt. Abgesehn von dem<lb/> rothen Strich des Stielerschen Atlas besteht für uns politisch gar keine Ein¬<lb/> heit. Der Ostpreuße gehört nicht zum deutschen Bund, der Czeche gehört zum<lb/> deutschen Bund: will man etwa behaupten, daß der Czeche mit dem Branden¬<lb/> burger, mit dem Hannoveraner, mit dem Schwaben in einem näheren poli¬<lb/> tischen Verhältniß stehen als der Ostpreuße? Sentimentale Politiker jammern<lb/> immer darüber, man wollte Oestreich aus Deutschland heraufdrangen: es ist<lb/> aber seit zwei Jahrhunderten gar nicht darin gewesen. Kaiser Ferdinand 2<lb/> hat es losgerissen.</p><lb/> <p xml:id="ID_1073"> Darauf hinzuweisen ist insofern nöthig, als wir uns immer einbilden, wir<lb/> hätten etwas aufzugeben. Wir haben nichts aufzugeben. Der deutsche Bund<lb/> ist seiner Geschichte wie seiner natürlicher! Beschaffenheit nach ein Vertrag<lb/> zwischen 34 Staaten, sich unter einander nicht zu bekriegen und sich gegen<lb/> einen fremden Angriff auf bestimmt nmrissenc Theile ihres Gebiets eine be¬<lb/> stimmt abgegrenzte Hilfe zu leisten. Vier von diesen 34 Staaten — Oest¬<lb/> reich, Preußen, Dänemark und Niederlande — waren im Besitz auch noch an.<lb/> derer Länder: auf diese sollte der Bundesvertrag keine Anwendung haben.<lb/> So ist das factische und das rechtliche Verhältniß; die Dauer desselben wurde<lb/> dadurch garavtirt, daß ein gegenseitiges Bedürfniß vorhanden war. weil die<lb/> meisten dieser Staaten nicht im Stande waren, sich selbst zu schützen.</p><lb/> <p xml:id="ID_1074" next="#ID_1075"> Vergleichen wir dieses Verhältniß und den nordamerikanischen und schwei¬<lb/> zerischen Zustünden. Der Theorie nach sind die einzelnen Staaten der Union,<lb/> die einzelnen Staaten der Eidgenossenschaft souverän; sie waren es in letzte¬<lb/> rer factisch bis 1847. Aber keiner von diesen souveränen Staaten hatte das<lb/> Recht der Kriegführung, welches Oestreich und Preußen besitzen. Für Ame-<lb/> rika und für die Schweiz gab es immer nur Bundeskriege. Im Jahr 1847<lb/> erfolgte in der Schweiz ohne viel Blutvergießen eine vollständige Reform,<lb/> welche einen wirklichen Bundesstaat hervorbrachte. Die Möglichkeit dieser<lb/> Reform, d. h. die Möglichkeit, die Durchführung von Bundesbeschlüssen ge¬<lb/> gen die Renitenten zu erzwingen, lag darin, daß die föderirten Staaten Re¬<lb/> publiken waren. Soviel Lokalpatriotismus in den Cantons vorhanden sein<lb/> mochte, in der Sache selbst waren sie nicht von einander geschieden. Es<lb/> gibt nur eidgenössisches Militär, und als die Parteibildung so weit gediehen<lb/> war, daß von zwei Parteien die eine entschieden die größte Stärke besaß, er-<lb/> folgte die gewaltsame Durchführung der Reform. Es war im Grund eine</p><lb/> <fw type="sig" place="bottom"> Grenzboten IV. 1660, 45</fw><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0365]
ausübten, so ist das nichts anderes als was z. B. Nußland. Oestreich und
Preußen gegen Krakau gethan haben, ohne daß doch diese vier Staaten einen
gemeinschaftlichen Staatskörper bildeten.
Es ist das unglückseligste Vorurtheil, daß der einheitliche Bundeskörper,
den die Nationalpartei zu gründen wünscht, bereits existirt. Abgesehn von dem
rothen Strich des Stielerschen Atlas besteht für uns politisch gar keine Ein¬
heit. Der Ostpreuße gehört nicht zum deutschen Bund, der Czeche gehört zum
deutschen Bund: will man etwa behaupten, daß der Czeche mit dem Branden¬
burger, mit dem Hannoveraner, mit dem Schwaben in einem näheren poli¬
tischen Verhältniß stehen als der Ostpreuße? Sentimentale Politiker jammern
immer darüber, man wollte Oestreich aus Deutschland heraufdrangen: es ist
aber seit zwei Jahrhunderten gar nicht darin gewesen. Kaiser Ferdinand 2
hat es losgerissen.
Darauf hinzuweisen ist insofern nöthig, als wir uns immer einbilden, wir
hätten etwas aufzugeben. Wir haben nichts aufzugeben. Der deutsche Bund
ist seiner Geschichte wie seiner natürlicher! Beschaffenheit nach ein Vertrag
zwischen 34 Staaten, sich unter einander nicht zu bekriegen und sich gegen
einen fremden Angriff auf bestimmt nmrissenc Theile ihres Gebiets eine be¬
stimmt abgegrenzte Hilfe zu leisten. Vier von diesen 34 Staaten — Oest¬
reich, Preußen, Dänemark und Niederlande — waren im Besitz auch noch an.
derer Länder: auf diese sollte der Bundesvertrag keine Anwendung haben.
So ist das factische und das rechtliche Verhältniß; die Dauer desselben wurde
dadurch garavtirt, daß ein gegenseitiges Bedürfniß vorhanden war. weil die
meisten dieser Staaten nicht im Stande waren, sich selbst zu schützen.
Vergleichen wir dieses Verhältniß und den nordamerikanischen und schwei¬
zerischen Zustünden. Der Theorie nach sind die einzelnen Staaten der Union,
die einzelnen Staaten der Eidgenossenschaft souverän; sie waren es in letzte¬
rer factisch bis 1847. Aber keiner von diesen souveränen Staaten hatte das
Recht der Kriegführung, welches Oestreich und Preußen besitzen. Für Ame-
rika und für die Schweiz gab es immer nur Bundeskriege. Im Jahr 1847
erfolgte in der Schweiz ohne viel Blutvergießen eine vollständige Reform,
welche einen wirklichen Bundesstaat hervorbrachte. Die Möglichkeit dieser
Reform, d. h. die Möglichkeit, die Durchführung von Bundesbeschlüssen ge¬
gen die Renitenten zu erzwingen, lag darin, daß die föderirten Staaten Re¬
publiken waren. Soviel Lokalpatriotismus in den Cantons vorhanden sein
mochte, in der Sache selbst waren sie nicht von einander geschieden. Es
gibt nur eidgenössisches Militär, und als die Parteibildung so weit gediehen
war, daß von zwei Parteien die eine entschieden die größte Stärke besaß, er-
folgte die gewaltsame Durchführung der Reform. Es war im Grund eine
Grenzboten IV. 1660, 45
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