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Die Grenzboten. Jg. 19, 1860, II. Semester. IV. Band.

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Jede Souveränetät -- das ist es worauf wir hinauswollen -- ist der
Natur der Dinge nach eine beschränkte; und nicht blos für das Volk, sondern
auch für die Fürsten ist es im höchsten Grade wünschenswerth, daß es Staats¬
einrichtungen gibt, welche den wahren, bleibenden, den fürstlichen Willen des
Souveräns von seinen menschlichen, zufälligen, augenblicklichen Launen und
Stimmungen unterscheiden.

Das nichtswürdige Geschmeiß der Speichellecker sagt zu unsern Fürsten:
Du bist nur dann wahrhaft souverain, wenn du das Recht hast, jeden augen¬
blicklichen Einfall, der dir durch den Kopf geht, dem Volke als Gesetz zu ver¬
künden. Auch im Rausch. Sie würden zu Alexander gesagt haben, Culus sei
gesetzlich gefallen. Der wahre Freund der Monarchie dagegen findet das ein¬
zige Mittel, die Souveränetät gegen die Parteileidenschaften zu sichern, darin,
daß der Wille des Fürsten, um Gesetz zu werden, noch einer andern staatlichen
Förmlichkeit bedarf.

Herr Constantin Franz tadelt, mit dem höchsten Beifall der Leipziger Zei¬
tung, die "Konstitutionellen", daß sie immer nur von der Negierung als
von einem abstracten Wesen sprechen, von dem Fürsten aber, welcher doch
thatsächlich die ganze Souveränetät inne hat und nach dem Bundesrecht inne
haben soll, naiver Weise schweigen. "Die Taktik, das Thema von den deut¬
schen Fürsten aus der öffentlichen Discussion fern zu halten, worin alle Par¬
teien wie auf Verabredung übereinstimmen, ist die Ursache, daß man acht
sieht, wie grade die deutschen Fürsten selbst den Mittelpunkt der deutschen
Frage ausmachen, und daß man von keiner Nationaleinheit sprechen kann,
ohne von den deutschen Fürsten zu sprechen."

Diese Taktik hat aber nicht blos einen guten Grund, sondern sie ist le¬
diglich im Interesse der Monarchie. Da in neuerer Zeit das Volk sich eifriger
mit den politischen Fragen beschäftigt und sich in verschiedene Parteien spal¬
tet, so würde der Fürst, der doch als Mensch auch in jeder Frage eine be¬
stimmte Ansicht hat, in das Gewühl der Parteileidenschaften hineingezogen
werden, sobald der Sieg der einen Partei über die andere als Folge einer
willkürlichen Entschließung erschiene. Factisch hat der Wille des Fürsten aller¬
dings sehr viel dabei zu sagen, aber es ist von der größten Wichtigkeit, daß
der Anschein vermieden, daß der Name und die Persönlichkeit des Fürsten der
Discussion entzogen wird. Ein Beispiel. Gesetzt das Volk wünscht in seiner
Mehrzahl Gewerbefreiheit, die Negierung widersetzt sich aber diesem Wunsch
und deckt sich durch die Privatmeinung des Fürsten, so wird nothwendiger¬
weise derjenige, der aus der Sache ein besonderes Studium gemacht hat, auf
die Betrachtung geführt, daß er die Sache besser versteht als der Fürst, der
dieses Studium nicht angestellt hat. Wiederholt sich das häufig, so wird die
monarchische Gesinnung des Volkes mehr und mehr untergraben. Es ist


Jede Souveränetät — das ist es worauf wir hinauswollen — ist der
Natur der Dinge nach eine beschränkte; und nicht blos für das Volk, sondern
auch für die Fürsten ist es im höchsten Grade wünschenswerth, daß es Staats¬
einrichtungen gibt, welche den wahren, bleibenden, den fürstlichen Willen des
Souveräns von seinen menschlichen, zufälligen, augenblicklichen Launen und
Stimmungen unterscheiden.

Das nichtswürdige Geschmeiß der Speichellecker sagt zu unsern Fürsten:
Du bist nur dann wahrhaft souverain, wenn du das Recht hast, jeden augen¬
blicklichen Einfall, der dir durch den Kopf geht, dem Volke als Gesetz zu ver¬
künden. Auch im Rausch. Sie würden zu Alexander gesagt haben, Culus sei
gesetzlich gefallen. Der wahre Freund der Monarchie dagegen findet das ein¬
zige Mittel, die Souveränetät gegen die Parteileidenschaften zu sichern, darin,
daß der Wille des Fürsten, um Gesetz zu werden, noch einer andern staatlichen
Förmlichkeit bedarf.

Herr Constantin Franz tadelt, mit dem höchsten Beifall der Leipziger Zei¬
tung, die „Konstitutionellen", daß sie immer nur von der Negierung als
von einem abstracten Wesen sprechen, von dem Fürsten aber, welcher doch
thatsächlich die ganze Souveränetät inne hat und nach dem Bundesrecht inne
haben soll, naiver Weise schweigen. „Die Taktik, das Thema von den deut¬
schen Fürsten aus der öffentlichen Discussion fern zu halten, worin alle Par¬
teien wie auf Verabredung übereinstimmen, ist die Ursache, daß man acht
sieht, wie grade die deutschen Fürsten selbst den Mittelpunkt der deutschen
Frage ausmachen, und daß man von keiner Nationaleinheit sprechen kann,
ohne von den deutschen Fürsten zu sprechen."

Diese Taktik hat aber nicht blos einen guten Grund, sondern sie ist le¬
diglich im Interesse der Monarchie. Da in neuerer Zeit das Volk sich eifriger
mit den politischen Fragen beschäftigt und sich in verschiedene Parteien spal¬
tet, so würde der Fürst, der doch als Mensch auch in jeder Frage eine be¬
stimmte Ansicht hat, in das Gewühl der Parteileidenschaften hineingezogen
werden, sobald der Sieg der einen Partei über die andere als Folge einer
willkürlichen Entschließung erschiene. Factisch hat der Wille des Fürsten aller¬
dings sehr viel dabei zu sagen, aber es ist von der größten Wichtigkeit, daß
der Anschein vermieden, daß der Name und die Persönlichkeit des Fürsten der
Discussion entzogen wird. Ein Beispiel. Gesetzt das Volk wünscht in seiner
Mehrzahl Gewerbefreiheit, die Negierung widersetzt sich aber diesem Wunsch
und deckt sich durch die Privatmeinung des Fürsten, so wird nothwendiger¬
weise derjenige, der aus der Sache ein besonderes Studium gemacht hat, auf
die Betrachtung geführt, daß er die Sache besser versteht als der Fürst, der
dieses Studium nicht angestellt hat. Wiederholt sich das häufig, so wird die
monarchische Gesinnung des Volkes mehr und mehr untergraben. Es ist


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[0360] Jede Souveränetät — das ist es worauf wir hinauswollen — ist der Natur der Dinge nach eine beschränkte; und nicht blos für das Volk, sondern auch für die Fürsten ist es im höchsten Grade wünschenswerth, daß es Staats¬ einrichtungen gibt, welche den wahren, bleibenden, den fürstlichen Willen des Souveräns von seinen menschlichen, zufälligen, augenblicklichen Launen und Stimmungen unterscheiden. Das nichtswürdige Geschmeiß der Speichellecker sagt zu unsern Fürsten: Du bist nur dann wahrhaft souverain, wenn du das Recht hast, jeden augen¬ blicklichen Einfall, der dir durch den Kopf geht, dem Volke als Gesetz zu ver¬ künden. Auch im Rausch. Sie würden zu Alexander gesagt haben, Culus sei gesetzlich gefallen. Der wahre Freund der Monarchie dagegen findet das ein¬ zige Mittel, die Souveränetät gegen die Parteileidenschaften zu sichern, darin, daß der Wille des Fürsten, um Gesetz zu werden, noch einer andern staatlichen Förmlichkeit bedarf. Herr Constantin Franz tadelt, mit dem höchsten Beifall der Leipziger Zei¬ tung, die „Konstitutionellen", daß sie immer nur von der Negierung als von einem abstracten Wesen sprechen, von dem Fürsten aber, welcher doch thatsächlich die ganze Souveränetät inne hat und nach dem Bundesrecht inne haben soll, naiver Weise schweigen. „Die Taktik, das Thema von den deut¬ schen Fürsten aus der öffentlichen Discussion fern zu halten, worin alle Par¬ teien wie auf Verabredung übereinstimmen, ist die Ursache, daß man acht sieht, wie grade die deutschen Fürsten selbst den Mittelpunkt der deutschen Frage ausmachen, und daß man von keiner Nationaleinheit sprechen kann, ohne von den deutschen Fürsten zu sprechen." Diese Taktik hat aber nicht blos einen guten Grund, sondern sie ist le¬ diglich im Interesse der Monarchie. Da in neuerer Zeit das Volk sich eifriger mit den politischen Fragen beschäftigt und sich in verschiedene Parteien spal¬ tet, so würde der Fürst, der doch als Mensch auch in jeder Frage eine be¬ stimmte Ansicht hat, in das Gewühl der Parteileidenschaften hineingezogen werden, sobald der Sieg der einen Partei über die andere als Folge einer willkürlichen Entschließung erschiene. Factisch hat der Wille des Fürsten aller¬ dings sehr viel dabei zu sagen, aber es ist von der größten Wichtigkeit, daß der Anschein vermieden, daß der Name und die Persönlichkeit des Fürsten der Discussion entzogen wird. Ein Beispiel. Gesetzt das Volk wünscht in seiner Mehrzahl Gewerbefreiheit, die Negierung widersetzt sich aber diesem Wunsch und deckt sich durch die Privatmeinung des Fürsten, so wird nothwendiger¬ weise derjenige, der aus der Sache ein besonderes Studium gemacht hat, auf die Betrachtung geführt, daß er die Sache besser versteht als der Fürst, der dieses Studium nicht angestellt hat. Wiederholt sich das häufig, so wird die monarchische Gesinnung des Volkes mehr und mehr untergraben. Es ist

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 19, 1860, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341594_110347/360>, abgerufen am 15.01.2025.