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Die Grenzboten. Jg. 19, 1860, II. Semester. IV. Band.

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Meinung keinen Zweifel aufkommen zu lassen, am Ende in die allgemeine
Heiterkeit mit einstimmte.

Dieses Gelächter kündigte an, was in den letzten Tagen geschah. Die
Bourbonen sind vom Throne gestiegen. Als constitutioneller Beherrscher
seiner Staaten hat Franz der zweite das Lachen jenes Ministers um kein
volles Vierteljahr überlebt.

Diseitö MsMg-in moniti! ruft die Katastrophe den Dynastien Europas
zu. In der Politik werden die Sünden der Väter an den Kindern heimge¬
sucht bis ins dritte und vierte Glied. War es möglich, einem Bourbonen zu
trauen, der in einem Augenblicke der Noth eine Verfassung gegeben? Aber
auch das Volk dieses Königs, welches in dieser Revolution nicht mit der Kraft
der moralischen Ueberzeugung für das Recht gegen die Fürstengewalt aufgetreten,
sondern nur gleichgiltiger Zuschauer gewesen ist des Verrathes, der seinem Fürsten
den Boden unter den Füßen weggezogen, wird noch lernen müssen.

Vorgestern, von ^mein Ausfluge nach Sorrent zurückkehrend, fand ich in
Castellamare bedeutende Truppenmassen, welche, von Neapel kommend, mit
der Eisenbahn nach Nocera befördert werden sollten. Garibaldi, hieß es, sei
in Salerno; die dort zu seiner Abwehr aufgestellte, zahlreiche königliche Armee
habe ihre beinahe uneinnehmbare Position ohne Schwertstreich aufgegeben,
und der König, welcher sich in der Hauptstadt nicht mehr sicher fühle, wolle
sie noch denselben Abend verlassen und in Gaöta Schutz suchen.

"Das heißt," so faßte mein Begleiter, ein durch längern Aufenthalt in
Neapel mit den dortigen Verhältnissen vertrauter Mann, diese Mittheilungen
zusammen, "heute Abend wird Europa einen Thron weniger haben." --
"Aber," fügte er hinzu, "sprechen wir nicht davon; vielleicht ist es ein künstlich
in Umlauf gesetztes Gerücht, welches nur den Wunsch des revolutionären
Comites und der Minister, nicht die wirkliche Absicht des Königs ausdrückt.
Wer weiß, wie die Sache sich noch wenden kann." --

Vergebliche Vorsicht! War der unglückliche Monarch einmal bewogen worden,
sich des Haltes seiner noch in der Hauptstadt stehenden Truppen zu entledigen,
von denen man freilich keinen regelmäßigen Kampf für die legitime Sache, wol
aber Plünderung und Excesse befürchtete, so ließ sich überhaupt kein Damm
mehr denken, an dem die Wogen des Umsturzes sich hätten brechen können.
Ich wurde auf den Vertreter Frankreichs aufmerksam gemacht, welcher, offen¬
bar in Folge der erhaltenen Nachrichten, von seinem Landgute in Castella-
mare zur Stadt eilte, um dem Ausgange der Dinge beizuwohnen. Es war
ein dicker, kurzer Herr von ungemeiner Lebendigkeit in den Mienen. Sein
Gesicht drückte Freude, ja Triumph aus über den endlichen Erfolg der so
lange durch die Scylla aufrichtiger Gehässigkeit und die Charybdis geschmink¬
ter Freundschaft auf dies eine Ziel losgcsteuerten Politik seines Herrn und


Meinung keinen Zweifel aufkommen zu lassen, am Ende in die allgemeine
Heiterkeit mit einstimmte.

Dieses Gelächter kündigte an, was in den letzten Tagen geschah. Die
Bourbonen sind vom Throne gestiegen. Als constitutioneller Beherrscher
seiner Staaten hat Franz der zweite das Lachen jenes Ministers um kein
volles Vierteljahr überlebt.

Diseitö MsMg-in moniti! ruft die Katastrophe den Dynastien Europas
zu. In der Politik werden die Sünden der Väter an den Kindern heimge¬
sucht bis ins dritte und vierte Glied. War es möglich, einem Bourbonen zu
trauen, der in einem Augenblicke der Noth eine Verfassung gegeben? Aber
auch das Volk dieses Königs, welches in dieser Revolution nicht mit der Kraft
der moralischen Ueberzeugung für das Recht gegen die Fürstengewalt aufgetreten,
sondern nur gleichgiltiger Zuschauer gewesen ist des Verrathes, der seinem Fürsten
den Boden unter den Füßen weggezogen, wird noch lernen müssen.

Vorgestern, von ^mein Ausfluge nach Sorrent zurückkehrend, fand ich in
Castellamare bedeutende Truppenmassen, welche, von Neapel kommend, mit
der Eisenbahn nach Nocera befördert werden sollten. Garibaldi, hieß es, sei
in Salerno; die dort zu seiner Abwehr aufgestellte, zahlreiche königliche Armee
habe ihre beinahe uneinnehmbare Position ohne Schwertstreich aufgegeben,
und der König, welcher sich in der Hauptstadt nicht mehr sicher fühle, wolle
sie noch denselben Abend verlassen und in Gaöta Schutz suchen.

„Das heißt," so faßte mein Begleiter, ein durch längern Aufenthalt in
Neapel mit den dortigen Verhältnissen vertrauter Mann, diese Mittheilungen
zusammen, „heute Abend wird Europa einen Thron weniger haben." —
„Aber," fügte er hinzu, „sprechen wir nicht davon; vielleicht ist es ein künstlich
in Umlauf gesetztes Gerücht, welches nur den Wunsch des revolutionären
Comites und der Minister, nicht die wirkliche Absicht des Königs ausdrückt.
Wer weiß, wie die Sache sich noch wenden kann." —

Vergebliche Vorsicht! War der unglückliche Monarch einmal bewogen worden,
sich des Haltes seiner noch in der Hauptstadt stehenden Truppen zu entledigen,
von denen man freilich keinen regelmäßigen Kampf für die legitime Sache, wol
aber Plünderung und Excesse befürchtete, so ließ sich überhaupt kein Damm
mehr denken, an dem die Wogen des Umsturzes sich hätten brechen können.
Ich wurde auf den Vertreter Frankreichs aufmerksam gemacht, welcher, offen¬
bar in Folge der erhaltenen Nachrichten, von seinem Landgute in Castella-
mare zur Stadt eilte, um dem Ausgange der Dinge beizuwohnen. Es war
ein dicker, kurzer Herr von ungemeiner Lebendigkeit in den Mienen. Sein
Gesicht drückte Freude, ja Triumph aus über den endlichen Erfolg der so
lange durch die Scylla aufrichtiger Gehässigkeit und die Charybdis geschmink¬
ter Freundschaft auf dies eine Ziel losgcsteuerten Politik seines Herrn und


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[0036] Meinung keinen Zweifel aufkommen zu lassen, am Ende in die allgemeine Heiterkeit mit einstimmte. Dieses Gelächter kündigte an, was in den letzten Tagen geschah. Die Bourbonen sind vom Throne gestiegen. Als constitutioneller Beherrscher seiner Staaten hat Franz der zweite das Lachen jenes Ministers um kein volles Vierteljahr überlebt. Diseitö MsMg-in moniti! ruft die Katastrophe den Dynastien Europas zu. In der Politik werden die Sünden der Väter an den Kindern heimge¬ sucht bis ins dritte und vierte Glied. War es möglich, einem Bourbonen zu trauen, der in einem Augenblicke der Noth eine Verfassung gegeben? Aber auch das Volk dieses Königs, welches in dieser Revolution nicht mit der Kraft der moralischen Ueberzeugung für das Recht gegen die Fürstengewalt aufgetreten, sondern nur gleichgiltiger Zuschauer gewesen ist des Verrathes, der seinem Fürsten den Boden unter den Füßen weggezogen, wird noch lernen müssen. Vorgestern, von ^mein Ausfluge nach Sorrent zurückkehrend, fand ich in Castellamare bedeutende Truppenmassen, welche, von Neapel kommend, mit der Eisenbahn nach Nocera befördert werden sollten. Garibaldi, hieß es, sei in Salerno; die dort zu seiner Abwehr aufgestellte, zahlreiche königliche Armee habe ihre beinahe uneinnehmbare Position ohne Schwertstreich aufgegeben, und der König, welcher sich in der Hauptstadt nicht mehr sicher fühle, wolle sie noch denselben Abend verlassen und in Gaöta Schutz suchen. „Das heißt," so faßte mein Begleiter, ein durch längern Aufenthalt in Neapel mit den dortigen Verhältnissen vertrauter Mann, diese Mittheilungen zusammen, „heute Abend wird Europa einen Thron weniger haben." — „Aber," fügte er hinzu, „sprechen wir nicht davon; vielleicht ist es ein künstlich in Umlauf gesetztes Gerücht, welches nur den Wunsch des revolutionären Comites und der Minister, nicht die wirkliche Absicht des Königs ausdrückt. Wer weiß, wie die Sache sich noch wenden kann." — Vergebliche Vorsicht! War der unglückliche Monarch einmal bewogen worden, sich des Haltes seiner noch in der Hauptstadt stehenden Truppen zu entledigen, von denen man freilich keinen regelmäßigen Kampf für die legitime Sache, wol aber Plünderung und Excesse befürchtete, so ließ sich überhaupt kein Damm mehr denken, an dem die Wogen des Umsturzes sich hätten brechen können. Ich wurde auf den Vertreter Frankreichs aufmerksam gemacht, welcher, offen¬ bar in Folge der erhaltenen Nachrichten, von seinem Landgute in Castella- mare zur Stadt eilte, um dem Ausgange der Dinge beizuwohnen. Es war ein dicker, kurzer Herr von ungemeiner Lebendigkeit in den Mienen. Sein Gesicht drückte Freude, ja Triumph aus über den endlichen Erfolg der so lange durch die Scylla aufrichtiger Gehässigkeit und die Charybdis geschmink¬ ter Freundschaft auf dies eine Ziel losgcsteuerten Politik seines Herrn und

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 19, 1860, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341594_110347/36>, abgerufen am 15.01.2025.