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Die Grenzboten. Jg. 19, 1860, II. Semester. IV. Band.

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ordnungen Gehorsam zu verschaffen. Der allgemeinste Träger der Souve¬
ränetät ist der Staat selbst.

Nicht ganz so leicht ist in allen Fällen zu bestimmen. wen man inner¬
halb des Staates als den Träger der Souveränetät betrachten soll. Der Re¬
präsentant der Souveränetät ist zwar durchweg das sogenannte Staats¬
oberhaupt, welches durch seine Unterschrist die Gesetze, Vertrüge u. s. w. als
Staatsgesetze, Staatsverträge u. s. w. legitimirt: z. B. in England die Kö¬
nigin, in den vereinigten Staaten von Nordamerika und in der Schweiz der
Bundespräsidcnt. Aber der Repräsentant der Souveränetät ist nicht immer
der Souverüu. In den vorhergehenden Fällen z. B. wird man die Königin
von England stets, die beiden Bundespräsidenten nie als Souverän bezeichnen,
obgleich in vieler Beziehung der nordamerikanische Bundespräsident mehr
Macht besitzt als die Königin von England. Der Grund davon ist nicht blos
die Höflichkeit der Krone gegenüber, sondern der Umstand, daß die Königin
von England, in andern Beziehungen, z. B. bei Reisen ins Ausland ab¬
hängiger als der geringste ihrer Unterthanen, in einem Punkt wenigstens
ganz unabhängig ist. In Gesetzen, Verordnungen u. s. w. hängt sie vom
Parlament ab, aber Königin ist sie durch Erbrecht oder, wie man sich aus¬
druckt, von Gottes Gnaden.

Wenn wir also den Ausdruck Souveränetät gebrauchen, so müssen wir
Zwei Begriffe streng von einander scheiden. In Monarchien ist das Staats¬
oberhaupt stets der Souverain: damit ist aber nicht gesagt, daß er die Voll-
gewalt des Staats und im Staat besitzt. Das eine aus dem andern herzu¬
leiten, verwirrt alle Begriffe des Staatsrechts.

Zur Souverainetät gehört, wie oben bemerkt, vor allem die Fähigkeit,
seinen gesetzmäßigen Willen zwangsweise durchzusetzen, nach Außen wie nach
Innen. Diese Gewalt wird nach beiden Seiten hin nothwendig durch die
fnctischen Zustände beschränkt. So hat z. B. die Schweiz als souverainer
Staat unstreitig das Recht, den Kaiser von China zu bekriegen, sie kann
dieses Recht aber nicht ausüben. Oder, um ein viel näheres Beispiel zu
wählen, der König von Preußen war,, um seine Souveränetätsrechte in
Neufchatel, der Schweiz gegenüber in Ausübung zu bringen, auf den guten
Willen von Bayern, Baden u. s. w. angewiesen, die er staatsrechtlich nicht
Zwingen konnte, seine Truppen durchmarschiren zu lassen. Ebenso ist es mit
der innern Staatsgewalt. König Friedrich Wilhelm der Erste änderte nach
Gutdünken die Beschlüsse seiner Gerichte ab; er ließ Männer, die von den
Gerichten zu verhältnißmäßig kurzer Freiheitsstrafe verurtheilt waren, hängen
oder rädern. Das kann heute kein Fürst mehr, weil die moralische Bildung
des Volks eine andere geworden ist. und damit auch die Zwangsmittel, die
dem Fürsten zu Gebot stehen, sich geändert haben.


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ordnungen Gehorsam zu verschaffen. Der allgemeinste Träger der Souve¬
ränetät ist der Staat selbst.

Nicht ganz so leicht ist in allen Fällen zu bestimmen. wen man inner¬
halb des Staates als den Träger der Souveränetät betrachten soll. Der Re¬
präsentant der Souveränetät ist zwar durchweg das sogenannte Staats¬
oberhaupt, welches durch seine Unterschrist die Gesetze, Vertrüge u. s. w. als
Staatsgesetze, Staatsverträge u. s. w. legitimirt: z. B. in England die Kö¬
nigin, in den vereinigten Staaten von Nordamerika und in der Schweiz der
Bundespräsidcnt. Aber der Repräsentant der Souveränetät ist nicht immer
der Souverüu. In den vorhergehenden Fällen z. B. wird man die Königin
von England stets, die beiden Bundespräsidenten nie als Souverän bezeichnen,
obgleich in vieler Beziehung der nordamerikanische Bundespräsident mehr
Macht besitzt als die Königin von England. Der Grund davon ist nicht blos
die Höflichkeit der Krone gegenüber, sondern der Umstand, daß die Königin
von England, in andern Beziehungen, z. B. bei Reisen ins Ausland ab¬
hängiger als der geringste ihrer Unterthanen, in einem Punkt wenigstens
ganz unabhängig ist. In Gesetzen, Verordnungen u. s. w. hängt sie vom
Parlament ab, aber Königin ist sie durch Erbrecht oder, wie man sich aus¬
druckt, von Gottes Gnaden.

Wenn wir also den Ausdruck Souveränetät gebrauchen, so müssen wir
Zwei Begriffe streng von einander scheiden. In Monarchien ist das Staats¬
oberhaupt stets der Souverain: damit ist aber nicht gesagt, daß er die Voll-
gewalt des Staats und im Staat besitzt. Das eine aus dem andern herzu¬
leiten, verwirrt alle Begriffe des Staatsrechts.

Zur Souverainetät gehört, wie oben bemerkt, vor allem die Fähigkeit,
seinen gesetzmäßigen Willen zwangsweise durchzusetzen, nach Außen wie nach
Innen. Diese Gewalt wird nach beiden Seiten hin nothwendig durch die
fnctischen Zustände beschränkt. So hat z. B. die Schweiz als souverainer
Staat unstreitig das Recht, den Kaiser von China zu bekriegen, sie kann
dieses Recht aber nicht ausüben. Oder, um ein viel näheres Beispiel zu
wählen, der König von Preußen war,, um seine Souveränetätsrechte in
Neufchatel, der Schweiz gegenüber in Ausübung zu bringen, auf den guten
Willen von Bayern, Baden u. s. w. angewiesen, die er staatsrechtlich nicht
Zwingen konnte, seine Truppen durchmarschiren zu lassen. Ebenso ist es mit
der innern Staatsgewalt. König Friedrich Wilhelm der Erste änderte nach
Gutdünken die Beschlüsse seiner Gerichte ab; er ließ Männer, die von den
Gerichten zu verhältnißmäßig kurzer Freiheitsstrafe verurtheilt waren, hängen
oder rädern. Das kann heute kein Fürst mehr, weil die moralische Bildung
des Volks eine andere geworden ist. und damit auch die Zwangsmittel, die
dem Fürsten zu Gebot stehen, sich geändert haben.


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[0359] ordnungen Gehorsam zu verschaffen. Der allgemeinste Träger der Souve¬ ränetät ist der Staat selbst. Nicht ganz so leicht ist in allen Fällen zu bestimmen. wen man inner¬ halb des Staates als den Träger der Souveränetät betrachten soll. Der Re¬ präsentant der Souveränetät ist zwar durchweg das sogenannte Staats¬ oberhaupt, welches durch seine Unterschrist die Gesetze, Vertrüge u. s. w. als Staatsgesetze, Staatsverträge u. s. w. legitimirt: z. B. in England die Kö¬ nigin, in den vereinigten Staaten von Nordamerika und in der Schweiz der Bundespräsidcnt. Aber der Repräsentant der Souveränetät ist nicht immer der Souverüu. In den vorhergehenden Fällen z. B. wird man die Königin von England stets, die beiden Bundespräsidenten nie als Souverän bezeichnen, obgleich in vieler Beziehung der nordamerikanische Bundespräsident mehr Macht besitzt als die Königin von England. Der Grund davon ist nicht blos die Höflichkeit der Krone gegenüber, sondern der Umstand, daß die Königin von England, in andern Beziehungen, z. B. bei Reisen ins Ausland ab¬ hängiger als der geringste ihrer Unterthanen, in einem Punkt wenigstens ganz unabhängig ist. In Gesetzen, Verordnungen u. s. w. hängt sie vom Parlament ab, aber Königin ist sie durch Erbrecht oder, wie man sich aus¬ druckt, von Gottes Gnaden. Wenn wir also den Ausdruck Souveränetät gebrauchen, so müssen wir Zwei Begriffe streng von einander scheiden. In Monarchien ist das Staats¬ oberhaupt stets der Souverain: damit ist aber nicht gesagt, daß er die Voll- gewalt des Staats und im Staat besitzt. Das eine aus dem andern herzu¬ leiten, verwirrt alle Begriffe des Staatsrechts. Zur Souverainetät gehört, wie oben bemerkt, vor allem die Fähigkeit, seinen gesetzmäßigen Willen zwangsweise durchzusetzen, nach Außen wie nach Innen. Diese Gewalt wird nach beiden Seiten hin nothwendig durch die fnctischen Zustände beschränkt. So hat z. B. die Schweiz als souverainer Staat unstreitig das Recht, den Kaiser von China zu bekriegen, sie kann dieses Recht aber nicht ausüben. Oder, um ein viel näheres Beispiel zu wählen, der König von Preußen war,, um seine Souveränetätsrechte in Neufchatel, der Schweiz gegenüber in Ausübung zu bringen, auf den guten Willen von Bayern, Baden u. s. w. angewiesen, die er staatsrechtlich nicht Zwingen konnte, seine Truppen durchmarschiren zu lassen. Ebenso ist es mit der innern Staatsgewalt. König Friedrich Wilhelm der Erste änderte nach Gutdünken die Beschlüsse seiner Gerichte ab; er ließ Männer, die von den Gerichten zu verhältnißmäßig kurzer Freiheitsstrafe verurtheilt waren, hängen oder rädern. Das kann heute kein Fürst mehr, weil die moralische Bildung des Volks eine andere geworden ist. und damit auch die Zwangsmittel, die dem Fürsten zu Gebot stehen, sich geändert haben. 44*

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 19, 1860, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341594_110347/359>, abgerufen am 15.01.2025.