Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 19, 1860, II. Semester. IV. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

Wurf eines definitiven Wahlgesetzes und einige andere Gegenstände, deren so¬
fortige Erledigung durch das Staatswohl dringend geboten sei, vorgelegt wer¬
den sollten.

Wir haben oben dargelegt, was man mit der Bezeichnung "provisorisch"
hatte ausdrücken wollen, sowol Seitens der Regierung, als Seitens der Stände;
wir halten uns daher einer rechtlichen Beurtheilung jener staatsrechtlichen
Theorie enthoben, welche Gesetze wie einen zwischen Regierung und Ständen
vereinbarten Vertrag auffaßt, von dem, wenn die Erreichung des vertrags¬
mäßigen Zweckes wegfällt, zwar nicht beide Theile -- das hat die Negierung
nicht ausgesprochen --- aber doch der eine Theil, die Negierung, zurücktreten kann,
und nach welcher dann die früheren, durch die neuen Gesetze aufgehobenen
Gesetze von selbst wieder aufleben, ja sogar die alten Personen in ihre Stel¬
lung wieder einrücken, etwa wie jener in sein Land zurückgekehrte Kurfürst
von Hessen-Cassel seiner Armee, wie sie zur Zeit seiner Entfernung bestanden,
befahl mit ihren Montirungsstücken, Zöpfen :c. zur Parade zu erscheinen. Es ist ja
mit einer ähnlichen Theorie in Bundesangelegenhcitcn selbst genug operirt wor¬
den. Wir wollen nur das vorläufig bemerken, daß die Negierung im merk¬
würdigen Widerspruche mit dieser Theorie nach Art guter Cautelarjuristen diese
Gesetze, deren vorgängiger Wegfall erste, wenn auch nicht einzige Bedingung
der Rechtsbeständigkeit der alten Stände war, durch diese selbst außer Wirk¬
samkeit erklären ließ. Wem fiele hier nicht das Bild von Münchhausen ein?

Was die Aufnahme dieser Verordnungen im Lande anlangt, so läßt sich
darüber nicht recht urtheilen, denn gleichzeitig wurden das Vereins- und Ver-
sammiungsrecht und die Presse einer strengen Beschränkung unterworfen. Nur
eine Partei durfte sagen, was sie wollte; und wozu diese das Ministerium
trieb, erklärte die freimüthige Snchsenzeitnng mit den Worten: "wir lieben die
reine Verfassung von 18?1, aber wir glauben, daß sie sich nicht eher wieder
herstellen lasse, als bis durch die Einwirkung einer zeitweiligen absoluten Ge¬
walt Zucht, Ordnung, Sitte und Glauben in Schule, Haus und Kirche, auf
Bureaux, in Gerichten (sie), in der Presse und in Versammlungen wiederher¬
gestellt ist. Wir haben uns nicht bemüht, die Verfassungsmäßigkeit der
"Junithat" nachzuweisen, weil für uns die Verfassungsmäßigkeit nach dem
Gesetze der Revolution keine Bedeutung hat" ?c. Die Unionspartei fühlte offen¬
bar, daß der Streit, ob verfassungsmäßig, ob nicht, sich eben in einen höhe¬
ren auflöste, ob Bundestag, ob.Union? und daß die Entscheidung dieses
Streites bald auch den ersteren entscheiden würde; freilich vergaß sie, daß eine
weniger skeptische Haltung in der engeren Frage von guter Wirkung auch sür
die allgemeinere sein mußte. Die Demokraten waren durch die Ausschreitun¬
gen des Jahres 1849 zerstreut, discreditirt; ein wesentliches moralisches Ge¬
wicht ließ sich von ihnen nicht erwarten, ja eS traten sogar einige von ihnen-IlsV "7? i/-s,IV?l,'i? M,'?.' - - ,N1')"'?s YllUtti.' > ^ '>,.'-."


Wurf eines definitiven Wahlgesetzes und einige andere Gegenstände, deren so¬
fortige Erledigung durch das Staatswohl dringend geboten sei, vorgelegt wer¬
den sollten.

Wir haben oben dargelegt, was man mit der Bezeichnung „provisorisch"
hatte ausdrücken wollen, sowol Seitens der Regierung, als Seitens der Stände;
wir halten uns daher einer rechtlichen Beurtheilung jener staatsrechtlichen
Theorie enthoben, welche Gesetze wie einen zwischen Regierung und Ständen
vereinbarten Vertrag auffaßt, von dem, wenn die Erreichung des vertrags¬
mäßigen Zweckes wegfällt, zwar nicht beide Theile — das hat die Negierung
nicht ausgesprochen —- aber doch der eine Theil, die Negierung, zurücktreten kann,
und nach welcher dann die früheren, durch die neuen Gesetze aufgehobenen
Gesetze von selbst wieder aufleben, ja sogar die alten Personen in ihre Stel¬
lung wieder einrücken, etwa wie jener in sein Land zurückgekehrte Kurfürst
von Hessen-Cassel seiner Armee, wie sie zur Zeit seiner Entfernung bestanden,
befahl mit ihren Montirungsstücken, Zöpfen :c. zur Parade zu erscheinen. Es ist ja
mit einer ähnlichen Theorie in Bundesangelegenhcitcn selbst genug operirt wor¬
den. Wir wollen nur das vorläufig bemerken, daß die Negierung im merk¬
würdigen Widerspruche mit dieser Theorie nach Art guter Cautelarjuristen diese
Gesetze, deren vorgängiger Wegfall erste, wenn auch nicht einzige Bedingung
der Rechtsbeständigkeit der alten Stände war, durch diese selbst außer Wirk¬
samkeit erklären ließ. Wem fiele hier nicht das Bild von Münchhausen ein?

Was die Aufnahme dieser Verordnungen im Lande anlangt, so läßt sich
darüber nicht recht urtheilen, denn gleichzeitig wurden das Vereins- und Ver-
sammiungsrecht und die Presse einer strengen Beschränkung unterworfen. Nur
eine Partei durfte sagen, was sie wollte; und wozu diese das Ministerium
trieb, erklärte die freimüthige Snchsenzeitnng mit den Worten: „wir lieben die
reine Verfassung von 18?1, aber wir glauben, daß sie sich nicht eher wieder
herstellen lasse, als bis durch die Einwirkung einer zeitweiligen absoluten Ge¬
walt Zucht, Ordnung, Sitte und Glauben in Schule, Haus und Kirche, auf
Bureaux, in Gerichten (sie), in der Presse und in Versammlungen wiederher¬
gestellt ist. Wir haben uns nicht bemüht, die Verfassungsmäßigkeit der
„Junithat" nachzuweisen, weil für uns die Verfassungsmäßigkeit nach dem
Gesetze der Revolution keine Bedeutung hat" ?c. Die Unionspartei fühlte offen¬
bar, daß der Streit, ob verfassungsmäßig, ob nicht, sich eben in einen höhe¬
ren auflöste, ob Bundestag, ob.Union? und daß die Entscheidung dieses
Streites bald auch den ersteren entscheiden würde; freilich vergaß sie, daß eine
weniger skeptische Haltung in der engeren Frage von guter Wirkung auch sür
die allgemeinere sein mußte. Die Demokraten waren durch die Ausschreitun¬
gen des Jahres 1849 zerstreut, discreditirt; ein wesentliches moralisches Ge¬
wicht ließ sich von ihnen nicht erwarten, ja eS traten sogar einige von ihnen-IlsV "7? i/-s,IV?l,'i? M,'?.' - - ,N1')«'?s YllUtti.' > ^ '>,.'-.«


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0344" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/110692"/>
          <p xml:id="ID_1015" prev="#ID_1014"> Wurf eines definitiven Wahlgesetzes und einige andere Gegenstände, deren so¬<lb/>
fortige Erledigung durch das Staatswohl dringend geboten sei, vorgelegt wer¬<lb/>
den sollten.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1016"> Wir haben oben dargelegt, was man mit der Bezeichnung &#x201E;provisorisch"<lb/>
hatte ausdrücken wollen, sowol Seitens der Regierung, als Seitens der Stände;<lb/>
wir halten uns daher einer rechtlichen Beurtheilung jener staatsrechtlichen<lb/>
Theorie enthoben, welche Gesetze wie einen zwischen Regierung und Ständen<lb/>
vereinbarten Vertrag auffaßt, von dem, wenn die Erreichung des vertrags¬<lb/>
mäßigen Zweckes wegfällt, zwar nicht beide Theile &#x2014; das hat die Negierung<lb/>
nicht ausgesprochen &#x2014;- aber doch der eine Theil, die Negierung, zurücktreten kann,<lb/>
und nach welcher dann die früheren, durch die neuen Gesetze aufgehobenen<lb/>
Gesetze von selbst wieder aufleben, ja sogar die alten Personen in ihre Stel¬<lb/>
lung wieder einrücken, etwa wie jener in sein Land zurückgekehrte Kurfürst<lb/>
von Hessen-Cassel seiner Armee, wie sie zur Zeit seiner Entfernung bestanden,<lb/>
befahl mit ihren Montirungsstücken, Zöpfen :c. zur Parade zu erscheinen. Es ist ja<lb/>
mit einer ähnlichen Theorie in Bundesangelegenhcitcn selbst genug operirt wor¬<lb/>
den. Wir wollen nur das vorläufig bemerken, daß die Negierung im merk¬<lb/>
würdigen Widerspruche mit dieser Theorie nach Art guter Cautelarjuristen diese<lb/>
Gesetze, deren vorgängiger Wegfall erste, wenn auch nicht einzige Bedingung<lb/>
der Rechtsbeständigkeit der alten Stände war, durch diese selbst außer Wirk¬<lb/>
samkeit erklären ließ.  Wem fiele hier nicht das Bild von Münchhausen ein?</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1017" next="#ID_1018"> Was die Aufnahme dieser Verordnungen im Lande anlangt, so läßt sich<lb/>
darüber nicht recht urtheilen, denn gleichzeitig wurden das Vereins- und Ver-<lb/>
sammiungsrecht und die Presse einer strengen Beschränkung unterworfen. Nur<lb/>
eine Partei durfte sagen, was sie wollte; und wozu diese das Ministerium<lb/>
trieb, erklärte die freimüthige Snchsenzeitnng mit den Worten: &#x201E;wir lieben die<lb/>
reine Verfassung von 18?1, aber wir glauben, daß sie sich nicht eher wieder<lb/>
herstellen lasse, als bis durch die Einwirkung einer zeitweiligen absoluten Ge¬<lb/>
walt Zucht, Ordnung, Sitte und Glauben in Schule, Haus und Kirche, auf<lb/>
Bureaux, in Gerichten (sie), in der Presse und in Versammlungen wiederher¬<lb/>
gestellt ist. Wir haben uns nicht bemüht, die Verfassungsmäßigkeit der<lb/>
&#x201E;Junithat" nachzuweisen, weil für uns die Verfassungsmäßigkeit nach dem<lb/>
Gesetze der Revolution keine Bedeutung hat" ?c. Die Unionspartei fühlte offen¬<lb/>
bar, daß der Streit, ob verfassungsmäßig, ob nicht, sich eben in einen höhe¬<lb/>
ren auflöste, ob Bundestag, ob.Union? und daß die Entscheidung dieses<lb/>
Streites bald auch den ersteren entscheiden würde; freilich vergaß sie, daß eine<lb/>
weniger skeptische Haltung in der engeren Frage von guter Wirkung auch sür<lb/>
die allgemeinere sein mußte. Die Demokraten waren durch die Ausschreitun¬<lb/>
gen des Jahres 1849 zerstreut, discreditirt; ein wesentliches moralisches Ge¬<lb/>
wicht ließ sich von ihnen nicht erwarten, ja eS traten sogar einige von ihnen-IlsV "7? i/-s,IV?l,'i? M,'?.'    - -  ,N1')«'?s YllUtti.'  &gt; ^ '&gt;,.'-.«</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0344] Wurf eines definitiven Wahlgesetzes und einige andere Gegenstände, deren so¬ fortige Erledigung durch das Staatswohl dringend geboten sei, vorgelegt wer¬ den sollten. Wir haben oben dargelegt, was man mit der Bezeichnung „provisorisch" hatte ausdrücken wollen, sowol Seitens der Regierung, als Seitens der Stände; wir halten uns daher einer rechtlichen Beurtheilung jener staatsrechtlichen Theorie enthoben, welche Gesetze wie einen zwischen Regierung und Ständen vereinbarten Vertrag auffaßt, von dem, wenn die Erreichung des vertrags¬ mäßigen Zweckes wegfällt, zwar nicht beide Theile — das hat die Negierung nicht ausgesprochen —- aber doch der eine Theil, die Negierung, zurücktreten kann, und nach welcher dann die früheren, durch die neuen Gesetze aufgehobenen Gesetze von selbst wieder aufleben, ja sogar die alten Personen in ihre Stel¬ lung wieder einrücken, etwa wie jener in sein Land zurückgekehrte Kurfürst von Hessen-Cassel seiner Armee, wie sie zur Zeit seiner Entfernung bestanden, befahl mit ihren Montirungsstücken, Zöpfen :c. zur Parade zu erscheinen. Es ist ja mit einer ähnlichen Theorie in Bundesangelegenhcitcn selbst genug operirt wor¬ den. Wir wollen nur das vorläufig bemerken, daß die Negierung im merk¬ würdigen Widerspruche mit dieser Theorie nach Art guter Cautelarjuristen diese Gesetze, deren vorgängiger Wegfall erste, wenn auch nicht einzige Bedingung der Rechtsbeständigkeit der alten Stände war, durch diese selbst außer Wirk¬ samkeit erklären ließ. Wem fiele hier nicht das Bild von Münchhausen ein? Was die Aufnahme dieser Verordnungen im Lande anlangt, so läßt sich darüber nicht recht urtheilen, denn gleichzeitig wurden das Vereins- und Ver- sammiungsrecht und die Presse einer strengen Beschränkung unterworfen. Nur eine Partei durfte sagen, was sie wollte; und wozu diese das Ministerium trieb, erklärte die freimüthige Snchsenzeitnng mit den Worten: „wir lieben die reine Verfassung von 18?1, aber wir glauben, daß sie sich nicht eher wieder herstellen lasse, als bis durch die Einwirkung einer zeitweiligen absoluten Ge¬ walt Zucht, Ordnung, Sitte und Glauben in Schule, Haus und Kirche, auf Bureaux, in Gerichten (sie), in der Presse und in Versammlungen wiederher¬ gestellt ist. Wir haben uns nicht bemüht, die Verfassungsmäßigkeit der „Junithat" nachzuweisen, weil für uns die Verfassungsmäßigkeit nach dem Gesetze der Revolution keine Bedeutung hat" ?c. Die Unionspartei fühlte offen¬ bar, daß der Streit, ob verfassungsmäßig, ob nicht, sich eben in einen höhe¬ ren auflöste, ob Bundestag, ob.Union? und daß die Entscheidung dieses Streites bald auch den ersteren entscheiden würde; freilich vergaß sie, daß eine weniger skeptische Haltung in der engeren Frage von guter Wirkung auch sür die allgemeinere sein mußte. Die Demokraten waren durch die Ausschreitun¬ gen des Jahres 1849 zerstreut, discreditirt; ein wesentliches moralisches Ge¬ wicht ließ sich von ihnen nicht erwarten, ja eS traten sogar einige von ihnen-IlsV "7? i/-s,IV?l,'i? M,'?.' - - ,N1')«'?s YllUtti.' > ^ '>,.'-.«

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341594_110347
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341594_110347/344
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 19, 1860, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341594_110347/344>, abgerufen am 16.01.2025.