Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 19, 1860, II. Semester. IV. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

Wählbarkeit aufgestellten Grundsätze wurde deren Znsanmiensctzung von der
zweiten Kammer nun dahin bestimmt, daß die volljährigen Prinzen des Hau¬
ses zum Eintritt berechtigt bleiben sollten, daneben aber 50 Mitglieder und
zwar je zwei Abgeordnete von je drei der auf 75 reducirten Wahlbezirke ge¬
wählt werden sollten. Mit nur unwesentlichen anderweiten Modifikationen,
worunter nur die der Armee ertheilte Stimmberechtigung erwähnt werden
soll, wurden beide Entwürfe angenommen. -- Bei der Berathung in der er¬
sten Kammer war man in den entschiedensten Ausdrücken darüber einig, daß
die Wahlreform eine dringende Nothwendigkeit sei. Einen heftigen Angriff
in der Debatte dargegen erlitt, und man darf Heu tehinzufügen. wol nicht mit
Unrecht, die Bestimmung über das Vereinigungsversahrcn der beiden Kammern;
indeß wurde sie schließlich dennoch angenommen mit 22 gegen 13 Stimmen.
Eigenthümlich war es, daß hierbei die erste Kammer den Antrag d?r frühern
radicalen Deputation der zweiten Kammer, der von dieser verworfen worden
war, auf einjährige Perioden des Landtags wieder aufnahm (gegen nur drei
Stimmen). -- Jene Bestimmung über das Vereinigungsverfahren suchte man
aber dadurch unschädlich zu machen, daß man für beide Kammern eine gleiche
Mitgliederzahl bestimmte (60), wobei das Amendement, diese Bezirke in städ¬
tische (20) und ländliche (40) zu theilen, abgelehnt wurde. Eine merkwürdige
Konsequenz hiervon war, daß grade die erste Kammer den fakultativen Ein¬
tritt der volljährigen Prinzen verwarf. Außerdem beschloß die Kaminer noch
das Erfordernis; des fünfjährigen Aufenthalts im Lande zur Stimmberechtigung,
was der Minister Braun als eine Satire aus die deutsche Einheit bezeichnete,
und das Alter von 25 Jahren zur Stimmberechtigung. Da aber in allen
diesen wesentlichen Differenzpunkten die zweite Kammer fest an ihren Beschlüs¬
sen hielt, obwol einige Vorschläge der ersten Kammer, wie z. B. einjährige
Periodicität, ein Kompromiß mit der radikalen Partei zu suchen schien, so gab
die erste Kammer ohne alle Debatte nach, und die Negierung erließ ans Grund
dieser Beschlüsse die beiden Gesetze vom 15. Novbr. 1848. welche gewisse
Bestimmungen der Verf. Art. und das bisherige Wahlgesetz aufhoben und
ersetzten.

Wir haben es nicht für unwichtig gehalten, auf, die einzelnen Verhand¬
lungen und Beschlüsse einzugehn, weil die Principien, die hier in Anregung
gekommen und zur Entscheidung gebracht worden sind, bei jeder Wahlgesctzre-
form in den Vordergrund treten werden. Man kann gewiß nicht in Abrede
stellen, daß Kammern wie Regierung gegenüber den ausschweifenden Forderungen
der Zeit eine verständige Mäßigung und Festigkeit behauptet haben; man war
in manchen Dingen weiter gegangen, als es in ruhiger Zeit geschehen sein
würde, besonders vielleicht in der Ungunst gegen die erste Kammer, allein man
hatte auch wichtige Stützen einer kräftigen Negierung gerettet, und es war


Grenzboten IV. 1860. 42

Wählbarkeit aufgestellten Grundsätze wurde deren Znsanmiensctzung von der
zweiten Kammer nun dahin bestimmt, daß die volljährigen Prinzen des Hau¬
ses zum Eintritt berechtigt bleiben sollten, daneben aber 50 Mitglieder und
zwar je zwei Abgeordnete von je drei der auf 75 reducirten Wahlbezirke ge¬
wählt werden sollten. Mit nur unwesentlichen anderweiten Modifikationen,
worunter nur die der Armee ertheilte Stimmberechtigung erwähnt werden
soll, wurden beide Entwürfe angenommen. — Bei der Berathung in der er¬
sten Kammer war man in den entschiedensten Ausdrücken darüber einig, daß
die Wahlreform eine dringende Nothwendigkeit sei. Einen heftigen Angriff
in der Debatte dargegen erlitt, und man darf Heu tehinzufügen. wol nicht mit
Unrecht, die Bestimmung über das Vereinigungsversahrcn der beiden Kammern;
indeß wurde sie schließlich dennoch angenommen mit 22 gegen 13 Stimmen.
Eigenthümlich war es, daß hierbei die erste Kammer den Antrag d?r frühern
radicalen Deputation der zweiten Kammer, der von dieser verworfen worden
war, auf einjährige Perioden des Landtags wieder aufnahm (gegen nur drei
Stimmen). — Jene Bestimmung über das Vereinigungsverfahren suchte man
aber dadurch unschädlich zu machen, daß man für beide Kammern eine gleiche
Mitgliederzahl bestimmte (60), wobei das Amendement, diese Bezirke in städ¬
tische (20) und ländliche (40) zu theilen, abgelehnt wurde. Eine merkwürdige
Konsequenz hiervon war, daß grade die erste Kammer den fakultativen Ein¬
tritt der volljährigen Prinzen verwarf. Außerdem beschloß die Kaminer noch
das Erfordernis; des fünfjährigen Aufenthalts im Lande zur Stimmberechtigung,
was der Minister Braun als eine Satire aus die deutsche Einheit bezeichnete,
und das Alter von 25 Jahren zur Stimmberechtigung. Da aber in allen
diesen wesentlichen Differenzpunkten die zweite Kammer fest an ihren Beschlüs¬
sen hielt, obwol einige Vorschläge der ersten Kammer, wie z. B. einjährige
Periodicität, ein Kompromiß mit der radikalen Partei zu suchen schien, so gab
die erste Kammer ohne alle Debatte nach, und die Negierung erließ ans Grund
dieser Beschlüsse die beiden Gesetze vom 15. Novbr. 1848. welche gewisse
Bestimmungen der Verf. Art. und das bisherige Wahlgesetz aufhoben und
ersetzten.

Wir haben es nicht für unwichtig gehalten, auf, die einzelnen Verhand¬
lungen und Beschlüsse einzugehn, weil die Principien, die hier in Anregung
gekommen und zur Entscheidung gebracht worden sind, bei jeder Wahlgesctzre-
form in den Vordergrund treten werden. Man kann gewiß nicht in Abrede
stellen, daß Kammern wie Regierung gegenüber den ausschweifenden Forderungen
der Zeit eine verständige Mäßigung und Festigkeit behauptet haben; man war
in manchen Dingen weiter gegangen, als es in ruhiger Zeit geschehen sein
würde, besonders vielleicht in der Ungunst gegen die erste Kammer, allein man
hatte auch wichtige Stützen einer kräftigen Negierung gerettet, und es war


Grenzboten IV. 1860. 42
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0341" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/110689"/>
          <p xml:id="ID_1008" prev="#ID_1007"> Wählbarkeit aufgestellten Grundsätze wurde deren Znsanmiensctzung von der<lb/>
zweiten Kammer nun dahin bestimmt, daß die volljährigen Prinzen des Hau¬<lb/>
ses zum Eintritt berechtigt bleiben sollten, daneben aber 50 Mitglieder und<lb/>
zwar je zwei Abgeordnete von je drei der auf 75 reducirten Wahlbezirke ge¬<lb/>
wählt werden sollten. Mit nur unwesentlichen anderweiten Modifikationen,<lb/>
worunter nur die der Armee ertheilte Stimmberechtigung erwähnt werden<lb/>
soll, wurden beide Entwürfe angenommen. &#x2014; Bei der Berathung in der er¬<lb/>
sten Kammer war man in den entschiedensten Ausdrücken darüber einig, daß<lb/>
die Wahlreform eine dringende Nothwendigkeit sei. Einen heftigen Angriff<lb/>
in der Debatte dargegen erlitt, und man darf Heu tehinzufügen. wol nicht mit<lb/>
Unrecht, die Bestimmung über das Vereinigungsversahrcn der beiden Kammern;<lb/>
indeß wurde sie schließlich dennoch angenommen mit 22 gegen 13 Stimmen.<lb/>
Eigenthümlich war es, daß hierbei die erste Kammer den Antrag d?r frühern<lb/>
radicalen Deputation der zweiten Kammer, der von dieser verworfen worden<lb/>
war, auf einjährige Perioden des Landtags wieder aufnahm (gegen nur drei<lb/>
Stimmen). &#x2014; Jene Bestimmung über das Vereinigungsverfahren suchte man<lb/>
aber dadurch unschädlich zu machen, daß man für beide Kammern eine gleiche<lb/>
Mitgliederzahl bestimmte (60), wobei das Amendement, diese Bezirke in städ¬<lb/>
tische (20) und ländliche (40) zu theilen, abgelehnt wurde. Eine merkwürdige<lb/>
Konsequenz hiervon war, daß grade die erste Kammer den fakultativen Ein¬<lb/>
tritt der volljährigen Prinzen verwarf. Außerdem beschloß die Kaminer noch<lb/>
das Erfordernis; des fünfjährigen Aufenthalts im Lande zur Stimmberechtigung,<lb/>
was der Minister Braun als eine Satire aus die deutsche Einheit bezeichnete,<lb/>
und das Alter von 25 Jahren zur Stimmberechtigung. Da aber in allen<lb/>
diesen wesentlichen Differenzpunkten die zweite Kammer fest an ihren Beschlüs¬<lb/>
sen hielt, obwol einige Vorschläge der ersten Kammer, wie z. B. einjährige<lb/>
Periodicität, ein Kompromiß mit der radikalen Partei zu suchen schien, so gab<lb/>
die erste Kammer ohne alle Debatte nach, und die Negierung erließ ans Grund<lb/>
dieser Beschlüsse die beiden Gesetze vom 15. Novbr. 1848. welche gewisse<lb/>
Bestimmungen der Verf. Art. und das bisherige Wahlgesetz aufhoben und<lb/>
ersetzten.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1009" next="#ID_1010"> Wir haben es nicht für unwichtig gehalten, auf, die einzelnen Verhand¬<lb/>
lungen und Beschlüsse einzugehn, weil die Principien, die hier in Anregung<lb/>
gekommen und zur Entscheidung gebracht worden sind, bei jeder Wahlgesctzre-<lb/>
form in den Vordergrund treten werden. Man kann gewiß nicht in Abrede<lb/>
stellen, daß Kammern wie Regierung gegenüber den ausschweifenden Forderungen<lb/>
der Zeit eine verständige Mäßigung und Festigkeit behauptet haben; man war<lb/>
in manchen Dingen weiter gegangen, als es in ruhiger Zeit geschehen sein<lb/>
würde, besonders vielleicht in der Ungunst gegen die erste Kammer, allein man<lb/>
hatte auch wichtige Stützen einer kräftigen Negierung gerettet, und es war</p><lb/>
          <fw type="sig" place="bottom"> Grenzboten IV. 1860. 42</fw><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0341] Wählbarkeit aufgestellten Grundsätze wurde deren Znsanmiensctzung von der zweiten Kammer nun dahin bestimmt, daß die volljährigen Prinzen des Hau¬ ses zum Eintritt berechtigt bleiben sollten, daneben aber 50 Mitglieder und zwar je zwei Abgeordnete von je drei der auf 75 reducirten Wahlbezirke ge¬ wählt werden sollten. Mit nur unwesentlichen anderweiten Modifikationen, worunter nur die der Armee ertheilte Stimmberechtigung erwähnt werden soll, wurden beide Entwürfe angenommen. — Bei der Berathung in der er¬ sten Kammer war man in den entschiedensten Ausdrücken darüber einig, daß die Wahlreform eine dringende Nothwendigkeit sei. Einen heftigen Angriff in der Debatte dargegen erlitt, und man darf Heu tehinzufügen. wol nicht mit Unrecht, die Bestimmung über das Vereinigungsversahrcn der beiden Kammern; indeß wurde sie schließlich dennoch angenommen mit 22 gegen 13 Stimmen. Eigenthümlich war es, daß hierbei die erste Kammer den Antrag d?r frühern radicalen Deputation der zweiten Kammer, der von dieser verworfen worden war, auf einjährige Perioden des Landtags wieder aufnahm (gegen nur drei Stimmen). — Jene Bestimmung über das Vereinigungsverfahren suchte man aber dadurch unschädlich zu machen, daß man für beide Kammern eine gleiche Mitgliederzahl bestimmte (60), wobei das Amendement, diese Bezirke in städ¬ tische (20) und ländliche (40) zu theilen, abgelehnt wurde. Eine merkwürdige Konsequenz hiervon war, daß grade die erste Kammer den fakultativen Ein¬ tritt der volljährigen Prinzen verwarf. Außerdem beschloß die Kaminer noch das Erfordernis; des fünfjährigen Aufenthalts im Lande zur Stimmberechtigung, was der Minister Braun als eine Satire aus die deutsche Einheit bezeichnete, und das Alter von 25 Jahren zur Stimmberechtigung. Da aber in allen diesen wesentlichen Differenzpunkten die zweite Kammer fest an ihren Beschlüs¬ sen hielt, obwol einige Vorschläge der ersten Kammer, wie z. B. einjährige Periodicität, ein Kompromiß mit der radikalen Partei zu suchen schien, so gab die erste Kammer ohne alle Debatte nach, und die Negierung erließ ans Grund dieser Beschlüsse die beiden Gesetze vom 15. Novbr. 1848. welche gewisse Bestimmungen der Verf. Art. und das bisherige Wahlgesetz aufhoben und ersetzten. Wir haben es nicht für unwichtig gehalten, auf, die einzelnen Verhand¬ lungen und Beschlüsse einzugehn, weil die Principien, die hier in Anregung gekommen und zur Entscheidung gebracht worden sind, bei jeder Wahlgesctzre- form in den Vordergrund treten werden. Man kann gewiß nicht in Abrede stellen, daß Kammern wie Regierung gegenüber den ausschweifenden Forderungen der Zeit eine verständige Mäßigung und Festigkeit behauptet haben; man war in manchen Dingen weiter gegangen, als es in ruhiger Zeit geschehen sein würde, besonders vielleicht in der Ungunst gegen die erste Kammer, allein man hatte auch wichtige Stützen einer kräftigen Negierung gerettet, und es war Grenzboten IV. 1860. 42

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341594_110347
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341594_110347/341
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 19, 1860, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341594_110347/341>, abgerufen am 16.01.2025.