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Die Grenzboten. Jg. 19, 1860, II. Semester. IV. Band.

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schon unser Name sagt, unser Reich fernhin bis zu den Grenzen Rußlands und
der Türkei, welche letztere wir, wenn sie zerfällt, mit zu beerben Anspruch haben
und in der That mit beerben werden, wenn wir erst Ordnung im eignen Hause
geschafft haben. Schaffen wir diese Ordnung nicht, dann freilich erben wir
nicht, sondern werden beerbt."

Wir standen auf der Leopoldshöhe, dem schönsten Punkte des Kahlenbergs.
neben der Kirche, in welcher einst der Polenkönig Sobieski, Markgraf Ludwig
von Baden und Herzog Karl von Lothringen des Himmels Beistand angerufen
hatten, bevor sie niederstiegen zur berühmten Türkenschlacht. Begrenzt von
der Donau, welche die große Insel Lobau und viele kleinere Auen wie grüne
Schilde in silberner Umfassung hält, dehnte sich die ungeheure Fläche des
Marchscldes aus, wo einst Rudolf von Habsburg durch den Sieg über den
Böhmenkönig Ottokar den Grundstein zu der Macht seines Hauses legte. Wir
sahe" ganz deutlich den weißen Kirchthurm von Aspern glänzen; daneben lag
Eslingen -- die denkwürdigen Zeugen des östreichischen Ruhms aus dein Jahre
l809. Die aus der Ebene aufsteigenden Dünste des Abends' verdeckten das
etwas fernere Wagram. Diesseits der Donau zeigte sich das qualmende Häuser-
Meer der Kaiserstadt mit ihren Palästen und Thürmen, aus deren Mitte der
Stephan wie ein Niese emporstieg. Im Osten erschienen die kleinen Karpathen,
die Grenzwächter zwischen Mähren und Ungarn, im Süden die steirischen Alpe",
>oth angehaucht vou der Glut des Abendhimmels. Allmälig erblaßten Wolken
und Berge; Nebelgebilde erhoben sich gespensterhaft; inmitten derselben stand
rothglühend der Vollmond und schaute wie zürnend auf das östreichische Land
M. und seine Hauptstadt.




Von der preußischen Grenze.

Da die Berliner Lust die Eigenthümlichkeit hat, alle, die in ihr leben, mit
der stillen wonnigen Ueberzeugung zu durchdringen, daß Alles, was in Bcrliw ge¬
schieht, vortrefflich sei, so wird es nöthig sein, von Zeit zu Zeit daran zu erinnern,
daß man anderwärts diese Zufriedenheit nicht ganz theilt.

Um sich ein Urtheil über die Berliner Politik zu bilden, muß man sich auf
den Standpunkt versetzen, den das preußische Cabinet einnimmt. Auch wenn man
diesen Standpunkt nicht für den richtigen hält, fo muß man doch zugeben, daß
das Cabinet nur nach seinen eignen Perspectiven seine Dispositionen treffen kann
und nicht nach denen Andrer. Der Standpunkt des preußischen Cabinets ist aber
folgender:

Im nächsten Frühjahr wird Victor Emanuel so weit gerüstet sein, um Venedig
anzugreifen; diesen Angriff wird man durch Erregung eines Ansstnndcs in Ungarn


schon unser Name sagt, unser Reich fernhin bis zu den Grenzen Rußlands und
der Türkei, welche letztere wir, wenn sie zerfällt, mit zu beerben Anspruch haben
und in der That mit beerben werden, wenn wir erst Ordnung im eignen Hause
geschafft haben. Schaffen wir diese Ordnung nicht, dann freilich erben wir
nicht, sondern werden beerbt."

Wir standen auf der Leopoldshöhe, dem schönsten Punkte des Kahlenbergs.
neben der Kirche, in welcher einst der Polenkönig Sobieski, Markgraf Ludwig
von Baden und Herzog Karl von Lothringen des Himmels Beistand angerufen
hatten, bevor sie niederstiegen zur berühmten Türkenschlacht. Begrenzt von
der Donau, welche die große Insel Lobau und viele kleinere Auen wie grüne
Schilde in silberner Umfassung hält, dehnte sich die ungeheure Fläche des
Marchscldes aus, wo einst Rudolf von Habsburg durch den Sieg über den
Böhmenkönig Ottokar den Grundstein zu der Macht seines Hauses legte. Wir
sahe» ganz deutlich den weißen Kirchthurm von Aspern glänzen; daneben lag
Eslingen — die denkwürdigen Zeugen des östreichischen Ruhms aus dein Jahre
l809. Die aus der Ebene aufsteigenden Dünste des Abends' verdeckten das
etwas fernere Wagram. Diesseits der Donau zeigte sich das qualmende Häuser-
Meer der Kaiserstadt mit ihren Palästen und Thürmen, aus deren Mitte der
Stephan wie ein Niese emporstieg. Im Osten erschienen die kleinen Karpathen,
die Grenzwächter zwischen Mähren und Ungarn, im Süden die steirischen Alpe»,
>oth angehaucht vou der Glut des Abendhimmels. Allmälig erblaßten Wolken
und Berge; Nebelgebilde erhoben sich gespensterhaft; inmitten derselben stand
rothglühend der Vollmond und schaute wie zürnend auf das östreichische Land
M. und seine Hauptstadt.




Von der preußischen Grenze.

Da die Berliner Lust die Eigenthümlichkeit hat, alle, die in ihr leben, mit
der stillen wonnigen Ueberzeugung zu durchdringen, daß Alles, was in Bcrliw ge¬
schieht, vortrefflich sei, so wird es nöthig sein, von Zeit zu Zeit daran zu erinnern,
daß man anderwärts diese Zufriedenheit nicht ganz theilt.

Um sich ein Urtheil über die Berliner Politik zu bilden, muß man sich auf
den Standpunkt versetzen, den das preußische Cabinet einnimmt. Auch wenn man
diesen Standpunkt nicht für den richtigen hält, fo muß man doch zugeben, daß
das Cabinet nur nach seinen eignen Perspectiven seine Dispositionen treffen kann
und nicht nach denen Andrer. Der Standpunkt des preußischen Cabinets ist aber
folgender:

Im nächsten Frühjahr wird Victor Emanuel so weit gerüstet sein, um Venedig
anzugreifen; diesen Angriff wird man durch Erregung eines Ansstnndcs in Ungarn


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[0329] schon unser Name sagt, unser Reich fernhin bis zu den Grenzen Rußlands und der Türkei, welche letztere wir, wenn sie zerfällt, mit zu beerben Anspruch haben und in der That mit beerben werden, wenn wir erst Ordnung im eignen Hause geschafft haben. Schaffen wir diese Ordnung nicht, dann freilich erben wir nicht, sondern werden beerbt." Wir standen auf der Leopoldshöhe, dem schönsten Punkte des Kahlenbergs. neben der Kirche, in welcher einst der Polenkönig Sobieski, Markgraf Ludwig von Baden und Herzog Karl von Lothringen des Himmels Beistand angerufen hatten, bevor sie niederstiegen zur berühmten Türkenschlacht. Begrenzt von der Donau, welche die große Insel Lobau und viele kleinere Auen wie grüne Schilde in silberner Umfassung hält, dehnte sich die ungeheure Fläche des Marchscldes aus, wo einst Rudolf von Habsburg durch den Sieg über den Böhmenkönig Ottokar den Grundstein zu der Macht seines Hauses legte. Wir sahe» ganz deutlich den weißen Kirchthurm von Aspern glänzen; daneben lag Eslingen — die denkwürdigen Zeugen des östreichischen Ruhms aus dein Jahre l809. Die aus der Ebene aufsteigenden Dünste des Abends' verdeckten das etwas fernere Wagram. Diesseits der Donau zeigte sich das qualmende Häuser- Meer der Kaiserstadt mit ihren Palästen und Thürmen, aus deren Mitte der Stephan wie ein Niese emporstieg. Im Osten erschienen die kleinen Karpathen, die Grenzwächter zwischen Mähren und Ungarn, im Süden die steirischen Alpe», >oth angehaucht vou der Glut des Abendhimmels. Allmälig erblaßten Wolken und Berge; Nebelgebilde erhoben sich gespensterhaft; inmitten derselben stand rothglühend der Vollmond und schaute wie zürnend auf das östreichische Land M. und seine Hauptstadt. Von der preußischen Grenze. Da die Berliner Lust die Eigenthümlichkeit hat, alle, die in ihr leben, mit der stillen wonnigen Ueberzeugung zu durchdringen, daß Alles, was in Bcrliw ge¬ schieht, vortrefflich sei, so wird es nöthig sein, von Zeit zu Zeit daran zu erinnern, daß man anderwärts diese Zufriedenheit nicht ganz theilt. Um sich ein Urtheil über die Berliner Politik zu bilden, muß man sich auf den Standpunkt versetzen, den das preußische Cabinet einnimmt. Auch wenn man diesen Standpunkt nicht für den richtigen hält, fo muß man doch zugeben, daß das Cabinet nur nach seinen eignen Perspectiven seine Dispositionen treffen kann und nicht nach denen Andrer. Der Standpunkt des preußischen Cabinets ist aber folgender: Im nächsten Frühjahr wird Victor Emanuel so weit gerüstet sein, um Venedig anzugreifen; diesen Angriff wird man durch Erregung eines Ansstnndcs in Ungarn

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 19, 1860, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341594_110347/329>, abgerufen am 15.01.2025.