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Die Grenzboten. Jg. 19, 1860, II. Semester. IV. Band.

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hatten sich für den Papst anwerben lassen. So kommen wir, sagten sie mir
in liebenswürdiger Offenheit, umsonst bis Rom -- und gehen dann zu Ga-
ribaldi. -- Finden Sie das nicht lustig: Oestreicher, die auf Staatskosten dem
Reichsfeind in die Arme laufen?"

Füge ich nun dieser extremen Stimme aus Oestreich noch die eines
Wiener Studenten, "im letzten Semester" hinzu, so könnte man meinen, daß
es unter der östreichischen Jugend eine Partei gibt, welche von einem un¬
ter Preußen geeinigten Deutschland eine Rettung Oestreichs er¬
wartet.

An dem letzen Tage meines Aufenthalts in der Kaiserstadt bestieg ich den
nahen Kahlenberg. Unterwegs gesellte sich ein Musensohn zu mir, ein geist¬
voller junger Mann von edler Gestalt mit großen, feurigen Augen. Als der¬
selbe hörte, daß ich ein Rheinländer sei, forschte er mit Begier nach unsern
Zuständen und besonders -- nach den Bestrebungen des Nationalvereins. Mit
großer Anerkennung ließ er sich über Gervinus und Hauffer aus, deren Schrif¬
ten er mit seinen Gesinnungsgenossen las. "O!" rief er, "wollte Gott, daß
man endlich bei uns lernte, sich vor dem Geiste zu beugen, statt ihn zu be¬
kämpfen. Mit dem Strome schwimmend würde Oestreich stark sein; gegen den¬
selben ringend, erschöpft es seine Kraft. Ließe man doch endlich den Kampf
um die Herrschaft über Italien fahren, und schlüge selbst Venedig lieber um
ein gutes Stück Geld los. das doch nur immer unser Stiefkind sein wird.
Was vielen großen Kaisern trotz der angespanntesten Kraft nicht gelang, das
ist wol kaum der Gegenwart beschicken. Sardinien ist die treibende Kraft jen¬
seits der Alpen; es hat ganz Italien durchsäuert, und eine neue freiheitliche
Großmacht ist in dem Lande, das der Po durchströmt und der Appenin durch¬
schneidet, erstanden, die auf das Gefühl des gemeinsamen Baterlandes gebaut
ist und einer schönen Zukunft entgegensieht. Die treibende Kraft diesseits der
Alpen aber ist. so scheint es mir. Preußen, das wir nur immer Jungdeutsch¬
land nennen. Möchten doch die vereinigten Fürsten und Völker draußen im
Reich erkennen, daß nur die Unterordnung unter diese Macht ihre Zukunft
sichert, da sie allein ihnen die ausreichende Kraft zwischen zwei eroberungs¬
süchtigen Großstaaten zu schaffen im Stande ist. Möchte auch Oestreich nicht
länger versuchen, aus Selbstsucht und Kurzsichtigkeit die Entwicklung Deutsch¬
lands zu hemmen. Deutschlands Stärke ist auch Oestreichs Stärke. Mit ihn,
verbündet und mit seinen eignen Völkern durch das Geschenk voller Freiheit
ausgesöhnt, braucht es vor keinem Feinde zu beben."

"Oestreichs Aufgabe," fuhr er fort und wies die vor uns ausgebreitete Donau
hinab gen Osten, wo die Gebirge von Mähren und Ungarn den Gesichtskreis
schlössen, "Oestreichs Aufgabe ist die Verbreitung deutscher Bildung und deut¬
scher Gesittung in den Donauländern. Im Osten Deutschlands liegt, wie


hatten sich für den Papst anwerben lassen. So kommen wir, sagten sie mir
in liebenswürdiger Offenheit, umsonst bis Rom — und gehen dann zu Ga-
ribaldi. — Finden Sie das nicht lustig: Oestreicher, die auf Staatskosten dem
Reichsfeind in die Arme laufen?"

Füge ich nun dieser extremen Stimme aus Oestreich noch die eines
Wiener Studenten, „im letzten Semester" hinzu, so könnte man meinen, daß
es unter der östreichischen Jugend eine Partei gibt, welche von einem un¬
ter Preußen geeinigten Deutschland eine Rettung Oestreichs er¬
wartet.

An dem letzen Tage meines Aufenthalts in der Kaiserstadt bestieg ich den
nahen Kahlenberg. Unterwegs gesellte sich ein Musensohn zu mir, ein geist¬
voller junger Mann von edler Gestalt mit großen, feurigen Augen. Als der¬
selbe hörte, daß ich ein Rheinländer sei, forschte er mit Begier nach unsern
Zuständen und besonders — nach den Bestrebungen des Nationalvereins. Mit
großer Anerkennung ließ er sich über Gervinus und Hauffer aus, deren Schrif¬
ten er mit seinen Gesinnungsgenossen las. „O!" rief er, „wollte Gott, daß
man endlich bei uns lernte, sich vor dem Geiste zu beugen, statt ihn zu be¬
kämpfen. Mit dem Strome schwimmend würde Oestreich stark sein; gegen den¬
selben ringend, erschöpft es seine Kraft. Ließe man doch endlich den Kampf
um die Herrschaft über Italien fahren, und schlüge selbst Venedig lieber um
ein gutes Stück Geld los. das doch nur immer unser Stiefkind sein wird.
Was vielen großen Kaisern trotz der angespanntesten Kraft nicht gelang, das
ist wol kaum der Gegenwart beschicken. Sardinien ist die treibende Kraft jen¬
seits der Alpen; es hat ganz Italien durchsäuert, und eine neue freiheitliche
Großmacht ist in dem Lande, das der Po durchströmt und der Appenin durch¬
schneidet, erstanden, die auf das Gefühl des gemeinsamen Baterlandes gebaut
ist und einer schönen Zukunft entgegensieht. Die treibende Kraft diesseits der
Alpen aber ist. so scheint es mir. Preußen, das wir nur immer Jungdeutsch¬
land nennen. Möchten doch die vereinigten Fürsten und Völker draußen im
Reich erkennen, daß nur die Unterordnung unter diese Macht ihre Zukunft
sichert, da sie allein ihnen die ausreichende Kraft zwischen zwei eroberungs¬
süchtigen Großstaaten zu schaffen im Stande ist. Möchte auch Oestreich nicht
länger versuchen, aus Selbstsucht und Kurzsichtigkeit die Entwicklung Deutsch¬
lands zu hemmen. Deutschlands Stärke ist auch Oestreichs Stärke. Mit ihn,
verbündet und mit seinen eignen Völkern durch das Geschenk voller Freiheit
ausgesöhnt, braucht es vor keinem Feinde zu beben."

„Oestreichs Aufgabe," fuhr er fort und wies die vor uns ausgebreitete Donau
hinab gen Osten, wo die Gebirge von Mähren und Ungarn den Gesichtskreis
schlössen, „Oestreichs Aufgabe ist die Verbreitung deutscher Bildung und deut¬
scher Gesittung in den Donauländern. Im Osten Deutschlands liegt, wie


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[0328] hatten sich für den Papst anwerben lassen. So kommen wir, sagten sie mir in liebenswürdiger Offenheit, umsonst bis Rom — und gehen dann zu Ga- ribaldi. — Finden Sie das nicht lustig: Oestreicher, die auf Staatskosten dem Reichsfeind in die Arme laufen?" Füge ich nun dieser extremen Stimme aus Oestreich noch die eines Wiener Studenten, „im letzten Semester" hinzu, so könnte man meinen, daß es unter der östreichischen Jugend eine Partei gibt, welche von einem un¬ ter Preußen geeinigten Deutschland eine Rettung Oestreichs er¬ wartet. An dem letzen Tage meines Aufenthalts in der Kaiserstadt bestieg ich den nahen Kahlenberg. Unterwegs gesellte sich ein Musensohn zu mir, ein geist¬ voller junger Mann von edler Gestalt mit großen, feurigen Augen. Als der¬ selbe hörte, daß ich ein Rheinländer sei, forschte er mit Begier nach unsern Zuständen und besonders — nach den Bestrebungen des Nationalvereins. Mit großer Anerkennung ließ er sich über Gervinus und Hauffer aus, deren Schrif¬ ten er mit seinen Gesinnungsgenossen las. „O!" rief er, „wollte Gott, daß man endlich bei uns lernte, sich vor dem Geiste zu beugen, statt ihn zu be¬ kämpfen. Mit dem Strome schwimmend würde Oestreich stark sein; gegen den¬ selben ringend, erschöpft es seine Kraft. Ließe man doch endlich den Kampf um die Herrschaft über Italien fahren, und schlüge selbst Venedig lieber um ein gutes Stück Geld los. das doch nur immer unser Stiefkind sein wird. Was vielen großen Kaisern trotz der angespanntesten Kraft nicht gelang, das ist wol kaum der Gegenwart beschicken. Sardinien ist die treibende Kraft jen¬ seits der Alpen; es hat ganz Italien durchsäuert, und eine neue freiheitliche Großmacht ist in dem Lande, das der Po durchströmt und der Appenin durch¬ schneidet, erstanden, die auf das Gefühl des gemeinsamen Baterlandes gebaut ist und einer schönen Zukunft entgegensieht. Die treibende Kraft diesseits der Alpen aber ist. so scheint es mir. Preußen, das wir nur immer Jungdeutsch¬ land nennen. Möchten doch die vereinigten Fürsten und Völker draußen im Reich erkennen, daß nur die Unterordnung unter diese Macht ihre Zukunft sichert, da sie allein ihnen die ausreichende Kraft zwischen zwei eroberungs¬ süchtigen Großstaaten zu schaffen im Stande ist. Möchte auch Oestreich nicht länger versuchen, aus Selbstsucht und Kurzsichtigkeit die Entwicklung Deutsch¬ lands zu hemmen. Deutschlands Stärke ist auch Oestreichs Stärke. Mit ihn, verbündet und mit seinen eignen Völkern durch das Geschenk voller Freiheit ausgesöhnt, braucht es vor keinem Feinde zu beben." „Oestreichs Aufgabe," fuhr er fort und wies die vor uns ausgebreitete Donau hinab gen Osten, wo die Gebirge von Mähren und Ungarn den Gesichtskreis schlössen, „Oestreichs Aufgabe ist die Verbreitung deutscher Bildung und deut¬ scher Gesittung in den Donauländern. Im Osten Deutschlands liegt, wie

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 19, 1860, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341594_110347/328>, abgerufen am 15.01.2025.