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Die Grenzboten. Jg. 19, 1860, II. Semester. IV. Band.

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Bei uns dagegen trägt die Finanzwirthschaft das Gepräge der Heimlichkeit
und Unlauterkeit und das allgemeine Mißtrauen ist so groß, daß viele Leute
ihr Silbergeld, wie in Kriegszeiten, verstecken. Unsre Vereinsthaler, Gulden-
stücke und Viertelguldenstücke sieht man, wie Sie selbst erfahren haben werden,
nur außerhalb des Landes. Läßt ein Fremder dergleichen im Kaiserstaate
blicken, so starrt der Oestreicher nicht selten die Münze mit seines eignen Für¬
sten Bildniß wie ein seltnes Schaustück an. Selbst die Sechser, die letzten
Mohikaner unsers Silbergeldes, verschwinden in erschreckender Weise. Trotz
der strengsten Verbote gehen sie zu Tausenden über die Grenze, weil man
dort vortheilhaft östreichisches Papiergeld dafür einkauft. So sind wir auf
Kupfer und Guldenscheine beschränkt, welche letzter" man zu zerstückeln genö¬
thigt ist, um Halbe- und Vlertelguldeu zu erzeugen. Geschäftsleute suchen sich
auch mit beliebigen Surrogaten der Münze zu behelfen, die nur Werth für
sie und ihre Kunden haben. Brief- und Stempelmarken cursiren als Scheide¬
münze. Bald werden wir in den Tauschhandel barbarischer Zeiten zurück¬
fallen, und man wird dem Schneider einen Rock mit so und so viel Säcken
Kartoffeln bezahlen. Daß wir Oestreicher uns scheuen, gegenwärtig eine Reise
ins Ausland zu machen, ist ganz natürlich, weil wir an unsern Guldenschei¬
nen enorme Verluste erleiden. Was will das aber sagen gegen die Verluste
des Geschäftsverkehrs überhaupt? In Folge dieser ungünstigen Sachlage du^t
der Staat jährlich viele Millionen ein."

Auch von Veruntreuungen sprach der Gutsbesitzer, wie man sie sonst nur
in Rußland erwartet. Jener General, meinte er, welcher die braven östrei¬
chischen Truppen im vorjährigen Feldzuge habe verschmachten lassen, indeß
die für den Soldaten bestimmten Ochsen andre Wege gegangen seien, stehe
durchaus nicht allein; er sei nur Einer von denen, die man ertappt und zur
Rechenschaft gezogen habe.

Als der Gutsbesitzer diese und ähnliche Klagen vor mir laut werden ließ,
bebten seine Lippen, und sein Gesicht glühte vor Zorn. "Sehen Sie, rief er,
diese von Gott gesegnete Gegend, diese rührigen, gutwilligen und auch kluge"
Menschen. Sind wir nicht ein Volk, das ebenso glücklich sein konnte, wie
viele andere Völker, ja glücklicher als manche, die jetzt voll Mißachtung auf
uns niedersehn?"

Auch die Industrie, fügte er hinzu, kann in unserm Staate, der noch
einer unendlichen Entwicklung in dieser Beziehung fähig ist, nicht recht auf¬
kommen, weil von oben her alles nach Laune angeordnet und gehandhabt
wird, cihne Consequenz, ohne Einsicht überhaupt, ohne Gerechtigkeit, ohne
guten Willen." "Ja, fügte er bitter hinzu, wenn sie sich besonderer Protec-
tion erfreuen, und am rechten Orte die rechten Federn springen lassen: dann


Bei uns dagegen trägt die Finanzwirthschaft das Gepräge der Heimlichkeit
und Unlauterkeit und das allgemeine Mißtrauen ist so groß, daß viele Leute
ihr Silbergeld, wie in Kriegszeiten, verstecken. Unsre Vereinsthaler, Gulden-
stücke und Viertelguldenstücke sieht man, wie Sie selbst erfahren haben werden,
nur außerhalb des Landes. Läßt ein Fremder dergleichen im Kaiserstaate
blicken, so starrt der Oestreicher nicht selten die Münze mit seines eignen Für¬
sten Bildniß wie ein seltnes Schaustück an. Selbst die Sechser, die letzten
Mohikaner unsers Silbergeldes, verschwinden in erschreckender Weise. Trotz
der strengsten Verbote gehen sie zu Tausenden über die Grenze, weil man
dort vortheilhaft östreichisches Papiergeld dafür einkauft. So sind wir auf
Kupfer und Guldenscheine beschränkt, welche letzter» man zu zerstückeln genö¬
thigt ist, um Halbe- und Vlertelguldeu zu erzeugen. Geschäftsleute suchen sich
auch mit beliebigen Surrogaten der Münze zu behelfen, die nur Werth für
sie und ihre Kunden haben. Brief- und Stempelmarken cursiren als Scheide¬
münze. Bald werden wir in den Tauschhandel barbarischer Zeiten zurück¬
fallen, und man wird dem Schneider einen Rock mit so und so viel Säcken
Kartoffeln bezahlen. Daß wir Oestreicher uns scheuen, gegenwärtig eine Reise
ins Ausland zu machen, ist ganz natürlich, weil wir an unsern Guldenschei¬
nen enorme Verluste erleiden. Was will das aber sagen gegen die Verluste
des Geschäftsverkehrs überhaupt? In Folge dieser ungünstigen Sachlage du^t
der Staat jährlich viele Millionen ein."

Auch von Veruntreuungen sprach der Gutsbesitzer, wie man sie sonst nur
in Rußland erwartet. Jener General, meinte er, welcher die braven östrei¬
chischen Truppen im vorjährigen Feldzuge habe verschmachten lassen, indeß
die für den Soldaten bestimmten Ochsen andre Wege gegangen seien, stehe
durchaus nicht allein; er sei nur Einer von denen, die man ertappt und zur
Rechenschaft gezogen habe.

Als der Gutsbesitzer diese und ähnliche Klagen vor mir laut werden ließ,
bebten seine Lippen, und sein Gesicht glühte vor Zorn. „Sehen Sie, rief er,
diese von Gott gesegnete Gegend, diese rührigen, gutwilligen und auch kluge»
Menschen. Sind wir nicht ein Volk, das ebenso glücklich sein konnte, wie
viele andere Völker, ja glücklicher als manche, die jetzt voll Mißachtung auf
uns niedersehn?"

Auch die Industrie, fügte er hinzu, kann in unserm Staate, der noch
einer unendlichen Entwicklung in dieser Beziehung fähig ist, nicht recht auf¬
kommen, weil von oben her alles nach Laune angeordnet und gehandhabt
wird, cihne Consequenz, ohne Einsicht überhaupt, ohne Gerechtigkeit, ohne
guten Willen." „Ja, fügte er bitter hinzu, wenn sie sich besonderer Protec-
tion erfreuen, und am rechten Orte die rechten Federn springen lassen: dann


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[0326] Bei uns dagegen trägt die Finanzwirthschaft das Gepräge der Heimlichkeit und Unlauterkeit und das allgemeine Mißtrauen ist so groß, daß viele Leute ihr Silbergeld, wie in Kriegszeiten, verstecken. Unsre Vereinsthaler, Gulden- stücke und Viertelguldenstücke sieht man, wie Sie selbst erfahren haben werden, nur außerhalb des Landes. Läßt ein Fremder dergleichen im Kaiserstaate blicken, so starrt der Oestreicher nicht selten die Münze mit seines eignen Für¬ sten Bildniß wie ein seltnes Schaustück an. Selbst die Sechser, die letzten Mohikaner unsers Silbergeldes, verschwinden in erschreckender Weise. Trotz der strengsten Verbote gehen sie zu Tausenden über die Grenze, weil man dort vortheilhaft östreichisches Papiergeld dafür einkauft. So sind wir auf Kupfer und Guldenscheine beschränkt, welche letzter» man zu zerstückeln genö¬ thigt ist, um Halbe- und Vlertelguldeu zu erzeugen. Geschäftsleute suchen sich auch mit beliebigen Surrogaten der Münze zu behelfen, die nur Werth für sie und ihre Kunden haben. Brief- und Stempelmarken cursiren als Scheide¬ münze. Bald werden wir in den Tauschhandel barbarischer Zeiten zurück¬ fallen, und man wird dem Schneider einen Rock mit so und so viel Säcken Kartoffeln bezahlen. Daß wir Oestreicher uns scheuen, gegenwärtig eine Reise ins Ausland zu machen, ist ganz natürlich, weil wir an unsern Guldenschei¬ nen enorme Verluste erleiden. Was will das aber sagen gegen die Verluste des Geschäftsverkehrs überhaupt? In Folge dieser ungünstigen Sachlage du^t der Staat jährlich viele Millionen ein." Auch von Veruntreuungen sprach der Gutsbesitzer, wie man sie sonst nur in Rußland erwartet. Jener General, meinte er, welcher die braven östrei¬ chischen Truppen im vorjährigen Feldzuge habe verschmachten lassen, indeß die für den Soldaten bestimmten Ochsen andre Wege gegangen seien, stehe durchaus nicht allein; er sei nur Einer von denen, die man ertappt und zur Rechenschaft gezogen habe. Als der Gutsbesitzer diese und ähnliche Klagen vor mir laut werden ließ, bebten seine Lippen, und sein Gesicht glühte vor Zorn. „Sehen Sie, rief er, diese von Gott gesegnete Gegend, diese rührigen, gutwilligen und auch kluge» Menschen. Sind wir nicht ein Volk, das ebenso glücklich sein konnte, wie viele andere Völker, ja glücklicher als manche, die jetzt voll Mißachtung auf uns niedersehn?" Auch die Industrie, fügte er hinzu, kann in unserm Staate, der noch einer unendlichen Entwicklung in dieser Beziehung fähig ist, nicht recht auf¬ kommen, weil von oben her alles nach Laune angeordnet und gehandhabt wird, cihne Consequenz, ohne Einsicht überhaupt, ohne Gerechtigkeit, ohne guten Willen." „Ja, fügte er bitter hinzu, wenn sie sich besonderer Protec- tion erfreuen, und am rechten Orte die rechten Federn springen lassen: dann

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 19, 1860, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341594_110347/326>, abgerufen am 16.01.2025.