Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 19, 1860, II. Semester. IV. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

schließen sei. Merkwürdigerweise hat ein junger Director aus Westphalen bei
der letzten Versammlung der Philologen und Schulmänner, welche gegen Ende
des Monats September in Braunschweig abgehalten wurde, sich dahin aus¬
gesprochen, daß man der Jugend die Feuerwaffe in die Hand gebe. -- Die
gedachte Circularversügung will auch die Schwimmübungcn und das Schlitt¬
schuhlaufen der Jugend an den genannten Schulanstalten unter die leitende
Obhut des Turnlehrers gestellt wissen.

Ueber ein Moment lassen uns die gedachten Verordnungen im Unklaren.
Es wird darauf hingewiesen, daß die Leibesübungen in eine so enge Ver¬
bindung mit dem ganzen Unterrichte gebracht werden sollen, daß selbst die
Pausen, wenn auch nur in einzelnen Abtheilungen, durch leichte gymnastische
Uebungen ausgefüllt werden sollen. Wenn man darunter nicht etwa die große
Pause zwischen Vor- und Nachmittag damit verstehen soll, was wol schwerlich
der Fall sein kann, so bestehen bis jetzt größere Pausen zwischen den einzelnen
Lectionen nicht. Wenn man also der Verfügung pünktlich nachkommen will,
so wird man natürlich erst darüber unterrichtet sein müssen, ob in der Organi¬
sation des Stundenplans jetzt eine Aenderung eintreten soll.

Das Turnwesen soll -- und darauf ist ein besonderer Nachdruck zu legen
-- überall den Geist der Gemeinsamkeit tragen und als solches in die Aeußerlich-
keit treten. Für diesen Zweck sollen dienen gemeinsame Kleidung, Fahnen und
andere mit der geschichtlichen Entwicklung der betreffenden Anstalt in Verbin¬
dung stehende Abzeichen, gemeinsamer Zug zum Turnplatz unter Trommelschlag
oder Absingung patriotischer Lieder, Gesang während des Turnens, jährliche
Turnfeste, wobei mit dem Probeturnen gemeinsame Spiele, Vorträge und Ge¬
sänge abwechseln, so wie gemeinsame Turnerfahrten.

Die Universitäten werden von den neuen Verordnungen in so sern berührt,
als auf denselben den Studirenden Gelegenheit geboten werden soll, die be¬
gonnene gymnastische Ausbildung fortzusetzen. Die diesen Zweck betreffen¬
den Einrichtungen sollen insbesondere den künftigen Schulmännern als Lehrer
der Gymnastik und den Theologen in ihrer Stellung als Schulrevisoren zu gut
kommen.

Wir begrüßen diese neue Einrichtung als einen Fortschritt in der Päda¬
gogik und wünschen eben deshalb, daß die Verordnungen bald zur That werde".
Die Erfahrung hat oft gelehrt, daß von der Verordnung zur Ausführung
ein weiter Raum liegt. Was das Motiv betrifft, durch welches das königliche
Ministerium zu jenen Verordnungen bestimmt worden, so sind die Freunde des
Turnwesens damit nicht ganz einverstanden. Die militärischen Zwecke, welche
man dabei im Auge gehabt, werden als die Hauptaufgabe des Turnwesens
uicht entsprechend bezeichnet. Der Turnrath in Berlin hat als Vertreter der


Gre"zi"um IV. 1860. 38

schließen sei. Merkwürdigerweise hat ein junger Director aus Westphalen bei
der letzten Versammlung der Philologen und Schulmänner, welche gegen Ende
des Monats September in Braunschweig abgehalten wurde, sich dahin aus¬
gesprochen, daß man der Jugend die Feuerwaffe in die Hand gebe. — Die
gedachte Circularversügung will auch die Schwimmübungcn und das Schlitt¬
schuhlaufen der Jugend an den genannten Schulanstalten unter die leitende
Obhut des Turnlehrers gestellt wissen.

Ueber ein Moment lassen uns die gedachten Verordnungen im Unklaren.
Es wird darauf hingewiesen, daß die Leibesübungen in eine so enge Ver¬
bindung mit dem ganzen Unterrichte gebracht werden sollen, daß selbst die
Pausen, wenn auch nur in einzelnen Abtheilungen, durch leichte gymnastische
Uebungen ausgefüllt werden sollen. Wenn man darunter nicht etwa die große
Pause zwischen Vor- und Nachmittag damit verstehen soll, was wol schwerlich
der Fall sein kann, so bestehen bis jetzt größere Pausen zwischen den einzelnen
Lectionen nicht. Wenn man also der Verfügung pünktlich nachkommen will,
so wird man natürlich erst darüber unterrichtet sein müssen, ob in der Organi¬
sation des Stundenplans jetzt eine Aenderung eintreten soll.

Das Turnwesen soll — und darauf ist ein besonderer Nachdruck zu legen
— überall den Geist der Gemeinsamkeit tragen und als solches in die Aeußerlich-
keit treten. Für diesen Zweck sollen dienen gemeinsame Kleidung, Fahnen und
andere mit der geschichtlichen Entwicklung der betreffenden Anstalt in Verbin¬
dung stehende Abzeichen, gemeinsamer Zug zum Turnplatz unter Trommelschlag
oder Absingung patriotischer Lieder, Gesang während des Turnens, jährliche
Turnfeste, wobei mit dem Probeturnen gemeinsame Spiele, Vorträge und Ge¬
sänge abwechseln, so wie gemeinsame Turnerfahrten.

Die Universitäten werden von den neuen Verordnungen in so sern berührt,
als auf denselben den Studirenden Gelegenheit geboten werden soll, die be¬
gonnene gymnastische Ausbildung fortzusetzen. Die diesen Zweck betreffen¬
den Einrichtungen sollen insbesondere den künftigen Schulmännern als Lehrer
der Gymnastik und den Theologen in ihrer Stellung als Schulrevisoren zu gut
kommen.

Wir begrüßen diese neue Einrichtung als einen Fortschritt in der Päda¬
gogik und wünschen eben deshalb, daß die Verordnungen bald zur That werde».
Die Erfahrung hat oft gelehrt, daß von der Verordnung zur Ausführung
ein weiter Raum liegt. Was das Motiv betrifft, durch welches das königliche
Ministerium zu jenen Verordnungen bestimmt worden, so sind die Freunde des
Turnwesens damit nicht ganz einverstanden. Die militärischen Zwecke, welche
man dabei im Auge gehabt, werden als die Hauptaufgabe des Turnwesens
uicht entsprechend bezeichnet. Der Turnrath in Berlin hat als Vertreter der


Gre»zi»um IV. 1860. 38
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0309" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/110657"/>
          <p xml:id="ID_891" prev="#ID_890"> schließen sei. Merkwürdigerweise hat ein junger Director aus Westphalen bei<lb/>
der letzten Versammlung der Philologen und Schulmänner, welche gegen Ende<lb/>
des Monats September in Braunschweig abgehalten wurde, sich dahin aus¬<lb/>
gesprochen, daß man der Jugend die Feuerwaffe in die Hand gebe. &#x2014; Die<lb/>
gedachte Circularversügung will auch die Schwimmübungcn und das Schlitt¬<lb/>
schuhlaufen der Jugend an den genannten Schulanstalten unter die leitende<lb/>
Obhut des Turnlehrers gestellt wissen.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_892"> Ueber ein Moment lassen uns die gedachten Verordnungen im Unklaren.<lb/>
Es wird darauf hingewiesen, daß die Leibesübungen in eine so enge Ver¬<lb/>
bindung mit dem ganzen Unterrichte gebracht werden sollen, daß selbst die<lb/>
Pausen, wenn auch nur in einzelnen Abtheilungen, durch leichte gymnastische<lb/>
Uebungen ausgefüllt werden sollen. Wenn man darunter nicht etwa die große<lb/>
Pause zwischen Vor- und Nachmittag damit verstehen soll, was wol schwerlich<lb/>
der Fall sein kann, so bestehen bis jetzt größere Pausen zwischen den einzelnen<lb/>
Lectionen nicht. Wenn man also der Verfügung pünktlich nachkommen will,<lb/>
so wird man natürlich erst darüber unterrichtet sein müssen, ob in der Organi¬<lb/>
sation des Stundenplans jetzt eine Aenderung eintreten soll.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_893"> Das Turnwesen soll &#x2014; und darauf ist ein besonderer Nachdruck zu legen<lb/>
&#x2014; überall den Geist der Gemeinsamkeit tragen und als solches in die Aeußerlich-<lb/>
keit treten. Für diesen Zweck sollen dienen gemeinsame Kleidung, Fahnen und<lb/>
andere mit der geschichtlichen Entwicklung der betreffenden Anstalt in Verbin¬<lb/>
dung stehende Abzeichen, gemeinsamer Zug zum Turnplatz unter Trommelschlag<lb/>
oder Absingung patriotischer Lieder, Gesang während des Turnens, jährliche<lb/>
Turnfeste, wobei mit dem Probeturnen gemeinsame Spiele, Vorträge und Ge¬<lb/>
sänge abwechseln, so wie gemeinsame Turnerfahrten.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_894"> Die Universitäten werden von den neuen Verordnungen in so sern berührt,<lb/>
als auf denselben den Studirenden Gelegenheit geboten werden soll, die be¬<lb/>
gonnene gymnastische Ausbildung fortzusetzen. Die diesen Zweck betreffen¬<lb/>
den Einrichtungen sollen insbesondere den künftigen Schulmännern als Lehrer<lb/>
der Gymnastik und den Theologen in ihrer Stellung als Schulrevisoren zu gut<lb/>
kommen.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_895" next="#ID_896"> Wir begrüßen diese neue Einrichtung als einen Fortschritt in der Päda¬<lb/>
gogik und wünschen eben deshalb, daß die Verordnungen bald zur That werde».<lb/>
Die Erfahrung hat oft gelehrt, daß von der Verordnung zur Ausführung<lb/>
ein weiter Raum liegt. Was das Motiv betrifft, durch welches das königliche<lb/>
Ministerium zu jenen Verordnungen bestimmt worden, so sind die Freunde des<lb/>
Turnwesens damit nicht ganz einverstanden. Die militärischen Zwecke, welche<lb/>
man dabei im Auge gehabt, werden als die Hauptaufgabe des Turnwesens<lb/>
uicht entsprechend bezeichnet.  Der Turnrath in Berlin hat als Vertreter der</p><lb/>
          <fw type="sig" place="bottom"> Gre»zi»um IV. 1860. 38</fw><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0309] schließen sei. Merkwürdigerweise hat ein junger Director aus Westphalen bei der letzten Versammlung der Philologen und Schulmänner, welche gegen Ende des Monats September in Braunschweig abgehalten wurde, sich dahin aus¬ gesprochen, daß man der Jugend die Feuerwaffe in die Hand gebe. — Die gedachte Circularversügung will auch die Schwimmübungcn und das Schlitt¬ schuhlaufen der Jugend an den genannten Schulanstalten unter die leitende Obhut des Turnlehrers gestellt wissen. Ueber ein Moment lassen uns die gedachten Verordnungen im Unklaren. Es wird darauf hingewiesen, daß die Leibesübungen in eine so enge Ver¬ bindung mit dem ganzen Unterrichte gebracht werden sollen, daß selbst die Pausen, wenn auch nur in einzelnen Abtheilungen, durch leichte gymnastische Uebungen ausgefüllt werden sollen. Wenn man darunter nicht etwa die große Pause zwischen Vor- und Nachmittag damit verstehen soll, was wol schwerlich der Fall sein kann, so bestehen bis jetzt größere Pausen zwischen den einzelnen Lectionen nicht. Wenn man also der Verfügung pünktlich nachkommen will, so wird man natürlich erst darüber unterrichtet sein müssen, ob in der Organi¬ sation des Stundenplans jetzt eine Aenderung eintreten soll. Das Turnwesen soll — und darauf ist ein besonderer Nachdruck zu legen — überall den Geist der Gemeinsamkeit tragen und als solches in die Aeußerlich- keit treten. Für diesen Zweck sollen dienen gemeinsame Kleidung, Fahnen und andere mit der geschichtlichen Entwicklung der betreffenden Anstalt in Verbin¬ dung stehende Abzeichen, gemeinsamer Zug zum Turnplatz unter Trommelschlag oder Absingung patriotischer Lieder, Gesang während des Turnens, jährliche Turnfeste, wobei mit dem Probeturnen gemeinsame Spiele, Vorträge und Ge¬ sänge abwechseln, so wie gemeinsame Turnerfahrten. Die Universitäten werden von den neuen Verordnungen in so sern berührt, als auf denselben den Studirenden Gelegenheit geboten werden soll, die be¬ gonnene gymnastische Ausbildung fortzusetzen. Die diesen Zweck betreffen¬ den Einrichtungen sollen insbesondere den künftigen Schulmännern als Lehrer der Gymnastik und den Theologen in ihrer Stellung als Schulrevisoren zu gut kommen. Wir begrüßen diese neue Einrichtung als einen Fortschritt in der Päda¬ gogik und wünschen eben deshalb, daß die Verordnungen bald zur That werde». Die Erfahrung hat oft gelehrt, daß von der Verordnung zur Ausführung ein weiter Raum liegt. Was das Motiv betrifft, durch welches das königliche Ministerium zu jenen Verordnungen bestimmt worden, so sind die Freunde des Turnwesens damit nicht ganz einverstanden. Die militärischen Zwecke, welche man dabei im Auge gehabt, werden als die Hauptaufgabe des Turnwesens uicht entsprechend bezeichnet. Der Turnrath in Berlin hat als Vertreter der Gre»zi»um IV. 1860. 38

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341594_110347
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341594_110347/309
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 19, 1860, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341594_110347/309>, abgerufen am 15.01.2025.