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Die Grenzboten. Jg. 19, 1860, II. Semester. IV. Band.

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täusche Krisis versäumt; eine Conjunctur, die sie so günstig nicht leicht wieder
kommt. In der italienischen Krisis hat es den Fehler begangen, von vorn¬
herein jede Möglichkeit einer Alternative abzuschneiden. Freilich darf man
gegen das jetzige Ministerium nicht ungerecht sein. Denn die italienische Krisis
war schon seit mehren Jahren vorbereitet, und Bündnisse der obigen Art
lassen sich nicht improvisiren. Victor Emanuel hat das sehr gut verstanden;
aber noch immer herrscht in Preußen der Grundsatz der "freien Hand" d. h.
des AbWartens, bis der Conflict losgegangen ist. um dann gewissermaßen als
Schiedsrichter aufzutreten. Diese Politik hätte nur dann einen Sinn, wenn
Preußen stärker wäre als beide Betheiligten zusammen, da dieser Schiedsrichter
sich darauf gefaßt machen muß, daß sich beide zusammen gegen ihn wenden.
Und daß sie auch für den Starken bedenklich ist, wird Napoleon noch einmal
zu seinem Schaden erfahren.

Manche von unsern Erinnerungen wird man auch in den Blättern finden,
welche gegen Preußen feindlich sind, oder man wird es wenigstens zwischen
den Zeilen lesen; ausgeplaudert haben wir nichts, denn was wir gesagt,
weiß alle Welt; nur die preußische Regierung vergißt es zuweilen. Darum
halten wir es grade für nöthig, den Staat, dem wir mit Leib und Seele an¬
gehören, unsrerseits fortwährend daran zu erinnern, daß es nur von ihm ab¬
hängt, stark zu sein. Gesinnungen, wie diejenigen, die wir ausgesprochen, be¬
seelen unser ganzes Volk. Wir predigen keine sogenannte Verstandcspvlitit:
der Verstand allein kann niemals große Zwecke setzen, nur dem Verein von
Verstand und Gefühl ist es möglich. Was wir für uns, was wir für Deutsch¬
land erstreben, erfüllt unser ganzes Herz und wir sind jedes Opfers dafür
fähig. Aber der Verstand, unfähig, den Zweck zu setzen, muß die Mittel fin¬
den, und hier darf das Gefühl keine Stimme haben. Der beste Politiker ist
der Mann der vollen und großen Leidenschaft, der aber diese Leidenschaft be¬
herrscht und die Augen offen behält; der schlechteste Politiker ist derjenige,
dessen Gefühl sich nicht in einer Sache concentrirt, sondern das sich allent¬
halben vordrängt, wo es nicht hingehört.

Und von dieser Art sind manche von unsern wohlmeinenden deutschen
Freunden, die gleich uns Preußen im Grunde lieben, aber keine Gelegenheit
versäumen, es zu tadeln. Preußen wegen der Mittel, die es anwendet, zu
tadeln, hat aber nach unsrer Meinung nur derjenige das Recht, der sich sei¬
nes Zieles klar bewußt ist und mit seinem Herzen wie mit seinem Verstand
daran festhält. Nie oder fast nie wird der Angehörige eines andern deutsche"
Staats, auch wenn er zu unsrer Partei gehört, so empfinden wie wir Preu¬
ßen; er muß verschiedne Gefühle gegen einander abwägen, um endlich zu
einem Resultat zu kommen. Aber kommen muß er dazu, sonst hat er kein
Recht in der Politik mitzusprechen. Diejenigen unsrer deutschen Brüder, die


täusche Krisis versäumt; eine Conjunctur, die sie so günstig nicht leicht wieder
kommt. In der italienischen Krisis hat es den Fehler begangen, von vorn¬
herein jede Möglichkeit einer Alternative abzuschneiden. Freilich darf man
gegen das jetzige Ministerium nicht ungerecht sein. Denn die italienische Krisis
war schon seit mehren Jahren vorbereitet, und Bündnisse der obigen Art
lassen sich nicht improvisiren. Victor Emanuel hat das sehr gut verstanden;
aber noch immer herrscht in Preußen der Grundsatz der „freien Hand" d. h.
des AbWartens, bis der Conflict losgegangen ist. um dann gewissermaßen als
Schiedsrichter aufzutreten. Diese Politik hätte nur dann einen Sinn, wenn
Preußen stärker wäre als beide Betheiligten zusammen, da dieser Schiedsrichter
sich darauf gefaßt machen muß, daß sich beide zusammen gegen ihn wenden.
Und daß sie auch für den Starken bedenklich ist, wird Napoleon noch einmal
zu seinem Schaden erfahren.

Manche von unsern Erinnerungen wird man auch in den Blättern finden,
welche gegen Preußen feindlich sind, oder man wird es wenigstens zwischen
den Zeilen lesen; ausgeplaudert haben wir nichts, denn was wir gesagt,
weiß alle Welt; nur die preußische Regierung vergißt es zuweilen. Darum
halten wir es grade für nöthig, den Staat, dem wir mit Leib und Seele an¬
gehören, unsrerseits fortwährend daran zu erinnern, daß es nur von ihm ab¬
hängt, stark zu sein. Gesinnungen, wie diejenigen, die wir ausgesprochen, be¬
seelen unser ganzes Volk. Wir predigen keine sogenannte Verstandcspvlitit:
der Verstand allein kann niemals große Zwecke setzen, nur dem Verein von
Verstand und Gefühl ist es möglich. Was wir für uns, was wir für Deutsch¬
land erstreben, erfüllt unser ganzes Herz und wir sind jedes Opfers dafür
fähig. Aber der Verstand, unfähig, den Zweck zu setzen, muß die Mittel fin¬
den, und hier darf das Gefühl keine Stimme haben. Der beste Politiker ist
der Mann der vollen und großen Leidenschaft, der aber diese Leidenschaft be¬
herrscht und die Augen offen behält; der schlechteste Politiker ist derjenige,
dessen Gefühl sich nicht in einer Sache concentrirt, sondern das sich allent¬
halben vordrängt, wo es nicht hingehört.

Und von dieser Art sind manche von unsern wohlmeinenden deutschen
Freunden, die gleich uns Preußen im Grunde lieben, aber keine Gelegenheit
versäumen, es zu tadeln. Preußen wegen der Mittel, die es anwendet, zu
tadeln, hat aber nach unsrer Meinung nur derjenige das Recht, der sich sei¬
nes Zieles klar bewußt ist und mit seinem Herzen wie mit seinem Verstand
daran festhält. Nie oder fast nie wird der Angehörige eines andern deutsche»
Staats, auch wenn er zu unsrer Partei gehört, so empfinden wie wir Preu¬
ßen; er muß verschiedne Gefühle gegen einander abwägen, um endlich zu
einem Resultat zu kommen. Aber kommen muß er dazu, sonst hat er kein
Recht in der Politik mitzusprechen. Diejenigen unsrer deutschen Brüder, die


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[0290] täusche Krisis versäumt; eine Conjunctur, die sie so günstig nicht leicht wieder kommt. In der italienischen Krisis hat es den Fehler begangen, von vorn¬ herein jede Möglichkeit einer Alternative abzuschneiden. Freilich darf man gegen das jetzige Ministerium nicht ungerecht sein. Denn die italienische Krisis war schon seit mehren Jahren vorbereitet, und Bündnisse der obigen Art lassen sich nicht improvisiren. Victor Emanuel hat das sehr gut verstanden; aber noch immer herrscht in Preußen der Grundsatz der „freien Hand" d. h. des AbWartens, bis der Conflict losgegangen ist. um dann gewissermaßen als Schiedsrichter aufzutreten. Diese Politik hätte nur dann einen Sinn, wenn Preußen stärker wäre als beide Betheiligten zusammen, da dieser Schiedsrichter sich darauf gefaßt machen muß, daß sich beide zusammen gegen ihn wenden. Und daß sie auch für den Starken bedenklich ist, wird Napoleon noch einmal zu seinem Schaden erfahren. Manche von unsern Erinnerungen wird man auch in den Blättern finden, welche gegen Preußen feindlich sind, oder man wird es wenigstens zwischen den Zeilen lesen; ausgeplaudert haben wir nichts, denn was wir gesagt, weiß alle Welt; nur die preußische Regierung vergißt es zuweilen. Darum halten wir es grade für nöthig, den Staat, dem wir mit Leib und Seele an¬ gehören, unsrerseits fortwährend daran zu erinnern, daß es nur von ihm ab¬ hängt, stark zu sein. Gesinnungen, wie diejenigen, die wir ausgesprochen, be¬ seelen unser ganzes Volk. Wir predigen keine sogenannte Verstandcspvlitit: der Verstand allein kann niemals große Zwecke setzen, nur dem Verein von Verstand und Gefühl ist es möglich. Was wir für uns, was wir für Deutsch¬ land erstreben, erfüllt unser ganzes Herz und wir sind jedes Opfers dafür fähig. Aber der Verstand, unfähig, den Zweck zu setzen, muß die Mittel fin¬ den, und hier darf das Gefühl keine Stimme haben. Der beste Politiker ist der Mann der vollen und großen Leidenschaft, der aber diese Leidenschaft be¬ herrscht und die Augen offen behält; der schlechteste Politiker ist derjenige, dessen Gefühl sich nicht in einer Sache concentrirt, sondern das sich allent¬ halben vordrängt, wo es nicht hingehört. Und von dieser Art sind manche von unsern wohlmeinenden deutschen Freunden, die gleich uns Preußen im Grunde lieben, aber keine Gelegenheit versäumen, es zu tadeln. Preußen wegen der Mittel, die es anwendet, zu tadeln, hat aber nach unsrer Meinung nur derjenige das Recht, der sich sei¬ nes Zieles klar bewußt ist und mit seinem Herzen wie mit seinem Verstand daran festhält. Nie oder fast nie wird der Angehörige eines andern deutsche» Staats, auch wenn er zu unsrer Partei gehört, so empfinden wie wir Preu¬ ßen; er muß verschiedne Gefühle gegen einander abwägen, um endlich zu einem Resultat zu kommen. Aber kommen muß er dazu, sonst hat er kein Recht in der Politik mitzusprechen. Diejenigen unsrer deutschen Brüder, die

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 19, 1860, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341594_110347/290>, abgerufen am 15.01.2025.