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Die Grenzboten. Jg. 19, 1860, II. Semester. IV. Band.

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ein Morast bleibt, um im Trüben fischen zu können, Victor Emanuel tadeln,
so finden wir das ganz natürlich; wenn aber diejenigen ihn tadeln, welche
für Italien eine bessere Gesinnung hegen, so mögen sie doch einmal sagen,
was er denn eigentlich hätte thun sollen. Es ist freilich viel schöner und
großartiger, immer offen und grade zu handeln; aber diese Politik kann nur
der Starke befolgen; der Schwache muß die Umstände und die Gelegenheit
benutzen, die sich ihm bietet. Die bisherige" Regierungen Italiens sind durch
fremde Bajonette erhalten; wer wollte es dem König Victor Emanuel ver¬
argen, wenn er fremde Bajonette gleichfalls nicht verschmäht! Sein ganzer
Charakter bürgt dafür, daß er sie nur so lange gebrauchen wird, als es un¬
umgänglich nöthig ist. Ader Soldaten braucht er in der That, um "Italien
zu machen".

Dies ist der Standpunkt, auf welchen sich Lord John Russel in seiner
neusten Note stellt. Um dies Aktenstück richtig zu würdigen, muß man in
Anschlag bringen, an wen es gerichtet ist. Erstens ist es an die englische
Nation gerichtet, um ihr zu sagen, daß die Negierung sich mit ihr in Ueber¬
einstimmung befindet und nicht, wie die preußische Zeitung nach Koblenz ver¬
muthen ließ, mit den Gegnern Italiens. Zweitens ist es an die Königin
Victoria gerichtet, die es darauf aufmerksam macht, daß die Krone, welche sie
trägt, einem glücklichen Attentat ihren Ursprung verdankt. Wilhelm von Dra¬
men fiel mitten im Frieden in England ein, veranlaßte die Unterthanen seines
Schwiegervaters zur Empörung und usurpirte den Thron, der ihm nicht gebührte,
theils durch seine Waffen, theils durch einen Parlamentsbeschluß. Das war nicht
sein; aber es war nöthig, um England ans dem Morast zu retten, in welchen es
die legitime Familie der Stuarts immer tiefer versinken ließ. Drittens ist die
Note an den Kaiser Napoleon gerichtet, um ihm vor den Augen aller Welt zu er¬
klären, wie England den Brief an Persigny auffaßt, ihm die Bedingungen
festzustellen, unter denen er auf Englands Freundschaft rechnen kann. Es ist
neuerdings Mode geworden, diese Freundschaft gering anzuschlagen; ob mit
Recht oder Unrecht, das mag hier unerörtert bleiben: jedenfalls schlüge sie der
.Kaiser Napoleon nicht gering an, und darum ist die Note mehr als ein blo¬
ßes Schriftstück, welches als schätzbares Material zu den Acten gelegt wird.

Viertens endlich gilt die Note uns. Wir haben uns gemüßigt gesehn,
der Turiner Regierung in einer Note, die viel correcter und eleganter geschrie¬
ben ist als die des Lord John, eine Vorlesung über das höhere Staatsrecht
zu halten. Lord John, in seiner Art ein Humorist, erzählt uns, daß er auch
de" Vattel gelesen hat, und theilt uns einige närrische Fragmente daraus
mit; dann aber fügt er hinzu, er habe eigentlich keine Zeit sich auf solche
Vorlesungen einzulassen, und erinnere sich nur aus den Erfahrungen des ge¬
meinen Lebens an den alten Spruch: daß, wer den Zweck wolle, auch dieje-


ein Morast bleibt, um im Trüben fischen zu können, Victor Emanuel tadeln,
so finden wir das ganz natürlich; wenn aber diejenigen ihn tadeln, welche
für Italien eine bessere Gesinnung hegen, so mögen sie doch einmal sagen,
was er denn eigentlich hätte thun sollen. Es ist freilich viel schöner und
großartiger, immer offen und grade zu handeln; aber diese Politik kann nur
der Starke befolgen; der Schwache muß die Umstände und die Gelegenheit
benutzen, die sich ihm bietet. Die bisherige» Regierungen Italiens sind durch
fremde Bajonette erhalten; wer wollte es dem König Victor Emanuel ver¬
argen, wenn er fremde Bajonette gleichfalls nicht verschmäht! Sein ganzer
Charakter bürgt dafür, daß er sie nur so lange gebrauchen wird, als es un¬
umgänglich nöthig ist. Ader Soldaten braucht er in der That, um „Italien
zu machen".

Dies ist der Standpunkt, auf welchen sich Lord John Russel in seiner
neusten Note stellt. Um dies Aktenstück richtig zu würdigen, muß man in
Anschlag bringen, an wen es gerichtet ist. Erstens ist es an die englische
Nation gerichtet, um ihr zu sagen, daß die Negierung sich mit ihr in Ueber¬
einstimmung befindet und nicht, wie die preußische Zeitung nach Koblenz ver¬
muthen ließ, mit den Gegnern Italiens. Zweitens ist es an die Königin
Victoria gerichtet, die es darauf aufmerksam macht, daß die Krone, welche sie
trägt, einem glücklichen Attentat ihren Ursprung verdankt. Wilhelm von Dra¬
men fiel mitten im Frieden in England ein, veranlaßte die Unterthanen seines
Schwiegervaters zur Empörung und usurpirte den Thron, der ihm nicht gebührte,
theils durch seine Waffen, theils durch einen Parlamentsbeschluß. Das war nicht
sein; aber es war nöthig, um England ans dem Morast zu retten, in welchen es
die legitime Familie der Stuarts immer tiefer versinken ließ. Drittens ist die
Note an den Kaiser Napoleon gerichtet, um ihm vor den Augen aller Welt zu er¬
klären, wie England den Brief an Persigny auffaßt, ihm die Bedingungen
festzustellen, unter denen er auf Englands Freundschaft rechnen kann. Es ist
neuerdings Mode geworden, diese Freundschaft gering anzuschlagen; ob mit
Recht oder Unrecht, das mag hier unerörtert bleiben: jedenfalls schlüge sie der
.Kaiser Napoleon nicht gering an, und darum ist die Note mehr als ein blo¬
ßes Schriftstück, welches als schätzbares Material zu den Acten gelegt wird.

Viertens endlich gilt die Note uns. Wir haben uns gemüßigt gesehn,
der Turiner Regierung in einer Note, die viel correcter und eleganter geschrie¬
ben ist als die des Lord John, eine Vorlesung über das höhere Staatsrecht
zu halten. Lord John, in seiner Art ein Humorist, erzählt uns, daß er auch
de» Vattel gelesen hat, und theilt uns einige närrische Fragmente daraus
mit; dann aber fügt er hinzu, er habe eigentlich keine Zeit sich auf solche
Vorlesungen einzulassen, und erinnere sich nur aus den Erfahrungen des ge¬
meinen Lebens an den alten Spruch: daß, wer den Zweck wolle, auch dieje-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 19, 1860, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341594_110347/286>, abgerufen am 15.01.2025.