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Die Grenzboten. Jg. 19, 1860, II. Semester. IV. Band.

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wol während der Trauung als der gleich darauf folgenden übrigen Vornah¬
men mit zierlicher Verneigung das Geleit zu geben. Anderwärts darf nur
Brautführer und Ehreninutter das Paar bis vorn an den Altar begleiten.
Nach der Trauung erfolgt ein Opfergang mit Niederlegung von kleinen Spen¬
den auf die Stufen des Altars, dessen Schluß die Ausspendung des vom
Priester geweihten Johannisweines an das Brautpaar, vielfach auch an alle
Gäste, bildet. Dabei geht das Brautpaar voran und trinkt dreimal, ihm
folgen das Kranz- und Ehrenpaar, dann die Uebrigen; am unteren Jnn wird
nur dem Brautpaar vom Pfarrer, den andern Gästen vom Hochzcitlader der
Kelch gereicht. Häufig wird auch nach der Trauung ein Dankamt gehalten,
wobei der Organist seine heitersten Künste zum Besten gibt. Darauf geht
man in manchen Gegenden still aus der Kirche auf den daran liegenden
Kirchhof und betet vereinzelt an den Gräbern der Verwandten ein Paar
Vaterunser.

Nach Vollzug dieser kirchlichen und ernsten Handlungen aber tritt die
weltliche Fröhlichkeit des Festes sofort wieder lebhaft in ihr Recht; aus der
Kirche oder vom Kirchhof hinweg wird mit lautem Jubel in das Wirthshaus
marschirt, häusig in derselben, hie und da in umgekehrter Ordnung des ersten
Zuges. Unter der Thüre des Gasthauses steht in bestem Putz der freundliche
Herr Wirth, welcher das Brautpaar und alle Geladenen mit deutschem Hand¬
schlag und freudigem "Grüßgott" empfängt. Gewöhnlich bei Gelegenheit des
Zuges von der Kirche nach dem Gotteshaus -- hie und da auch später --
wird der sogenannte "Brautlauf" oder "Schlüssellauf" gehalten. Vom
Gemcindediener oder vom Hochzeitlader wird das Ziel abgesteckt und die Bahn
für die Läufer bezeichnet und nun beginnen die rüstigsten und flinksten Bursche
unter den Gästen, schon von der Kirchthüre an in grotesken Sprüngen Vor
dem Brautpaare hertanzend, und nun bis auf Hemd und Hose entkleidet und
unbeschuht, den Wettlauf. Die Ziele -- 300 und 400 Schritte weit -- werden
gebildet durch zwei Lagen Streu; wer das ferner gelegte zuerst erreicht, hat
den höchsten Preis und so abwärts; im Berchtesgadnerland wird statt oder
neben diesem Wettlauf ein Sacklausen oder Eiertreten vor der Thür des Wirths¬
hauses aufgeführt. Die Preise sind verschieden bestimmt; regelmäßig erhält
der Erste einen vergoldeten Holzschlüssel, der ihm an den Hut gebunden wird,
nebst dem höchsten Geldbetrag, die niedern Preise bestehen in Befreiung von
den Mahlkosten, in kleinen Geldbeträgen oder Geschenken von Putz und Zier¬
rath. Von dem letzten Läufer heißt es: "er hat die Sau"*) und er wird
demgemäß an Hut und Rücken mit Schweineschweifchen verziert."

Dieser Gebrauch des Brautlaufs, der sich bei allen deutschen Stämmen
bis hinauf zu den Nordfriesen an der Westseite Schleswigs einst vorfand, war



") vgl. Schwelln^!!, p, 99, 100. 177. II. p. S01. 602.

wol während der Trauung als der gleich darauf folgenden übrigen Vornah¬
men mit zierlicher Verneigung das Geleit zu geben. Anderwärts darf nur
Brautführer und Ehreninutter das Paar bis vorn an den Altar begleiten.
Nach der Trauung erfolgt ein Opfergang mit Niederlegung von kleinen Spen¬
den auf die Stufen des Altars, dessen Schluß die Ausspendung des vom
Priester geweihten Johannisweines an das Brautpaar, vielfach auch an alle
Gäste, bildet. Dabei geht das Brautpaar voran und trinkt dreimal, ihm
folgen das Kranz- und Ehrenpaar, dann die Uebrigen; am unteren Jnn wird
nur dem Brautpaar vom Pfarrer, den andern Gästen vom Hochzcitlader der
Kelch gereicht. Häufig wird auch nach der Trauung ein Dankamt gehalten,
wobei der Organist seine heitersten Künste zum Besten gibt. Darauf geht
man in manchen Gegenden still aus der Kirche auf den daran liegenden
Kirchhof und betet vereinzelt an den Gräbern der Verwandten ein Paar
Vaterunser.

Nach Vollzug dieser kirchlichen und ernsten Handlungen aber tritt die
weltliche Fröhlichkeit des Festes sofort wieder lebhaft in ihr Recht; aus der
Kirche oder vom Kirchhof hinweg wird mit lautem Jubel in das Wirthshaus
marschirt, häusig in derselben, hie und da in umgekehrter Ordnung des ersten
Zuges. Unter der Thüre des Gasthauses steht in bestem Putz der freundliche
Herr Wirth, welcher das Brautpaar und alle Geladenen mit deutschem Hand¬
schlag und freudigem „Grüßgott" empfängt. Gewöhnlich bei Gelegenheit des
Zuges von der Kirche nach dem Gotteshaus — hie und da auch später —
wird der sogenannte „Brautlauf" oder „Schlüssellauf" gehalten. Vom
Gemcindediener oder vom Hochzeitlader wird das Ziel abgesteckt und die Bahn
für die Läufer bezeichnet und nun beginnen die rüstigsten und flinksten Bursche
unter den Gästen, schon von der Kirchthüre an in grotesken Sprüngen Vor
dem Brautpaare hertanzend, und nun bis auf Hemd und Hose entkleidet und
unbeschuht, den Wettlauf. Die Ziele — 300 und 400 Schritte weit — werden
gebildet durch zwei Lagen Streu; wer das ferner gelegte zuerst erreicht, hat
den höchsten Preis und so abwärts; im Berchtesgadnerland wird statt oder
neben diesem Wettlauf ein Sacklausen oder Eiertreten vor der Thür des Wirths¬
hauses aufgeführt. Die Preise sind verschieden bestimmt; regelmäßig erhält
der Erste einen vergoldeten Holzschlüssel, der ihm an den Hut gebunden wird,
nebst dem höchsten Geldbetrag, die niedern Preise bestehen in Befreiung von
den Mahlkosten, in kleinen Geldbeträgen oder Geschenken von Putz und Zier¬
rath. Von dem letzten Läufer heißt es: „er hat die Sau"*) und er wird
demgemäß an Hut und Rücken mit Schweineschweifchen verziert."

Dieser Gebrauch des Brautlaufs, der sich bei allen deutschen Stämmen
bis hinauf zu den Nordfriesen an der Westseite Schleswigs einst vorfand, war



") vgl. Schwelln^!!, p, 99, 100. 177. II. p. S01. 602.
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[0273] wol während der Trauung als der gleich darauf folgenden übrigen Vornah¬ men mit zierlicher Verneigung das Geleit zu geben. Anderwärts darf nur Brautführer und Ehreninutter das Paar bis vorn an den Altar begleiten. Nach der Trauung erfolgt ein Opfergang mit Niederlegung von kleinen Spen¬ den auf die Stufen des Altars, dessen Schluß die Ausspendung des vom Priester geweihten Johannisweines an das Brautpaar, vielfach auch an alle Gäste, bildet. Dabei geht das Brautpaar voran und trinkt dreimal, ihm folgen das Kranz- und Ehrenpaar, dann die Uebrigen; am unteren Jnn wird nur dem Brautpaar vom Pfarrer, den andern Gästen vom Hochzcitlader der Kelch gereicht. Häufig wird auch nach der Trauung ein Dankamt gehalten, wobei der Organist seine heitersten Künste zum Besten gibt. Darauf geht man in manchen Gegenden still aus der Kirche auf den daran liegenden Kirchhof und betet vereinzelt an den Gräbern der Verwandten ein Paar Vaterunser. Nach Vollzug dieser kirchlichen und ernsten Handlungen aber tritt die weltliche Fröhlichkeit des Festes sofort wieder lebhaft in ihr Recht; aus der Kirche oder vom Kirchhof hinweg wird mit lautem Jubel in das Wirthshaus marschirt, häusig in derselben, hie und da in umgekehrter Ordnung des ersten Zuges. Unter der Thüre des Gasthauses steht in bestem Putz der freundliche Herr Wirth, welcher das Brautpaar und alle Geladenen mit deutschem Hand¬ schlag und freudigem „Grüßgott" empfängt. Gewöhnlich bei Gelegenheit des Zuges von der Kirche nach dem Gotteshaus — hie und da auch später — wird der sogenannte „Brautlauf" oder „Schlüssellauf" gehalten. Vom Gemcindediener oder vom Hochzeitlader wird das Ziel abgesteckt und die Bahn für die Läufer bezeichnet und nun beginnen die rüstigsten und flinksten Bursche unter den Gästen, schon von der Kirchthüre an in grotesken Sprüngen Vor dem Brautpaare hertanzend, und nun bis auf Hemd und Hose entkleidet und unbeschuht, den Wettlauf. Die Ziele — 300 und 400 Schritte weit — werden gebildet durch zwei Lagen Streu; wer das ferner gelegte zuerst erreicht, hat den höchsten Preis und so abwärts; im Berchtesgadnerland wird statt oder neben diesem Wettlauf ein Sacklausen oder Eiertreten vor der Thür des Wirths¬ hauses aufgeführt. Die Preise sind verschieden bestimmt; regelmäßig erhält der Erste einen vergoldeten Holzschlüssel, der ihm an den Hut gebunden wird, nebst dem höchsten Geldbetrag, die niedern Preise bestehen in Befreiung von den Mahlkosten, in kleinen Geldbeträgen oder Geschenken von Putz und Zier¬ rath. Von dem letzten Läufer heißt es: „er hat die Sau"*) und er wird demgemäß an Hut und Rücken mit Schweineschweifchen verziert." Dieser Gebrauch des Brautlaufs, der sich bei allen deutschen Stämmen bis hinauf zu den Nordfriesen an der Westseite Schleswigs einst vorfand, war ") vgl. Schwelln^!!, p, 99, 100. 177. II. p. S01. 602.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 19, 1860, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341594_110347/273>, abgerufen am 15.01.2025.