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Die Grenzboten. Jg. 19, 1860, II. Semester. IV. Band.

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wen, im Gefängniß an seinem Tragband erhängt. Um das Maß der Schande
voll zu machen, ließ der Polizeimeister aussprengen, der Arrestat habe einem
Mitgefangnen vor seinem Tode gestanden, daß er eine Petition gefälscht und
ins Zuchthaus zu kommen erwarte, weshalb anzunehmen sei, daß er sich aus
Furcht das Leben genommen -- eine freche Lüge, da eine Unterredung mit
jenem Gefangnen, der eines gemeinen Verbrechens halber bald darauf ins
Zuchthaus abgeführt wurde, so gut wie undenkbar, und Gerte überdies ein durch¬
aus redlicher Charakter war, der als fleißiger Handwerker im besten Rufe stand.

Die Aufregung, welche die Kunde von diesem Vorfall in der Stadt hervor¬
rief, war ungeheuer. Sie war so groß, daß der Polizcimeister es gerathen
fand, den andern Arrestaten in dieser Sache, der ebenfalls neun Tage ohne
Verhör gesessen, sofort zu entlassen. Um sich indeß nicht bloß zu stellen, gab
er als Grund dafür an, daß Stender wahnsinnig sei -- eine zweite Lüge, die
noch überdies eine ungeschickte war, da jener, wenn er an Wahnsinn gelitten
hätte, diesen nur der neuntägigen Haft hätte verdanken können.

Gerte's Leiche wurde von zwölf Mitgliedern des Gesangvereins vom Rath¬
haus, wo er eingekerkert gewesen, nach der Wohnung seines alten Vaters ge¬
tragen, den er mit seiner Hände Arbeit ernährt hatte, und es verlautete, daß
die ganze Stadt sich anschicke, bei der Beerdigung dem Sarge zu folgen. Eine
solche Ehrenerweisung für den todten Aufrührer kounte der Polizeimeister nicht
dulden. Er erlaubte nur dem Vater und einem Schwager, dem Verstorbenen
das letzte Geleit zu geben; alle Andern, selbst Verwandte, waren davon aus¬
geschlossen. Um dieses Verbot durchführen zu können und das Volk vom Kirch¬
hof entfernt zu halten, verlangte er von dem commandirenden General Müller
ein Commando Soldaten. Der General lehnte das mit dem Bemerken ab,
daß ihm die ruhige Haltung der Bürger seit Jahren bekannt sei und jene
Maßregel nur dazu dienen würde, die Aufregung zu vermehren. Vergeblich.
Die Polizei in Schleswig ist nicht nur angesehener und mächtiger als der
Richterstand, sie nöthigt auch dem Militär ihren Willen auf. Polizeimeister
Jörgensen telegraphirte nach Kopenhagen, und sofort erfolgte von dort der
Befehl an den General, die verlangten Mannschaften zu stellen. So wurde
eine Compagnie mit scharfgeladnem Gewehr auf den Kirchhof postirt, andere
Truppen besetzten die Aufgänge nach der dorthin führenden Allee, und die
ganze Straße, die der Leichenzug zu Passiren hatte, wimmelte von Gendarmen
und Polizisten, die, als der Leichenwagen -- unter Vortritt des Polizeimeisters!
-- sich in Bewegung setzte, denselben begleiteten, um jeden, der zu folgen
Miene machte, zurückzutreiben. Nur den genannten beiden Verwandten gestat¬
tete man, mit bis an das Grab zu gehn. "Folgt denn niemand mehr?" rief
der alte Vater sich umschauend aus. Man hatte ihm verschwiegen, wie sein
Sohn geendet.


wen, im Gefängniß an seinem Tragband erhängt. Um das Maß der Schande
voll zu machen, ließ der Polizeimeister aussprengen, der Arrestat habe einem
Mitgefangnen vor seinem Tode gestanden, daß er eine Petition gefälscht und
ins Zuchthaus zu kommen erwarte, weshalb anzunehmen sei, daß er sich aus
Furcht das Leben genommen — eine freche Lüge, da eine Unterredung mit
jenem Gefangnen, der eines gemeinen Verbrechens halber bald darauf ins
Zuchthaus abgeführt wurde, so gut wie undenkbar, und Gerte überdies ein durch¬
aus redlicher Charakter war, der als fleißiger Handwerker im besten Rufe stand.

Die Aufregung, welche die Kunde von diesem Vorfall in der Stadt hervor¬
rief, war ungeheuer. Sie war so groß, daß der Polizcimeister es gerathen
fand, den andern Arrestaten in dieser Sache, der ebenfalls neun Tage ohne
Verhör gesessen, sofort zu entlassen. Um sich indeß nicht bloß zu stellen, gab
er als Grund dafür an, daß Stender wahnsinnig sei — eine zweite Lüge, die
noch überdies eine ungeschickte war, da jener, wenn er an Wahnsinn gelitten
hätte, diesen nur der neuntägigen Haft hätte verdanken können.

Gerte's Leiche wurde von zwölf Mitgliedern des Gesangvereins vom Rath¬
haus, wo er eingekerkert gewesen, nach der Wohnung seines alten Vaters ge¬
tragen, den er mit seiner Hände Arbeit ernährt hatte, und es verlautete, daß
die ganze Stadt sich anschicke, bei der Beerdigung dem Sarge zu folgen. Eine
solche Ehrenerweisung für den todten Aufrührer kounte der Polizeimeister nicht
dulden. Er erlaubte nur dem Vater und einem Schwager, dem Verstorbenen
das letzte Geleit zu geben; alle Andern, selbst Verwandte, waren davon aus¬
geschlossen. Um dieses Verbot durchführen zu können und das Volk vom Kirch¬
hof entfernt zu halten, verlangte er von dem commandirenden General Müller
ein Commando Soldaten. Der General lehnte das mit dem Bemerken ab,
daß ihm die ruhige Haltung der Bürger seit Jahren bekannt sei und jene
Maßregel nur dazu dienen würde, die Aufregung zu vermehren. Vergeblich.
Die Polizei in Schleswig ist nicht nur angesehener und mächtiger als der
Richterstand, sie nöthigt auch dem Militär ihren Willen auf. Polizeimeister
Jörgensen telegraphirte nach Kopenhagen, und sofort erfolgte von dort der
Befehl an den General, die verlangten Mannschaften zu stellen. So wurde
eine Compagnie mit scharfgeladnem Gewehr auf den Kirchhof postirt, andere
Truppen besetzten die Aufgänge nach der dorthin führenden Allee, und die
ganze Straße, die der Leichenzug zu Passiren hatte, wimmelte von Gendarmen
und Polizisten, die, als der Leichenwagen — unter Vortritt des Polizeimeisters!
— sich in Bewegung setzte, denselben begleiteten, um jeden, der zu folgen
Miene machte, zurückzutreiben. Nur den genannten beiden Verwandten gestat¬
tete man, mit bis an das Grab zu gehn. „Folgt denn niemand mehr?" rief
der alte Vater sich umschauend aus. Man hatte ihm verschwiegen, wie sein
Sohn geendet.


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 19, 1860, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341594_110347/25>, abgerufen am 15.01.2025.