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Die Grenzboten. Jg. 19, 1860, II. Semester. IV. Band.

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Viel Ungerechtes und Verletzendes ist den Altbayern nachgerufen und nach,
geschrieben worden wegen ihres Nationalgetränks, "Besonders haben sich die
Schnapslander stets am meisten moquirt über diese Stammeseigenthümlichkeit,
obgleich sie selber, wenn sie einmal über Donau und Lech hereingebro¬
chen, an diesem flüssigen Lotos ein tiefes Gefallen zu finden beginnen und
selbst zur Polizeistunde oft nur mit sanfter Gewalt aus den Wirthshäusern
hinauszuschaffen sind. In der That ist es auch, mäßig genossen, ein lieblicher
Trank, gesellig und friedlich, weil es viel langsamer als der Wein zur Be¬
rauschung, zu Lärm und Streit verführt, billig und vor allem republicanisch,
da es der Fürst, der König nicht anders erhält als der Bettler. Wenn die
Altbayern aus der leipziger Messe weniger literarische Kleinodien auslegen als
die meisten andern Deutschen, so ist dies, wenn nicht ihrer Bescheidenheit, so
sicher auch nicht ihrem Nationaltrank zuzuschreiben, sondern eher ihrer Vorliebe
für Ackerbau und Viehzucht, wie ja auch die Arkadier im alten Griechenland
keinen Homer und keine Tragiker erzeugten und auch heute noch die Pommern,
die Märker, die Mecklenburger dasselbe thun oder vielmehr unterlassen. Daß
man manchen Schoppen Bier zu trinken und dabei doch geistreich zu sein ver¬
möge, hat unter Andern Jean Paul nachahmungswürdig dnrgelebt."

Steub erinnert dann daran, daß Schiller, nach Gustav Schwabs Leben
des Dichters, als er mit Don Carlos umging und schon vorher viel lieber
Bier als Wein getrunken habe, und zieht daraus den patriotisch-bayerischen
Schluß: "Wenn nun schon das Mannheimer Bier der ihm einwohnenden
Muse so gedeihlich war, was würde er erst gedichtet haben, wenn er mit un¬
serm Münchner Nektar vertraut geworden wäre!"

Unser Humorist meint trauernd, seitdem der Gerstenwein aus dem dresdner
Waldschlößchen und andern Mittel- und norddeutschen Sudstätten in dem mit¬
ternächtlichen Deutschland alle südliche Concurrenz zu ertödten drohe, scheine
die Weltherrschaft des bayerischen Arccmums gebrochen. Dies ist ein schwerer
Irrthum, den ein Gang durch die berliner und leipziger Trinkanstalten in sein
heiterstes siegfreudigstcs Gegentheil ausheilen würde. Einverstanden dagegen
erklären wir uns mit Folgenden: "Wie manchen Volksstämmen gewisse uni-
versalhistorische Ideen zur Bewahrung anvertraut waren, bis die andern Na¬
tionen herangerefft, so auch den Bayern das einzige wahre welthistorische
Bierrecept, das jetzt auszugehn anfängt unter die herangebildeten Völker, unter
Christen und Heiden, sogar unter die Amerikaner, die von dem bayerischen
Lagerbier demnächst eine Wiederherstellung ihrer öffentlichen Mäßigkeit "er¬
hoffen und so auch hier, wie in Allem, zu den verkehrtesten Konsequenzen ge¬
langen."

Wie in Hellas sich sieben Städte um die Heimath Homers stritten, so streiten
sich hier sieben und noch mehr brave Landstädtchen um den Ruhm, das beste
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Viel Ungerechtes und Verletzendes ist den Altbayern nachgerufen und nach,
geschrieben worden wegen ihres Nationalgetränks, „Besonders haben sich die
Schnapslander stets am meisten moquirt über diese Stammeseigenthümlichkeit,
obgleich sie selber, wenn sie einmal über Donau und Lech hereingebro¬
chen, an diesem flüssigen Lotos ein tiefes Gefallen zu finden beginnen und
selbst zur Polizeistunde oft nur mit sanfter Gewalt aus den Wirthshäusern
hinauszuschaffen sind. In der That ist es auch, mäßig genossen, ein lieblicher
Trank, gesellig und friedlich, weil es viel langsamer als der Wein zur Be¬
rauschung, zu Lärm und Streit verführt, billig und vor allem republicanisch,
da es der Fürst, der König nicht anders erhält als der Bettler. Wenn die
Altbayern aus der leipziger Messe weniger literarische Kleinodien auslegen als
die meisten andern Deutschen, so ist dies, wenn nicht ihrer Bescheidenheit, so
sicher auch nicht ihrem Nationaltrank zuzuschreiben, sondern eher ihrer Vorliebe
für Ackerbau und Viehzucht, wie ja auch die Arkadier im alten Griechenland
keinen Homer und keine Tragiker erzeugten und auch heute noch die Pommern,
die Märker, die Mecklenburger dasselbe thun oder vielmehr unterlassen. Daß
man manchen Schoppen Bier zu trinken und dabei doch geistreich zu sein ver¬
möge, hat unter Andern Jean Paul nachahmungswürdig dnrgelebt."

Steub erinnert dann daran, daß Schiller, nach Gustav Schwabs Leben
des Dichters, als er mit Don Carlos umging und schon vorher viel lieber
Bier als Wein getrunken habe, und zieht daraus den patriotisch-bayerischen
Schluß: „Wenn nun schon das Mannheimer Bier der ihm einwohnenden
Muse so gedeihlich war, was würde er erst gedichtet haben, wenn er mit un¬
serm Münchner Nektar vertraut geworden wäre!"

Unser Humorist meint trauernd, seitdem der Gerstenwein aus dem dresdner
Waldschlößchen und andern Mittel- und norddeutschen Sudstätten in dem mit¬
ternächtlichen Deutschland alle südliche Concurrenz zu ertödten drohe, scheine
die Weltherrschaft des bayerischen Arccmums gebrochen. Dies ist ein schwerer
Irrthum, den ein Gang durch die berliner und leipziger Trinkanstalten in sein
heiterstes siegfreudigstcs Gegentheil ausheilen würde. Einverstanden dagegen
erklären wir uns mit Folgenden: „Wie manchen Volksstämmen gewisse uni-
versalhistorische Ideen zur Bewahrung anvertraut waren, bis die andern Na¬
tionen herangerefft, so auch den Bayern das einzige wahre welthistorische
Bierrecept, das jetzt auszugehn anfängt unter die herangebildeten Völker, unter
Christen und Heiden, sogar unter die Amerikaner, die von dem bayerischen
Lagerbier demnächst eine Wiederherstellung ihrer öffentlichen Mäßigkeit »er¬
hoffen und so auch hier, wie in Allem, zu den verkehrtesten Konsequenzen ge¬
langen."

Wie in Hellas sich sieben Städte um die Heimath Homers stritten, so streiten
sich hier sieben und noch mehr brave Landstädtchen um den Ruhm, das beste
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[0231] Viel Ungerechtes und Verletzendes ist den Altbayern nachgerufen und nach, geschrieben worden wegen ihres Nationalgetränks, „Besonders haben sich die Schnapslander stets am meisten moquirt über diese Stammeseigenthümlichkeit, obgleich sie selber, wenn sie einmal über Donau und Lech hereingebro¬ chen, an diesem flüssigen Lotos ein tiefes Gefallen zu finden beginnen und selbst zur Polizeistunde oft nur mit sanfter Gewalt aus den Wirthshäusern hinauszuschaffen sind. In der That ist es auch, mäßig genossen, ein lieblicher Trank, gesellig und friedlich, weil es viel langsamer als der Wein zur Be¬ rauschung, zu Lärm und Streit verführt, billig und vor allem republicanisch, da es der Fürst, der König nicht anders erhält als der Bettler. Wenn die Altbayern aus der leipziger Messe weniger literarische Kleinodien auslegen als die meisten andern Deutschen, so ist dies, wenn nicht ihrer Bescheidenheit, so sicher auch nicht ihrem Nationaltrank zuzuschreiben, sondern eher ihrer Vorliebe für Ackerbau und Viehzucht, wie ja auch die Arkadier im alten Griechenland keinen Homer und keine Tragiker erzeugten und auch heute noch die Pommern, die Märker, die Mecklenburger dasselbe thun oder vielmehr unterlassen. Daß man manchen Schoppen Bier zu trinken und dabei doch geistreich zu sein ver¬ möge, hat unter Andern Jean Paul nachahmungswürdig dnrgelebt." Steub erinnert dann daran, daß Schiller, nach Gustav Schwabs Leben des Dichters, als er mit Don Carlos umging und schon vorher viel lieber Bier als Wein getrunken habe, und zieht daraus den patriotisch-bayerischen Schluß: „Wenn nun schon das Mannheimer Bier der ihm einwohnenden Muse so gedeihlich war, was würde er erst gedichtet haben, wenn er mit un¬ serm Münchner Nektar vertraut geworden wäre!" Unser Humorist meint trauernd, seitdem der Gerstenwein aus dem dresdner Waldschlößchen und andern Mittel- und norddeutschen Sudstätten in dem mit¬ ternächtlichen Deutschland alle südliche Concurrenz zu ertödten drohe, scheine die Weltherrschaft des bayerischen Arccmums gebrochen. Dies ist ein schwerer Irrthum, den ein Gang durch die berliner und leipziger Trinkanstalten in sein heiterstes siegfreudigstcs Gegentheil ausheilen würde. Einverstanden dagegen erklären wir uns mit Folgenden: „Wie manchen Volksstämmen gewisse uni- versalhistorische Ideen zur Bewahrung anvertraut waren, bis die andern Na¬ tionen herangerefft, so auch den Bayern das einzige wahre welthistorische Bierrecept, das jetzt auszugehn anfängt unter die herangebildeten Völker, unter Christen und Heiden, sogar unter die Amerikaner, die von dem bayerischen Lagerbier demnächst eine Wiederherstellung ihrer öffentlichen Mäßigkeit »er¬ hoffen und so auch hier, wie in Allem, zu den verkehrtesten Konsequenzen ge¬ langen." Wie in Hellas sich sieben Städte um die Heimath Homers stritten, so streiten sich hier sieben und noch mehr brave Landstädtchen um den Ruhm, das beste '' 23*

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 19, 1860, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341594_110347/231>, abgerufen am 15.01.2025.