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Die Grenzboten. Jg. 19, 1860, II. Semester. IV. Band.

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gesetzgebenden Gewalten , für die deutschen Erdtaube konnte man unter demselben
Borbehalt eine Verfassung octroyiren. Wenn den letzter" etwas Positives" und Soli¬
des geboten wurde, so war einige Hoffnung vorhanden, ihren Verdruß zu beschwich¬
tigen: die gegenwärtigen Verheißungen sehn gar zu lustig aus. Eins aber mußte
man von vornherein bewilligen, was unzweifelhaft alle Landtage fordern und zuletzt
auch durchsetzen werden, nämlich Preßfreiheit. Statt dessen verkümmert man noch
in diesem Augenblick der so überaus loyalen Presse ihr ohnehin schon schwaches
Dasein. Die Preßfreiheit ist vielleicht für einzelne hochgestellte Persönlichkeiten, aber
nie für einen Staat zu fürchten, der feine Schuldigkeit thut. Man blicke doch nur
auf Preußen! seit zwei Jahren hat es wirklich Preßfreiheit, und noch nie gab es
eine loyalere, patriotischere Presse als die gegenwärtige.

Zu den zahlreichen Unbestimmtheiten in der neuen Verfassung gehört die Zu¬
sammensetzung des Ncichsraths. Es ist ein Fortschritt, daß er durch Deputirte der
Landtage verstärkt werden soll, aber dieser Fortschritt genügt nicht. Wenn er wirk¬
lich über die allgemeinen Reichsangelegenheiten Eontrole ausüben und durch seine
Beistimmung den Handlungen der Regierung größeres Gewicht verleihen soll, so muß
er ganz unabhängig, d. h. er muß aus Abgeordneten der Landtage zusammengesetzt
sein. Ein Staatsrath kann diesem Ccntralorgan als erste Kammer zur Seite stehn.

Die wiener Börse hat die neue Einrichtung mit einer Baisse begrüßt, d. h. sie
fürchtet, man werde die Versöhnung mit Ungarn zu einem Kriege gegen Italien
benutzen. Wir theilen diese Furcht nicht. Die ohnehin sehr schwachen Aussichten
der Regierung, Geld zu bekommen, werden wenigstens für den Augenblick durch die
neue Einrichtung nicht erleichtert. Der Reichsrath, der neue Schulden bewilligen
soll, kann es nicht eher thun, als bis er vollständig ist; vollständig wird er aber
erst dnrch die Wahlen der Landtage: d. h. die Einberufung der Landtage muß der
Geldbewilligung vvrausgchn. Diese Einberufung hat aber noch so viele Instanzen
durchzumachen, daß es mit dem Krieg vorläufig seine guten Wege hat. Auch die
preußische Note nach Turin sieht nicht sehr kriegerisch aus.

Zum Schluß dieser Betrachtung noch eine Mahnung vom deutschen Standpunkt. Es
genügt nicht, daß Oestreich seine innern Angelegenheiten ordnet, es muß auch seine Verhält¬
nisse zum deutschen Bunde ins Klare setzen. Dies kann zum Vortheil für beide Theile
nur auf eine Art geschehn: daß sich Oestreich mit Preußen über den Hauptpunkt, über
die Bundcskriegsverfassung verständige. Dazu hat es jetzt die beste Gelegenheit.
Denn die Würzburger Vorschläge sind so unannehmbar, daß selbst die bescheidensten
Erwartungen getäuscht werden und daß Preußen klar einsehn muß, auf dem bis¬
herigen Wege komme es keinen Schritt weiter. Wir glauben aber nicht, daß Preußen
auf seinem alten Vorschlag bestehn wird, sondern daß es in seinem und im deut¬
schen Interesse, das in diesem mit dein östreichischen ganz zusammenfällt mehr
,
1' t verlangen muß.




Verantwortlicher Redacteur: Dr. Moritz Busch.
Verlag vo" F. L, Her dig -- Druck von C. E. Elbert in Leipzig..

gesetzgebenden Gewalten , für die deutschen Erdtaube konnte man unter demselben
Borbehalt eine Verfassung octroyiren. Wenn den letzter» etwas Positives" und Soli¬
des geboten wurde, so war einige Hoffnung vorhanden, ihren Verdruß zu beschwich¬
tigen: die gegenwärtigen Verheißungen sehn gar zu lustig aus. Eins aber mußte
man von vornherein bewilligen, was unzweifelhaft alle Landtage fordern und zuletzt
auch durchsetzen werden, nämlich Preßfreiheit. Statt dessen verkümmert man noch
in diesem Augenblick der so überaus loyalen Presse ihr ohnehin schon schwaches
Dasein. Die Preßfreiheit ist vielleicht für einzelne hochgestellte Persönlichkeiten, aber
nie für einen Staat zu fürchten, der feine Schuldigkeit thut. Man blicke doch nur
auf Preußen! seit zwei Jahren hat es wirklich Preßfreiheit, und noch nie gab es
eine loyalere, patriotischere Presse als die gegenwärtige.

Zu den zahlreichen Unbestimmtheiten in der neuen Verfassung gehört die Zu¬
sammensetzung des Ncichsraths. Es ist ein Fortschritt, daß er durch Deputirte der
Landtage verstärkt werden soll, aber dieser Fortschritt genügt nicht. Wenn er wirk¬
lich über die allgemeinen Reichsangelegenheiten Eontrole ausüben und durch seine
Beistimmung den Handlungen der Regierung größeres Gewicht verleihen soll, so muß
er ganz unabhängig, d. h. er muß aus Abgeordneten der Landtage zusammengesetzt
sein. Ein Staatsrath kann diesem Ccntralorgan als erste Kammer zur Seite stehn.

Die wiener Börse hat die neue Einrichtung mit einer Baisse begrüßt, d. h. sie
fürchtet, man werde die Versöhnung mit Ungarn zu einem Kriege gegen Italien
benutzen. Wir theilen diese Furcht nicht. Die ohnehin sehr schwachen Aussichten
der Regierung, Geld zu bekommen, werden wenigstens für den Augenblick durch die
neue Einrichtung nicht erleichtert. Der Reichsrath, der neue Schulden bewilligen
soll, kann es nicht eher thun, als bis er vollständig ist; vollständig wird er aber
erst dnrch die Wahlen der Landtage: d. h. die Einberufung der Landtage muß der
Geldbewilligung vvrausgchn. Diese Einberufung hat aber noch so viele Instanzen
durchzumachen, daß es mit dem Krieg vorläufig seine guten Wege hat. Auch die
preußische Note nach Turin sieht nicht sehr kriegerisch aus.

Zum Schluß dieser Betrachtung noch eine Mahnung vom deutschen Standpunkt. Es
genügt nicht, daß Oestreich seine innern Angelegenheiten ordnet, es muß auch seine Verhält¬
nisse zum deutschen Bunde ins Klare setzen. Dies kann zum Vortheil für beide Theile
nur auf eine Art geschehn: daß sich Oestreich mit Preußen über den Hauptpunkt, über
die Bundcskriegsverfassung verständige. Dazu hat es jetzt die beste Gelegenheit.
Denn die Würzburger Vorschläge sind so unannehmbar, daß selbst die bescheidensten
Erwartungen getäuscht werden und daß Preußen klar einsehn muß, auf dem bis¬
herigen Wege komme es keinen Schritt weiter. Wir glauben aber nicht, daß Preußen
auf seinem alten Vorschlag bestehn wird, sondern daß es in seinem und im deut¬
schen Interesse, das in diesem mit dein östreichischen ganz zusammenfällt mehr
,
1' t verlangen muß.




Verantwortlicher Redacteur: Dr. Moritz Busch.
Verlag vo» F. L, Her dig — Druck von C. E. Elbert in Leipzig..
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 19, 1860, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341594_110347/212>, abgerufen am 15.01.2025.