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Die Grenzboten. Jg. 19, 1860, II. Semester. IV. Band.

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Sind auch solche darunter, welche die Gemüthlichkeit der Eingebornen keines¬
wegs erhöht haben, so "vernimmt man doch wieder sehr lobende Urtheile
über die Herren und Frauen aus Norddeutschland, über ihre zierlichen Manie¬
ren, über ihre gute Art, sich in dies und jenes zu schicken, auch über ihre
Dankbarkeit gegen alle, die sich um sie angenommen. Man erinnert sich
gern an die Dagewesenen und freut sich, wenn sie wiederkommen. Man hat
sich mit ihnen selbst in politischen Fragen verstündigen können und Grund zu
der Annahme gefunden, daß bald durch ganz Deutschland nur eine Meinung gehn
wird, nämlich, daß die jetzigen Zustände erbärmlich seien." Daß die Be¬
sucher so vergnügt sind, konnte manchen Wunder nehmen. In den Städten
gibt es gute Gasthöfe, aber auf dem Lande geht es doch noch sehr einfach
zu. Die Altbayern sind ein Wintervolk. Der Sommer gilt ihnen nur als
Nebensache, alle ihre Thatkraft ist darauf gerichtet, der rauhen Jahreszeit ge¬
hörig zu begegnen. Der Kachelofen steht wie ein Blockhaus in der Stube,
die Thüren sind niedrig, die Fenster klein. Ueberdies hat der Altbayer bei
seinen sonstigen Tugenden einen fatalen Hang zur Unbequemlichkeit. Man
hält viel aus Bänke, die zu schmal, auf Bettstellen, die zu kurz, auf Betten,
die centnerschwer sind. "Reinlichkeit gilt noch immer sür eine nicht ganz werth¬
lose, jedoch mehr facultative Tugend, die man allenfalls auch durch Treue und
Redlichkeit ersetzen könne." Bei den Leistungen der Küche muß man mehr auf
die Fülle, als auf die Zierlichkeit der Anrichtung und die feinere Kunst des
Werkes sehn. Nicht selten wird man in der Bratenbrühe eine geschmorte
Fliege, noch häusiger im Salat jenes Würmlein finden, "welches uns
bedeutsam an unsre Vergänglichkeit erinnert und auf das Jenseits hin¬
weist".

"Ein oft bemerkter Charakterzug" (den man übrigens bis Meran hin¬
ein verfolgen kann), "ist eine moralische Abneigung gegen schöne Aussichten."
Merkt so ein Wirth, daß eines seiner Fenster derartiges bietet, so setzt er rasch
einen Schuppen, einen Stall oder wenigstens ein paar Bäume davor. Die
Höflichkeit der Bedienung muß nach landesüblichem Maßstab gemessen werden.
"Auf unsrer Hochebne." sagt Steub, "versteht jedermann grob zu sein; nicht
blos Landgerichtspraeticanten, Eisenbahnconducteure. Hypothekenschreiber. Thea-
tercassirer, Truhenladcr und Postillone, sondern selbst graduirte Personen be¬
dienen sich zur Sicherung und Erhöhung ihrer Bedeutsamkeit oft mit Geschick
der derberen Landesmanier." -- "Sollte des Guten mitunter zu viel gesche¬
hen, so ist dagegen der Pilger befreit von jener Aufdringlichkeit (der Lohn¬
bedienten, Führer, Schnittwaarenhändler, Blumenmädchen u. a.), die in der
Schweiz so lästig fällt." Die früheren Kellnerinnen, jene schlanken neckischen
Elfen Altbayerns, haben sich nahezu verloren. Die schönen kann man nicht
länger als drei Vierteljahr im Hause behalten, und so wählt man lieber gar-


Sind auch solche darunter, welche die Gemüthlichkeit der Eingebornen keines¬
wegs erhöht haben, so „vernimmt man doch wieder sehr lobende Urtheile
über die Herren und Frauen aus Norddeutschland, über ihre zierlichen Manie¬
ren, über ihre gute Art, sich in dies und jenes zu schicken, auch über ihre
Dankbarkeit gegen alle, die sich um sie angenommen. Man erinnert sich
gern an die Dagewesenen und freut sich, wenn sie wiederkommen. Man hat
sich mit ihnen selbst in politischen Fragen verstündigen können und Grund zu
der Annahme gefunden, daß bald durch ganz Deutschland nur eine Meinung gehn
wird, nämlich, daß die jetzigen Zustände erbärmlich seien." Daß die Be¬
sucher so vergnügt sind, konnte manchen Wunder nehmen. In den Städten
gibt es gute Gasthöfe, aber auf dem Lande geht es doch noch sehr einfach
zu. Die Altbayern sind ein Wintervolk. Der Sommer gilt ihnen nur als
Nebensache, alle ihre Thatkraft ist darauf gerichtet, der rauhen Jahreszeit ge¬
hörig zu begegnen. Der Kachelofen steht wie ein Blockhaus in der Stube,
die Thüren sind niedrig, die Fenster klein. Ueberdies hat der Altbayer bei
seinen sonstigen Tugenden einen fatalen Hang zur Unbequemlichkeit. Man
hält viel aus Bänke, die zu schmal, auf Bettstellen, die zu kurz, auf Betten,
die centnerschwer sind. „Reinlichkeit gilt noch immer sür eine nicht ganz werth¬
lose, jedoch mehr facultative Tugend, die man allenfalls auch durch Treue und
Redlichkeit ersetzen könne." Bei den Leistungen der Küche muß man mehr auf
die Fülle, als auf die Zierlichkeit der Anrichtung und die feinere Kunst des
Werkes sehn. Nicht selten wird man in der Bratenbrühe eine geschmorte
Fliege, noch häusiger im Salat jenes Würmlein finden, „welches uns
bedeutsam an unsre Vergänglichkeit erinnert und auf das Jenseits hin¬
weist".

„Ein oft bemerkter Charakterzug" (den man übrigens bis Meran hin¬
ein verfolgen kann), „ist eine moralische Abneigung gegen schöne Aussichten."
Merkt so ein Wirth, daß eines seiner Fenster derartiges bietet, so setzt er rasch
einen Schuppen, einen Stall oder wenigstens ein paar Bäume davor. Die
Höflichkeit der Bedienung muß nach landesüblichem Maßstab gemessen werden.
„Auf unsrer Hochebne." sagt Steub, „versteht jedermann grob zu sein; nicht
blos Landgerichtspraeticanten, Eisenbahnconducteure. Hypothekenschreiber. Thea-
tercassirer, Truhenladcr und Postillone, sondern selbst graduirte Personen be¬
dienen sich zur Sicherung und Erhöhung ihrer Bedeutsamkeit oft mit Geschick
der derberen Landesmanier." — „Sollte des Guten mitunter zu viel gesche¬
hen, so ist dagegen der Pilger befreit von jener Aufdringlichkeit (der Lohn¬
bedienten, Führer, Schnittwaarenhändler, Blumenmädchen u. a.), die in der
Schweiz so lästig fällt." Die früheren Kellnerinnen, jene schlanken neckischen
Elfen Altbayerns, haben sich nahezu verloren. Die schönen kann man nicht
länger als drei Vierteljahr im Hause behalten, und so wählt man lieber gar-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 19, 1860, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341594_110347/209>, abgerufen am 24.01.2025.