Die Grenzboten. Jg. 19, 1860, II. Semester. IV. Band.November 1683 hatte der Landgraf Leibnitz auf das dringendste aufgefordert, November 1683 hatte der Landgraf Leibnitz auf das dringendste aufgefordert, <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0179" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/110527"/> <p xml:id="ID_489" next="#ID_490"> November 1683 hatte der Landgraf Leibnitz auf das dringendste aufgefordert,<lb/> das Bekenntniß der katholischen Kirche abzulegen: nach Spener's Ansicht habe<lb/> er ohnehin den Sprung schon gethan. Die Verhandlungen darüber gaben<lb/> Leibnitz Gelegenheit, Neujahr 1684 sich ausführlich auszusprechen. „Ich glaube,<lb/> daß man in der innern Gemeinschaft der Kirche sein könne, ohne in der<lb/> äußern zu sein: z. B. wenn man ungerechterweise cxcommunicirt ist. Aller¬<lb/> dings muß derjenige, welcher durch innere Gemeinschaft ein Mitglied der Kirche<lb/> sein will, alle möglichen Anstrengungen machen, um auch in die äußere Ge¬<lb/> meinschaft der sichtbaren, an der ununterbrochnem Folge ihrer Hierarchie erkenn¬<lb/> baren katholischen Kirche einzutreten — teils <zms ^ crois etre ce pu'on<lb/> axpelle ig. lions-ins. Ich gebe zu. daß die Hierarchie zum gemeinen göttlichen<lb/> Recht gehört, weil es eine Leitung geben muß; und daß die sichtbare katho¬<lb/> lische Kirche in allen zur Seligkeit nothwendigen Glaubensartikeln durch den<lb/> ihr verheißenen Beistand des heiligen Geistes untrüglich ist. — Aber es kann-<lb/> kommen, daß in dieser Kirche sich Irrthümer und Mißbräuche in die Gemüther<lb/> einschleichen; und indem man für sie die Zustimmung derjenigen fordert, welche<lb/> einzutreten wünschen, aber von der Gewißheit des Gegentheils überzeugt zu<lb/> sein glauben, setzt man sie in die Unmöglichkeit, so lange sie aufrichtig sein<lb/> wollen, der äußern Gemeinschaft anzugehören. — Das findet nicht blos bei<lb/> Thatsachen statt, welche von den Sinnen abhängen, sondern auch bei Fragen,<lb/> welche durch Schlüsse der Vernunft ausgemacht werden (z. B. das Copenü-<lb/> canische System): weil die Ueberzeugung keine Sache ist, die von der Macht<lb/> des Willens abhängt und die man nach Belieben wechseln könnte. — Nun<lb/> werden aber einige philosophische Ueberzeugungen, welche ohne genügende<lb/> Gründe aufzugeben mir unmöglich wäre, von einigen Theologen noch immer<lb/> als dem Glauben widersprechend, gemißbilligt und mit der Censur belegt. —<lb/> Man wird sagen, daß ich sie verschweigen könnte. Aber das geht nicht an.<lb/> Denn sie sind in der Philosophie von großer Wichtigkeit, und wenn ich einst<lb/> über beträchtliche Entdeckungen der Wahrheit mich werde aussprechen wollen,<lb/> muß ich sie als Fundamentalsütze aufstellen. Wäre ich in der römischen Kirche<lb/> geboren, so würde ich nur dann austreten, wenn man mich ausstieße; da ich<lb/> aber außerhalb derselben geboren und erzogen bin, würde es weder aufrichtig<lb/> noch sicher sein, mich zum Eintritt zu melden." Vielleicht kann ihn der Land¬<lb/> graf aus dieser Ungewißheit befreien. „Denn ich bekenne gern, daß ick um<lb/> jeden Preis in der Gemeinschaft der Kirche sein möchte, wenn ich es nur mit<lb/> einer wahren Ruhe des Geistes und mit dem Frieden des Gewissens vermag,<lb/> dessen ich gegenwärtig genieße." Der Landgraf theilte das Schreiben dem<lb/> Jansenisten Arnauld mit. der (2. März 1684) nicht einsah, wie Leibnitz sein<lb/> Gewissen beruhigen könne, ohne diesen ersten Schritt zu thun, in der Hoffnung,<lb/> daß Gott ihn über seine philosophischen Ansichten aufklären werde, wenn sie</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0179]
November 1683 hatte der Landgraf Leibnitz auf das dringendste aufgefordert,
das Bekenntniß der katholischen Kirche abzulegen: nach Spener's Ansicht habe
er ohnehin den Sprung schon gethan. Die Verhandlungen darüber gaben
Leibnitz Gelegenheit, Neujahr 1684 sich ausführlich auszusprechen. „Ich glaube,
daß man in der innern Gemeinschaft der Kirche sein könne, ohne in der
äußern zu sein: z. B. wenn man ungerechterweise cxcommunicirt ist. Aller¬
dings muß derjenige, welcher durch innere Gemeinschaft ein Mitglied der Kirche
sein will, alle möglichen Anstrengungen machen, um auch in die äußere Ge¬
meinschaft der sichtbaren, an der ununterbrochnem Folge ihrer Hierarchie erkenn¬
baren katholischen Kirche einzutreten — teils <zms ^ crois etre ce pu'on
axpelle ig. lions-ins. Ich gebe zu. daß die Hierarchie zum gemeinen göttlichen
Recht gehört, weil es eine Leitung geben muß; und daß die sichtbare katho¬
lische Kirche in allen zur Seligkeit nothwendigen Glaubensartikeln durch den
ihr verheißenen Beistand des heiligen Geistes untrüglich ist. — Aber es kann-
kommen, daß in dieser Kirche sich Irrthümer und Mißbräuche in die Gemüther
einschleichen; und indem man für sie die Zustimmung derjenigen fordert, welche
einzutreten wünschen, aber von der Gewißheit des Gegentheils überzeugt zu
sein glauben, setzt man sie in die Unmöglichkeit, so lange sie aufrichtig sein
wollen, der äußern Gemeinschaft anzugehören. — Das findet nicht blos bei
Thatsachen statt, welche von den Sinnen abhängen, sondern auch bei Fragen,
welche durch Schlüsse der Vernunft ausgemacht werden (z. B. das Copenü-
canische System): weil die Ueberzeugung keine Sache ist, die von der Macht
des Willens abhängt und die man nach Belieben wechseln könnte. — Nun
werden aber einige philosophische Ueberzeugungen, welche ohne genügende
Gründe aufzugeben mir unmöglich wäre, von einigen Theologen noch immer
als dem Glauben widersprechend, gemißbilligt und mit der Censur belegt. —
Man wird sagen, daß ich sie verschweigen könnte. Aber das geht nicht an.
Denn sie sind in der Philosophie von großer Wichtigkeit, und wenn ich einst
über beträchtliche Entdeckungen der Wahrheit mich werde aussprechen wollen,
muß ich sie als Fundamentalsütze aufstellen. Wäre ich in der römischen Kirche
geboren, so würde ich nur dann austreten, wenn man mich ausstieße; da ich
aber außerhalb derselben geboren und erzogen bin, würde es weder aufrichtig
noch sicher sein, mich zum Eintritt zu melden." Vielleicht kann ihn der Land¬
graf aus dieser Ungewißheit befreien. „Denn ich bekenne gern, daß ick um
jeden Preis in der Gemeinschaft der Kirche sein möchte, wenn ich es nur mit
einer wahren Ruhe des Geistes und mit dem Frieden des Gewissens vermag,
dessen ich gegenwärtig genieße." Der Landgraf theilte das Schreiben dem
Jansenisten Arnauld mit. der (2. März 1684) nicht einsah, wie Leibnitz sein
Gewissen beruhigen könne, ohne diesen ersten Schritt zu thun, in der Hoffnung,
daß Gott ihn über seine philosophischen Ansichten aufklären werde, wenn sie
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