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Die Grenzboten. Jg. 19, 1860, II. Semester. IV. Band.

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der nichtssagenden Phrase des allgemeinen Stimmrechts absehn, welches als
Rest diplomatischer Fügsamkeit unter die Stichwörter des Tages nicht zu um-
gehn war. Wenn die Gegner Italiens das ganze Unternehmen als eure
Usurpation bezeichnen, so haben wir gegen die "Correctheit" dieses Ausdrucks
nicht das mindeste einzuwenden! es ist in der That eine Usurpation, wie sie
je in der Geschichte vorgekommen ist. Das aber müssen wir bestreiten, daß
sie ohne Analogie dasteht: unter vielen andern Beispielen erwähnen wir nur
die Eroberung Englands durch Wilhelm von Oranien 1688, welche ja durch
Maculay einem weiteren Leserkreise bekannt geworden ist. Wir haben nicht
gehört, daß England durch den Sturz der verächtlichsten aller Dynastien an
Ansehn. Kraft und Wohlstand verloren habe.

Auch uns hat die Schnelligkeit der italienischen Bewegung peinlich über¬
rascht. Wir hatten gehofft, daß sie bei der Erwerbung von Toscana vor-
läufig still stehn werde. Die Aufgabe, das neue Königreich zu organisiren war
so groß, die Schwierigkeiten eines Unternehmens auf Süditalien in Rücksicht
auf die Besorgnis Europas so unübersehbar, der Gewinn, den man von dort¬
her ziehn konnte, so unbedeutend, daß wir es damals -- und wir sind noch
heute derselben Ansicht -- als ein Glück für Italien angesehn hätten, wenn
es möglich gewesen wäre, Garibaldi von seinem Zuge zurück zu halten. Ob
es möglich war, darüber haben wir kein entscheidendes Urtheil. Um das Ver¬
halten der piemontesischen Regierung begreiflich zu machen, erinnern wir nur
an zweierlei: daß keine Macht in Europa sich fand, den damaligen Lander¬
bestand des norditalienischen Königreichs zu garantiren, und daß England und
Frankreich aus allen Kräften sich beeiferten, durch ihre Darstellung der nea¬
politanischen Zustände die Revolution in Neapel herauf zu beschwören.

Was geschehn wäre, wenn das Unternehmen Garibaldis gleich zu An¬
fang mißlang, ist müßig zu untersuchen; nachdem es aber bis auf diesen
Punkt glückte, die Hauptstadt des Landes einzunehmen, ohne daß der König
das Land verließ, war die Einmischung Piemonts früher oder später eine lo¬
gische Nothwendigkeit.

Garibaldi ist ein Held und ein edler Mensch; daß er aber nicht den Be¬
ruf hat, einen Staat zu regieren, auch nur für Monate, hat er früher in der
Romagna. jetzt in Sicilien und Neapel auf das schlagendste bewährt. Trotz
seines Patriotismus und seiner persönlichen Liebe zum Könige war er ganz
in die Hände der Emeutiers von Profession, der Abenteurer. Schwindler und
Beutelschneider gefallen; er war ein willenloses Werkzeug in ihren Händen;
und wenn es uns menschlich betrachtet herzlich freut, daß ihm die italienische
Nationalversammlung einstimmig eine ehrenvolle Anerkennung hat zu Theil
werden lassen, so sind wir doch überzeugt, wir wiederholen es, daß seine po¬
litische Rolle zu Ende ist, Die Worte des Königs: "ich werde nie gestatten,


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der nichtssagenden Phrase des allgemeinen Stimmrechts absehn, welches als
Rest diplomatischer Fügsamkeit unter die Stichwörter des Tages nicht zu um-
gehn war. Wenn die Gegner Italiens das ganze Unternehmen als eure
Usurpation bezeichnen, so haben wir gegen die „Correctheit" dieses Ausdrucks
nicht das mindeste einzuwenden! es ist in der That eine Usurpation, wie sie
je in der Geschichte vorgekommen ist. Das aber müssen wir bestreiten, daß
sie ohne Analogie dasteht: unter vielen andern Beispielen erwähnen wir nur
die Eroberung Englands durch Wilhelm von Oranien 1688, welche ja durch
Maculay einem weiteren Leserkreise bekannt geworden ist. Wir haben nicht
gehört, daß England durch den Sturz der verächtlichsten aller Dynastien an
Ansehn. Kraft und Wohlstand verloren habe.

Auch uns hat die Schnelligkeit der italienischen Bewegung peinlich über¬
rascht. Wir hatten gehofft, daß sie bei der Erwerbung von Toscana vor-
läufig still stehn werde. Die Aufgabe, das neue Königreich zu organisiren war
so groß, die Schwierigkeiten eines Unternehmens auf Süditalien in Rücksicht
auf die Besorgnis Europas so unübersehbar, der Gewinn, den man von dort¬
her ziehn konnte, so unbedeutend, daß wir es damals — und wir sind noch
heute derselben Ansicht — als ein Glück für Italien angesehn hätten, wenn
es möglich gewesen wäre, Garibaldi von seinem Zuge zurück zu halten. Ob
es möglich war, darüber haben wir kein entscheidendes Urtheil. Um das Ver¬
halten der piemontesischen Regierung begreiflich zu machen, erinnern wir nur
an zweierlei: daß keine Macht in Europa sich fand, den damaligen Lander¬
bestand des norditalienischen Königreichs zu garantiren, und daß England und
Frankreich aus allen Kräften sich beeiferten, durch ihre Darstellung der nea¬
politanischen Zustände die Revolution in Neapel herauf zu beschwören.

Was geschehn wäre, wenn das Unternehmen Garibaldis gleich zu An¬
fang mißlang, ist müßig zu untersuchen; nachdem es aber bis auf diesen
Punkt glückte, die Hauptstadt des Landes einzunehmen, ohne daß der König
das Land verließ, war die Einmischung Piemonts früher oder später eine lo¬
gische Nothwendigkeit.

Garibaldi ist ein Held und ein edler Mensch; daß er aber nicht den Be¬
ruf hat, einen Staat zu regieren, auch nur für Monate, hat er früher in der
Romagna. jetzt in Sicilien und Neapel auf das schlagendste bewährt. Trotz
seines Patriotismus und seiner persönlichen Liebe zum Könige war er ganz
in die Hände der Emeutiers von Profession, der Abenteurer. Schwindler und
Beutelschneider gefallen; er war ein willenloses Werkzeug in ihren Händen;
und wenn es uns menschlich betrachtet herzlich freut, daß ihm die italienische
Nationalversammlung einstimmig eine ehrenvolle Anerkennung hat zu Theil
werden lassen, so sind wir doch überzeugt, wir wiederholen es, daß seine po¬
litische Rolle zu Ende ist, Die Worte des Königs: „ich werde nie gestatten,


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[0167] der nichtssagenden Phrase des allgemeinen Stimmrechts absehn, welches als Rest diplomatischer Fügsamkeit unter die Stichwörter des Tages nicht zu um- gehn war. Wenn die Gegner Italiens das ganze Unternehmen als eure Usurpation bezeichnen, so haben wir gegen die „Correctheit" dieses Ausdrucks nicht das mindeste einzuwenden! es ist in der That eine Usurpation, wie sie je in der Geschichte vorgekommen ist. Das aber müssen wir bestreiten, daß sie ohne Analogie dasteht: unter vielen andern Beispielen erwähnen wir nur die Eroberung Englands durch Wilhelm von Oranien 1688, welche ja durch Maculay einem weiteren Leserkreise bekannt geworden ist. Wir haben nicht gehört, daß England durch den Sturz der verächtlichsten aller Dynastien an Ansehn. Kraft und Wohlstand verloren habe. Auch uns hat die Schnelligkeit der italienischen Bewegung peinlich über¬ rascht. Wir hatten gehofft, daß sie bei der Erwerbung von Toscana vor- läufig still stehn werde. Die Aufgabe, das neue Königreich zu organisiren war so groß, die Schwierigkeiten eines Unternehmens auf Süditalien in Rücksicht auf die Besorgnis Europas so unübersehbar, der Gewinn, den man von dort¬ her ziehn konnte, so unbedeutend, daß wir es damals — und wir sind noch heute derselben Ansicht — als ein Glück für Italien angesehn hätten, wenn es möglich gewesen wäre, Garibaldi von seinem Zuge zurück zu halten. Ob es möglich war, darüber haben wir kein entscheidendes Urtheil. Um das Ver¬ halten der piemontesischen Regierung begreiflich zu machen, erinnern wir nur an zweierlei: daß keine Macht in Europa sich fand, den damaligen Lander¬ bestand des norditalienischen Königreichs zu garantiren, und daß England und Frankreich aus allen Kräften sich beeiferten, durch ihre Darstellung der nea¬ politanischen Zustände die Revolution in Neapel herauf zu beschwören. Was geschehn wäre, wenn das Unternehmen Garibaldis gleich zu An¬ fang mißlang, ist müßig zu untersuchen; nachdem es aber bis auf diesen Punkt glückte, die Hauptstadt des Landes einzunehmen, ohne daß der König das Land verließ, war die Einmischung Piemonts früher oder später eine lo¬ gische Nothwendigkeit. Garibaldi ist ein Held und ein edler Mensch; daß er aber nicht den Be¬ ruf hat, einen Staat zu regieren, auch nur für Monate, hat er früher in der Romagna. jetzt in Sicilien und Neapel auf das schlagendste bewährt. Trotz seines Patriotismus und seiner persönlichen Liebe zum Könige war er ganz in die Hände der Emeutiers von Profession, der Abenteurer. Schwindler und Beutelschneider gefallen; er war ein willenloses Werkzeug in ihren Händen; und wenn es uns menschlich betrachtet herzlich freut, daß ihm die italienische Nationalversammlung einstimmig eine ehrenvolle Anerkennung hat zu Theil werden lassen, so sind wir doch überzeugt, wir wiederholen es, daß seine po¬ litische Rolle zu Ende ist, Die Worte des Königs: „ich werde nie gestatten, 20 *

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 19, 1860, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341594_110347/167>, abgerufen am 15.01.2025.