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Die Grenzboten. Jg. 19, 1860, II. Semester. IV. Band.

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Durchaus andern Charakters sind die 1846 von Radicalen wie Walmslcy
und Joseph Hume und Manchestermännern wie Cobden und Bright gegrün¬
deten Daily News. Doch war das Blatt niemals eigentliches Organ der
letzteren, sondern diente nur gelegentlich als solches' da es ihnen allerdings
näher stand, als irgend eine andere Zeitung. Der erste Redacteur war Dickens.
Er gewann die besten publicistischen Kräfte zu Mitarbeitern, und die erste
Nummer war vielleicht reicher, glänzender und talentvoller als irgend eine
vorher. Indeß erhielt sich der dadurch erzielte Absatz nicht lange auf seiner
Höhe. Man suchte ihn durch Herabsetzung des Preises zu heben, mußte in¬
deß davon wieder absehn. Dickens trat von der Redaction, die ihm viel
Mühe und wenig Freude gemacht, sehr bald zurück. Auch sein Nachfolger
Forster blieb nicht lange. 1850 trat an dessen Stelle F. K. Hunt, dem 1850
der Schotte Weir folgte, welcher, wenn er grade keine besondern Talente be¬
saß, es doch bis zu seinem im September d. I. erfolgten Tode verstand, dem
Blatt eine gesicherte Existenz zu erobern, ohne das Ansehn und die Unab¬
hängigkeit desselben irgendwie zu beeinträchtigen. Die Daily News gelten
unter allen londoner Zeitungen für die gewissenhafteste und anstündigste.
Form und Gesinnung sind respectabel. Die Geldverhältnisse so geordnet, daß
Einnahmen und Ausgaben sich decken. Die Grundsätze, für welche das Blatt
ficht, sind bekannt: Freihandel, parlamentarische, sinancielle und administra¬
tive Reform. Alle Persönlichkeiten, die sich im Lauf der letzten vierzehn Jahre
in Vertheidigung dieser Principien hervorgethan haben, sind mit wenigen Aus¬
nahmen Mitarbeiter der Daily News gewesen. Dennoch fehlt es dem Blatte
wenigstens in den letzten Jahren an Frische und Lebendigkeit. Ein einschlä¬
fernder, philisterhafter Zug, derselbe, welcher die "respectabeln" englischen Mit¬
telclassen charakterifirt, geht durch das Ganze und sieht selbst aus den am
besten geschriebenen Leitartikeln, wie eine Schlafmütze aus dem Mund einer
Kanone heraus. Der Absatz des Blattes betrug anfangs bei einzelnen Num¬
mern bis 23.000 Exemplare; jetzt, soll es etwas über 5000 absetzen.

Bon den Pennyblättern, die erst seit der Mitte 1855 erfolgten Aufhebung
des Zeitungsstempels existiren, ist das älteste der unmittelbar nach Erlaß des
neuen Gesetzes von Oberst Sleigh, einem etwas zweifelhaften Charakter ge¬
gründete, jetzt einem Mr. Lewy gehörige Daily Telegraph. Es ist ein
Morgenblatt, das in den ersten Nachmittagsstunden eine zweite Ausgabe pu-
blicirt und sich durch die stilistische Gewandheit, den Witz und die Leichtigkeit
seiner Leitartikel auszeichnet, deren es meist drei, oft vier bringt. Diese Ar¬
tikel, die dem Blatt einen sehr bedeutenden Absatz verschafft haben, rühren
zum größern Theil aus der Feder der "Se. Johns" her, einer aus mehrern
Brüdern bestehenden Literatensamilie, die sich aus Journalistik eben so gut
versteht, wie die bekannten drei Schwestern Bronte auf Novellistik. Die


Durchaus andern Charakters sind die 1846 von Radicalen wie Walmslcy
und Joseph Hume und Manchestermännern wie Cobden und Bright gegrün¬
deten Daily News. Doch war das Blatt niemals eigentliches Organ der
letzteren, sondern diente nur gelegentlich als solches' da es ihnen allerdings
näher stand, als irgend eine andere Zeitung. Der erste Redacteur war Dickens.
Er gewann die besten publicistischen Kräfte zu Mitarbeitern, und die erste
Nummer war vielleicht reicher, glänzender und talentvoller als irgend eine
vorher. Indeß erhielt sich der dadurch erzielte Absatz nicht lange auf seiner
Höhe. Man suchte ihn durch Herabsetzung des Preises zu heben, mußte in¬
deß davon wieder absehn. Dickens trat von der Redaction, die ihm viel
Mühe und wenig Freude gemacht, sehr bald zurück. Auch sein Nachfolger
Forster blieb nicht lange. 1850 trat an dessen Stelle F. K. Hunt, dem 1850
der Schotte Weir folgte, welcher, wenn er grade keine besondern Talente be¬
saß, es doch bis zu seinem im September d. I. erfolgten Tode verstand, dem
Blatt eine gesicherte Existenz zu erobern, ohne das Ansehn und die Unab¬
hängigkeit desselben irgendwie zu beeinträchtigen. Die Daily News gelten
unter allen londoner Zeitungen für die gewissenhafteste und anstündigste.
Form und Gesinnung sind respectabel. Die Geldverhältnisse so geordnet, daß
Einnahmen und Ausgaben sich decken. Die Grundsätze, für welche das Blatt
ficht, sind bekannt: Freihandel, parlamentarische, sinancielle und administra¬
tive Reform. Alle Persönlichkeiten, die sich im Lauf der letzten vierzehn Jahre
in Vertheidigung dieser Principien hervorgethan haben, sind mit wenigen Aus¬
nahmen Mitarbeiter der Daily News gewesen. Dennoch fehlt es dem Blatte
wenigstens in den letzten Jahren an Frische und Lebendigkeit. Ein einschlä¬
fernder, philisterhafter Zug, derselbe, welcher die „respectabeln" englischen Mit¬
telclassen charakterifirt, geht durch das Ganze und sieht selbst aus den am
besten geschriebenen Leitartikeln, wie eine Schlafmütze aus dem Mund einer
Kanone heraus. Der Absatz des Blattes betrug anfangs bei einzelnen Num¬
mern bis 23.000 Exemplare; jetzt, soll es etwas über 5000 absetzen.

Bon den Pennyblättern, die erst seit der Mitte 1855 erfolgten Aufhebung
des Zeitungsstempels existiren, ist das älteste der unmittelbar nach Erlaß des
neuen Gesetzes von Oberst Sleigh, einem etwas zweifelhaften Charakter ge¬
gründete, jetzt einem Mr. Lewy gehörige Daily Telegraph. Es ist ein
Morgenblatt, das in den ersten Nachmittagsstunden eine zweite Ausgabe pu-
blicirt und sich durch die stilistische Gewandheit, den Witz und die Leichtigkeit
seiner Leitartikel auszeichnet, deren es meist drei, oft vier bringt. Diese Ar¬
tikel, die dem Blatt einen sehr bedeutenden Absatz verschafft haben, rühren
zum größern Theil aus der Feder der „Se. Johns" her, einer aus mehrern
Brüdern bestehenden Literatensamilie, die sich aus Journalistik eben so gut
versteht, wie die bekannten drei Schwestern Bronte auf Novellistik. Die


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[0158] Durchaus andern Charakters sind die 1846 von Radicalen wie Walmslcy und Joseph Hume und Manchestermännern wie Cobden und Bright gegrün¬ deten Daily News. Doch war das Blatt niemals eigentliches Organ der letzteren, sondern diente nur gelegentlich als solches' da es ihnen allerdings näher stand, als irgend eine andere Zeitung. Der erste Redacteur war Dickens. Er gewann die besten publicistischen Kräfte zu Mitarbeitern, und die erste Nummer war vielleicht reicher, glänzender und talentvoller als irgend eine vorher. Indeß erhielt sich der dadurch erzielte Absatz nicht lange auf seiner Höhe. Man suchte ihn durch Herabsetzung des Preises zu heben, mußte in¬ deß davon wieder absehn. Dickens trat von der Redaction, die ihm viel Mühe und wenig Freude gemacht, sehr bald zurück. Auch sein Nachfolger Forster blieb nicht lange. 1850 trat an dessen Stelle F. K. Hunt, dem 1850 der Schotte Weir folgte, welcher, wenn er grade keine besondern Talente be¬ saß, es doch bis zu seinem im September d. I. erfolgten Tode verstand, dem Blatt eine gesicherte Existenz zu erobern, ohne das Ansehn und die Unab¬ hängigkeit desselben irgendwie zu beeinträchtigen. Die Daily News gelten unter allen londoner Zeitungen für die gewissenhafteste und anstündigste. Form und Gesinnung sind respectabel. Die Geldverhältnisse so geordnet, daß Einnahmen und Ausgaben sich decken. Die Grundsätze, für welche das Blatt ficht, sind bekannt: Freihandel, parlamentarische, sinancielle und administra¬ tive Reform. Alle Persönlichkeiten, die sich im Lauf der letzten vierzehn Jahre in Vertheidigung dieser Principien hervorgethan haben, sind mit wenigen Aus¬ nahmen Mitarbeiter der Daily News gewesen. Dennoch fehlt es dem Blatte wenigstens in den letzten Jahren an Frische und Lebendigkeit. Ein einschlä¬ fernder, philisterhafter Zug, derselbe, welcher die „respectabeln" englischen Mit¬ telclassen charakterifirt, geht durch das Ganze und sieht selbst aus den am besten geschriebenen Leitartikeln, wie eine Schlafmütze aus dem Mund einer Kanone heraus. Der Absatz des Blattes betrug anfangs bei einzelnen Num¬ mern bis 23.000 Exemplare; jetzt, soll es etwas über 5000 absetzen. Bon den Pennyblättern, die erst seit der Mitte 1855 erfolgten Aufhebung des Zeitungsstempels existiren, ist das älteste der unmittelbar nach Erlaß des neuen Gesetzes von Oberst Sleigh, einem etwas zweifelhaften Charakter ge¬ gründete, jetzt einem Mr. Lewy gehörige Daily Telegraph. Es ist ein Morgenblatt, das in den ersten Nachmittagsstunden eine zweite Ausgabe pu- blicirt und sich durch die stilistische Gewandheit, den Witz und die Leichtigkeit seiner Leitartikel auszeichnet, deren es meist drei, oft vier bringt. Diese Ar¬ tikel, die dem Blatt einen sehr bedeutenden Absatz verschafft haben, rühren zum größern Theil aus der Feder der „Se. Johns" her, einer aus mehrern Brüdern bestehenden Literatensamilie, die sich aus Journalistik eben so gut versteht, wie die bekannten drei Schwestern Bronte auf Novellistik. Die

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 19, 1860, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341594_110347/158>, abgerufen am 15.01.2025.