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Die Grenzboten. Jg. 19, 1860, II. Semester. IV. Band.

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wenigstens eine Warnung für die Zukunft sein, und die Denkschrift eines er¬
lauchten Prinzen über die französischen Heereseinrichtungen -- deren Veröffent¬
lichung und noch dazu mit politischen Nutzanwendungen freilich ungehörig sein
mag -- wird manchem Militair die Augen öffnen. Unbequem ist uur, daß
Preußen nicht in der Lage ist zu warten. Napoleon soll den Piemontesen zu¬
gerufen haben: taitW, ins-is Kiws vite! -- Möchte sich es doch auch Preußen
gesagt sein lassen.

Bis jetzt hat in letzter Zeit Preußen uur einen politischen Gedanken ent¬
wickelt, die Besorgnis; eines Angriffs der Franzosen auf den Rhein. Diese
Besorgniß ist nicht unbegründet und verdient unsere ernsthafteste Aufmerksam¬
keit; wenn man aber von ihr allein ausgeht, so bringt man sich in eine
schiefe Stellung-, man erscheint als Hilfe suchend, wo man doch der stärkere ist.
Das Schauspiel in Baden war schön und würdig, und doch hätten wir außer
dem, was geschehen ist und was nothwendig war. noch gern etwas anderes
gewünscht. Es sei fern von uns, den persönlichen Verkehr von Königen, Kai¬
sern unter einander einer Kritik unterziehn zu wollen; aber da man doch hört,
daß von anderer Seite der Wunsch ausgesprochen wurde, Preußen möge die
Richtung seiner Regierung ändern, so hätten wir einen ähnlichen Wunsch auch
von preußischer Seite erwartet. In der freundschaftlichen Unterredung der
souveraine läßt sich manches sagen, was sich in einer officiellen Note nicht
ziemen würde, und bei einer gemeinsam drohenden Gefahr hat der mäch¬
tigste uuter den Bedrohten doch wol nicht nur die Berechtigung, sondern im
gewissen Sinn die Verpflichtung, die Verbündeten darauf aufmerksam zu
machen, unter welchen Bedingungen einzig und allein ein gedeihliches
Zusammenwirken zu erwarten sein dürfte.

Manches hat sich nun freilich seitdem geklärt. Ueber die österreichischen
Zustande kann sich Niemand mehr täuschen; von dieser Seite wird man auf
Unterstützung antipreußischer Gelüste nicht mehr rechnen können, da von allen
in der österreichischen Monarchie befindlichen Individuen gelinde gesagt neun
Zehntel den Glauben an die Fortdauer derselben verloren haben. Eine Wahl
zwischen Oesterreich und Preußen ist nicht mehr statthaft: diejenigen dentschen
Staaten, die nicht etwa auf einen Rheinbund ausgehn, werden veranlaßt sein,
mit Preußen unter jeder Bedingung abzuschließen. Diese Einsicht wird frei¬
lich bei den Mittelstaaten nicht eher eintreten als bis sie Preußen selber hat:
aber sobald Preußen einmal klar erkannt hat, daß es die Situation beherrscht,
wird diese Erkenntniß sofort allgemein werden. Alle Unterhandlungen mit
den auswärtigen Mächten, mit Nußland und auch mit England, sühren zu
nichts, so lange Preußen nicht seine Situation mit Deutschland geordnet hat.
Es hat bisher versucht, diese Ordnung im Einverständnis^ mit Oestreich vor¬
zunehmen, es muß jetzt allein darin vorschreiten und sowohl um seiner eigc-


wenigstens eine Warnung für die Zukunft sein, und die Denkschrift eines er¬
lauchten Prinzen über die französischen Heereseinrichtungen — deren Veröffent¬
lichung und noch dazu mit politischen Nutzanwendungen freilich ungehörig sein
mag — wird manchem Militair die Augen öffnen. Unbequem ist uur, daß
Preußen nicht in der Lage ist zu warten. Napoleon soll den Piemontesen zu¬
gerufen haben: taitW, ins-is Kiws vite! — Möchte sich es doch auch Preußen
gesagt sein lassen.

Bis jetzt hat in letzter Zeit Preußen uur einen politischen Gedanken ent¬
wickelt, die Besorgnis; eines Angriffs der Franzosen auf den Rhein. Diese
Besorgniß ist nicht unbegründet und verdient unsere ernsthafteste Aufmerksam¬
keit; wenn man aber von ihr allein ausgeht, so bringt man sich in eine
schiefe Stellung-, man erscheint als Hilfe suchend, wo man doch der stärkere ist.
Das Schauspiel in Baden war schön und würdig, und doch hätten wir außer
dem, was geschehen ist und was nothwendig war. noch gern etwas anderes
gewünscht. Es sei fern von uns, den persönlichen Verkehr von Königen, Kai¬
sern unter einander einer Kritik unterziehn zu wollen; aber da man doch hört,
daß von anderer Seite der Wunsch ausgesprochen wurde, Preußen möge die
Richtung seiner Regierung ändern, so hätten wir einen ähnlichen Wunsch auch
von preußischer Seite erwartet. In der freundschaftlichen Unterredung der
souveraine läßt sich manches sagen, was sich in einer officiellen Note nicht
ziemen würde, und bei einer gemeinsam drohenden Gefahr hat der mäch¬
tigste uuter den Bedrohten doch wol nicht nur die Berechtigung, sondern im
gewissen Sinn die Verpflichtung, die Verbündeten darauf aufmerksam zu
machen, unter welchen Bedingungen einzig und allein ein gedeihliches
Zusammenwirken zu erwarten sein dürfte.

Manches hat sich nun freilich seitdem geklärt. Ueber die österreichischen
Zustande kann sich Niemand mehr täuschen; von dieser Seite wird man auf
Unterstützung antipreußischer Gelüste nicht mehr rechnen können, da von allen
in der österreichischen Monarchie befindlichen Individuen gelinde gesagt neun
Zehntel den Glauben an die Fortdauer derselben verloren haben. Eine Wahl
zwischen Oesterreich und Preußen ist nicht mehr statthaft: diejenigen dentschen
Staaten, die nicht etwa auf einen Rheinbund ausgehn, werden veranlaßt sein,
mit Preußen unter jeder Bedingung abzuschließen. Diese Einsicht wird frei¬
lich bei den Mittelstaaten nicht eher eintreten als bis sie Preußen selber hat:
aber sobald Preußen einmal klar erkannt hat, daß es die Situation beherrscht,
wird diese Erkenntniß sofort allgemein werden. Alle Unterhandlungen mit
den auswärtigen Mächten, mit Nußland und auch mit England, sühren zu
nichts, so lange Preußen nicht seine Situation mit Deutschland geordnet hat.
Es hat bisher versucht, diese Ordnung im Einverständnis^ mit Oestreich vor¬
zunehmen, es muß jetzt allein darin vorschreiten und sowohl um seiner eigc-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 19, 1860, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341594_110347/139>, abgerufen am 15.01.2025.