Die Grenzboten. Jg. 19, 1860, II. Semester. IV. Band.großes Spiel wagen und Preußens eigenthümliche Stellung zu Oestreich be¬ Für Oestreich aber ist zu einem zweiten italienischen Kriege seit Teplitz Nun soll Preußen keineswegs der Möglichkeit eines solchen Conflicts scheu großes Spiel wagen und Preußens eigenthümliche Stellung zu Oestreich be¬ Für Oestreich aber ist zu einem zweiten italienischen Kriege seit Teplitz Nun soll Preußen keineswegs der Möglichkeit eines solchen Conflicts scheu <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0130" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/110478"/> <p xml:id="ID_332" prev="#ID_331"> großes Spiel wagen und Preußens eigenthümliche Stellung zu Oestreich be¬<lb/> nutzen, um mit voller Gewalt einen Schlag am Rheine zu versuchen.</p><lb/> <p xml:id="ID_333"> Für Oestreich aber ist zu einem zweiten italienischen Kriege seit Teplitz<lb/> starke Versuchung, Die innere Desorganisation, die Unmöglichkeit, das Heer<lb/> länger auf dem Kriegsfuß zu erhalten, beides treibt zum Losbruch. Durch<lb/> Wasserkuren den unruhigen Völkern imponiren, die Aufregung im Innern<lb/> übertäuben, die vollständige Rathlosigkeit durch einen verzweifelten Entschluß,<lb/> der den Schein der größten Männlichkeit hat, zu durchbrechen und vor Allem<lb/> das Heer durch Kontributionen in den reichen Städten Italiens zu erhalten,<lb/> das wäre eine Politik, der herrschenden Coterie zu Wien nicht unwürdig.<lb/> Dazu kommt die veränderte Stellung zu Frankreich und Preußen. Man weiß<lb/> in Wien sehr wohl, daß es dem Kaiser Napoleon eine stille Freude sein wird,<lb/> die Sardinier in der Enge zu sehn, daß Frankreich so wenig wie Oestreich<lb/> ein concentrirtes Italien wünschen kann. Man ist sicher, in Italien keinem<lb/> starken Feind zu begegnen, und auf der andern Seite hat man die größte<lb/> Hoffnung, durch solches Losbrechen Preußen mit Frankreich in einen Krieg zu<lb/> verwickeln. Denn die Bundesbeziehungen Preußens und der übrigen deutschen<lb/> Staaten zu Oestreich sind schon an sich so unheimlich und verworren, daß es<lb/> einem kriegslustiger Gegner in Frankreich schwerlich an Veranlassung fehlen<lb/> wird, Preußen einer Verletzung der Neutralität zu beschuldigen. Und sollte gar<lb/> die Tcplitzcr Zusammenkunft so weit wirken, daß Preußen sich dazu hergäbe,<lb/> irgendwelche partielle Unruhen im östreichischen Bundesgebiet durch seine Trup¬<lb/> pen zu unterdrücken, so wäre es für Frankreich vollends leicht, den Conflict<lb/> herbeizuführen, sobald und so schnell es ihm gelegen ist.</p><lb/> <p xml:id="ID_334"> Nun soll Preußen keineswegs der Möglichkeit eines solchen Conflicts scheu<lb/> aus dem Wege gehn, aber es soll sich niemals dazu hergeben, einen großen<lb/> Krieg in fremdem Interesse zu führen, und soll ihn niemals führen ohne einen<lb/> großen Zweck. Preußen tst unüberwindlich, selbst wenn es in Schlachten ge¬<lb/> schlagen würde, sobald es zwei Bundesgenossen hat. Erstens die heißen<lb/> Wünsche des deutschen Volks, die gute Meinung der Intelligenz Europas, und<lb/> zweitens die Seemacht England. Nun aber hat das Vertrauen zu Preußen<lb/> seit den Tagen von Teplitz keine Vergrößerung erfahren. Im Gegentheil, die<lb/> Annäherung an Oestreich und Nußland und einzelne diplomatische Demon¬<lb/> strationen in Italien haben in Deutschland, in Belgien, Holland. England<lb/> und der Schweiz die stille Sorge wach gerufen, daß die preußische Regierung<lb/> in dem mannhaften Bestreben. Europa gegen die Uebergriffe der französischen<lb/> Politik zu coaliren, sich selbst verleiten lassen werde, auch eine Reaction in<lb/> Italien zu begünstigen, und daß es sich dazu hergeben werde, den Interessen<lb/> Rußlands und Oestreichs zu dienen, in der guten Meinung, Gesetzlichkeit und<lb/> Ordnung in Europa zu verfechten.</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0130]
großes Spiel wagen und Preußens eigenthümliche Stellung zu Oestreich be¬
nutzen, um mit voller Gewalt einen Schlag am Rheine zu versuchen.
Für Oestreich aber ist zu einem zweiten italienischen Kriege seit Teplitz
starke Versuchung, Die innere Desorganisation, die Unmöglichkeit, das Heer
länger auf dem Kriegsfuß zu erhalten, beides treibt zum Losbruch. Durch
Wasserkuren den unruhigen Völkern imponiren, die Aufregung im Innern
übertäuben, die vollständige Rathlosigkeit durch einen verzweifelten Entschluß,
der den Schein der größten Männlichkeit hat, zu durchbrechen und vor Allem
das Heer durch Kontributionen in den reichen Städten Italiens zu erhalten,
das wäre eine Politik, der herrschenden Coterie zu Wien nicht unwürdig.
Dazu kommt die veränderte Stellung zu Frankreich und Preußen. Man weiß
in Wien sehr wohl, daß es dem Kaiser Napoleon eine stille Freude sein wird,
die Sardinier in der Enge zu sehn, daß Frankreich so wenig wie Oestreich
ein concentrirtes Italien wünschen kann. Man ist sicher, in Italien keinem
starken Feind zu begegnen, und auf der andern Seite hat man die größte
Hoffnung, durch solches Losbrechen Preußen mit Frankreich in einen Krieg zu
verwickeln. Denn die Bundesbeziehungen Preußens und der übrigen deutschen
Staaten zu Oestreich sind schon an sich so unheimlich und verworren, daß es
einem kriegslustiger Gegner in Frankreich schwerlich an Veranlassung fehlen
wird, Preußen einer Verletzung der Neutralität zu beschuldigen. Und sollte gar
die Tcplitzcr Zusammenkunft so weit wirken, daß Preußen sich dazu hergäbe,
irgendwelche partielle Unruhen im östreichischen Bundesgebiet durch seine Trup¬
pen zu unterdrücken, so wäre es für Frankreich vollends leicht, den Conflict
herbeizuführen, sobald und so schnell es ihm gelegen ist.
Nun soll Preußen keineswegs der Möglichkeit eines solchen Conflicts scheu
aus dem Wege gehn, aber es soll sich niemals dazu hergeben, einen großen
Krieg in fremdem Interesse zu führen, und soll ihn niemals führen ohne einen
großen Zweck. Preußen tst unüberwindlich, selbst wenn es in Schlachten ge¬
schlagen würde, sobald es zwei Bundesgenossen hat. Erstens die heißen
Wünsche des deutschen Volks, die gute Meinung der Intelligenz Europas, und
zweitens die Seemacht England. Nun aber hat das Vertrauen zu Preußen
seit den Tagen von Teplitz keine Vergrößerung erfahren. Im Gegentheil, die
Annäherung an Oestreich und Nußland und einzelne diplomatische Demon¬
strationen in Italien haben in Deutschland, in Belgien, Holland. England
und der Schweiz die stille Sorge wach gerufen, daß die preußische Regierung
in dem mannhaften Bestreben. Europa gegen die Uebergriffe der französischen
Politik zu coaliren, sich selbst verleiten lassen werde, auch eine Reaction in
Italien zu begünstigen, und daß es sich dazu hergeben werde, den Interessen
Rußlands und Oestreichs zu dienen, in der guten Meinung, Gesetzlichkeit und
Ordnung in Europa zu verfechten.
Informationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen … Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.
Weitere Informationen:Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur. Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (ꝛ): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja; Nachkorrektur erfolgte automatisch.
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2025 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |