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Die Grenzboten. Jg. 19, 1860, II. Semester. IV. Band.

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officielle Ausland beurtheilt die deutschen Verhältnisse in der Regel vom Stand¬
punkt des Salons, denn die Gesandten leben ausschließlich in seinen Stim¬
mungen, Anekdoten, Scherzen und feinen Malicen, und ihre Berichte spiegeln
nur zu gewöhnlich seine Farben ab.

So ist z, B. die Beurtheilung unserer Zustände in den englischen Mi¬
nisterien lange unsicher und verkehrt gewesen, und erst das jetzige Ministerium
gewinnt die Ueberzeugung, daß die Geschichte Deutschlands in letzter Instanz
nicht durch die Salons, auch nicht durch die Ministerien allein, sondern vor¬
zugsweise durch den Geist des gebildeten Mittelstandes gemacht wird. Und
die Ernennung von solchen Gesandten und politischen Agenten, welche litera¬
rische, zuweilen auch journalistische Bildung haben und durch ihre eigenen
Gcistesbcdürsnisse auf den Verkehr mit dem besten Leben der Nation ange¬
wiesen sind, hat bereits Früchte getragen und verspricht noch bessere. Man
hat in England endlich erkannt, woher es kam. daß man so gut über die
italienische Bewegung und ihre Berechtigung unterrichtet war -- denn der
Salon Italiens war durchweg national und unitarisch -- und so schlecht über
die deutsche, Der erste fremde Politiker aber, welcher das deutsche Volk besser
verstanden hat, als die Gesandtschaftsbcrichte, war Kaiser Napoleon.

Wir Deutsche also wissen sehr wohl, daß der Einfluß der Coterien ohn¬
mächtig wird, sobald sich die Ueberzeugungen der Nation laut und energisch
aussprechen. Aber wir erkennen auch sehr gut, daß ein unnnsgesetzter, leiser
und vorläufig unzerstörbarer Einfluß auch eine patriotische Negierung beständig
in Gefahr setzt, unrichtigen Gesichtspunkten zu verfallen. Und deshalb scheint
uns, hat die preußische Presse grübe jetzt die Aufgabe, mit höchster Energie
und preußischem Stolz die öffentliche Meinung auszusprechen. Denn am Ho¬
rizont steigt eine große Gefahr für Preußen herauf.

Ueber die Teplitzer Zusammenkunft ist in diesen Blättern zur >Genüge
berichtet. Auch die Stimmungen und Abreden derselben wurden angedeutet.
Für die damalige Weltlage war die Besprechung von Vortheil. Es war nö¬
thig, der Anncxvolitik des Kaisers Napoleon ein Halt zu gebieten und die
geheimen Projecte seines unruhigen Ehrgeizes zu kreuzen. Ties empfand er
den Stoß, welcher damals gegen ihn geführt wurde, und mit großem Geschick
wich er ihm aus. Was er seitdem in Italien gethan, war so klug als mög¬
lich. Die italienische Bewegung hatte Dimensionen erreicht, die ihm uner¬
wünscht waren; er mußte vorläufig darauf verzichten, für weitere Gefälligkeiten
Sardinien und Genna zu gewinnen, er mußte, in die Schuhe des englischen
Ministeriums tretend, ganz Italien, mit Ausnahme Benetiens und des Pa-
trimoniums Petri, den Sardiniern überlassen, er that es -- um einen Lieblings-
ausdiuck der berliner Presse zu gebrauchen -- durchaus correct, er rief seinen
Gesandten von Turin ab und hielt doch die schützende Hand über die Cavoursche


officielle Ausland beurtheilt die deutschen Verhältnisse in der Regel vom Stand¬
punkt des Salons, denn die Gesandten leben ausschließlich in seinen Stim¬
mungen, Anekdoten, Scherzen und feinen Malicen, und ihre Berichte spiegeln
nur zu gewöhnlich seine Farben ab.

So ist z, B. die Beurtheilung unserer Zustände in den englischen Mi¬
nisterien lange unsicher und verkehrt gewesen, und erst das jetzige Ministerium
gewinnt die Ueberzeugung, daß die Geschichte Deutschlands in letzter Instanz
nicht durch die Salons, auch nicht durch die Ministerien allein, sondern vor¬
zugsweise durch den Geist des gebildeten Mittelstandes gemacht wird. Und
die Ernennung von solchen Gesandten und politischen Agenten, welche litera¬
rische, zuweilen auch journalistische Bildung haben und durch ihre eigenen
Gcistesbcdürsnisse auf den Verkehr mit dem besten Leben der Nation ange¬
wiesen sind, hat bereits Früchte getragen und verspricht noch bessere. Man
hat in England endlich erkannt, woher es kam. daß man so gut über die
italienische Bewegung und ihre Berechtigung unterrichtet war — denn der
Salon Italiens war durchweg national und unitarisch — und so schlecht über
die deutsche, Der erste fremde Politiker aber, welcher das deutsche Volk besser
verstanden hat, als die Gesandtschaftsbcrichte, war Kaiser Napoleon.

Wir Deutsche also wissen sehr wohl, daß der Einfluß der Coterien ohn¬
mächtig wird, sobald sich die Ueberzeugungen der Nation laut und energisch
aussprechen. Aber wir erkennen auch sehr gut, daß ein unnnsgesetzter, leiser
und vorläufig unzerstörbarer Einfluß auch eine patriotische Negierung beständig
in Gefahr setzt, unrichtigen Gesichtspunkten zu verfallen. Und deshalb scheint
uns, hat die preußische Presse grübe jetzt die Aufgabe, mit höchster Energie
und preußischem Stolz die öffentliche Meinung auszusprechen. Denn am Ho¬
rizont steigt eine große Gefahr für Preußen herauf.

Ueber die Teplitzer Zusammenkunft ist in diesen Blättern zur >Genüge
berichtet. Auch die Stimmungen und Abreden derselben wurden angedeutet.
Für die damalige Weltlage war die Besprechung von Vortheil. Es war nö¬
thig, der Anncxvolitik des Kaisers Napoleon ein Halt zu gebieten und die
geheimen Projecte seines unruhigen Ehrgeizes zu kreuzen. Ties empfand er
den Stoß, welcher damals gegen ihn geführt wurde, und mit großem Geschick
wich er ihm aus. Was er seitdem in Italien gethan, war so klug als mög¬
lich. Die italienische Bewegung hatte Dimensionen erreicht, die ihm uner¬
wünscht waren; er mußte vorläufig darauf verzichten, für weitere Gefälligkeiten
Sardinien und Genna zu gewinnen, er mußte, in die Schuhe des englischen
Ministeriums tretend, ganz Italien, mit Ausnahme Benetiens und des Pa-
trimoniums Petri, den Sardiniern überlassen, er that es — um einen Lieblings-
ausdiuck der berliner Presse zu gebrauchen — durchaus correct, er rief seinen
Gesandten von Turin ab und hielt doch die schützende Hand über die Cavoursche


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[0128] officielle Ausland beurtheilt die deutschen Verhältnisse in der Regel vom Stand¬ punkt des Salons, denn die Gesandten leben ausschließlich in seinen Stim¬ mungen, Anekdoten, Scherzen und feinen Malicen, und ihre Berichte spiegeln nur zu gewöhnlich seine Farben ab. So ist z, B. die Beurtheilung unserer Zustände in den englischen Mi¬ nisterien lange unsicher und verkehrt gewesen, und erst das jetzige Ministerium gewinnt die Ueberzeugung, daß die Geschichte Deutschlands in letzter Instanz nicht durch die Salons, auch nicht durch die Ministerien allein, sondern vor¬ zugsweise durch den Geist des gebildeten Mittelstandes gemacht wird. Und die Ernennung von solchen Gesandten und politischen Agenten, welche litera¬ rische, zuweilen auch journalistische Bildung haben und durch ihre eigenen Gcistesbcdürsnisse auf den Verkehr mit dem besten Leben der Nation ange¬ wiesen sind, hat bereits Früchte getragen und verspricht noch bessere. Man hat in England endlich erkannt, woher es kam. daß man so gut über die italienische Bewegung und ihre Berechtigung unterrichtet war — denn der Salon Italiens war durchweg national und unitarisch — und so schlecht über die deutsche, Der erste fremde Politiker aber, welcher das deutsche Volk besser verstanden hat, als die Gesandtschaftsbcrichte, war Kaiser Napoleon. Wir Deutsche also wissen sehr wohl, daß der Einfluß der Coterien ohn¬ mächtig wird, sobald sich die Ueberzeugungen der Nation laut und energisch aussprechen. Aber wir erkennen auch sehr gut, daß ein unnnsgesetzter, leiser und vorläufig unzerstörbarer Einfluß auch eine patriotische Negierung beständig in Gefahr setzt, unrichtigen Gesichtspunkten zu verfallen. Und deshalb scheint uns, hat die preußische Presse grübe jetzt die Aufgabe, mit höchster Energie und preußischem Stolz die öffentliche Meinung auszusprechen. Denn am Ho¬ rizont steigt eine große Gefahr für Preußen herauf. Ueber die Teplitzer Zusammenkunft ist in diesen Blättern zur >Genüge berichtet. Auch die Stimmungen und Abreden derselben wurden angedeutet. Für die damalige Weltlage war die Besprechung von Vortheil. Es war nö¬ thig, der Anncxvolitik des Kaisers Napoleon ein Halt zu gebieten und die geheimen Projecte seines unruhigen Ehrgeizes zu kreuzen. Ties empfand er den Stoß, welcher damals gegen ihn geführt wurde, und mit großem Geschick wich er ihm aus. Was er seitdem in Italien gethan, war so klug als mög¬ lich. Die italienische Bewegung hatte Dimensionen erreicht, die ihm uner¬ wünscht waren; er mußte vorläufig darauf verzichten, für weitere Gefälligkeiten Sardinien und Genna zu gewinnen, er mußte, in die Schuhe des englischen Ministeriums tretend, ganz Italien, mit Ausnahme Benetiens und des Pa- trimoniums Petri, den Sardiniern überlassen, er that es — um einen Lieblings- ausdiuck der berliner Presse zu gebrauchen — durchaus correct, er rief seinen Gesandten von Turin ab und hielt doch die schützende Hand über die Cavoursche

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 19, 1860, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341594_110347/128>, abgerufen am 15.01.2025.