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Die Grenzboten. Jg. 19, 1860, II. Semester. IV. Band.

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niedern Beschäftigung auch eine niedere Gesinnung verbunden sei, blieb Glaubens¬
satz des hellenischen Volkes, den sich auch die hellenische Welt nur zu sehr an¬
geeignet zu haben scheint.

Ein Schriftsteller des zweiten Jahrhunderts nach Christi Geburt gibt uns
an seiner eignen Person ein bemerkenswerthes Beispiel. Ein junger Mann von
geringer Herkunft, weder ätherischer Bürger noch Spartiat. auch nicht in Hellas
geboren, sondern fern a" den Ufern des Euphrat in Samosata, vermuthlich
nicht einmal von griechischer Abstammung, wird von seinen Freunden veran¬
laßt, das in der Familie heimische Gewerbe eines Bildhauers, vielleicht auch
nur eines Steinmetzen zu ergreifen. Der Jüngling aber fühlt einen ganz an¬
dern Beruf in sich, und in der Aufregung, in welche er gerät!) bei dem Zwie-
spalte zwischen kindlichem Gehorsam und höherer Pflicht, erscheint ihm ein
Traumbild. Es tritt die Bildhauerkunst auf in einer schmutzigen Gewandung,
mit Marmorstaub bedeckt und mit Schwielen an den Händen. Sie verspricht
ein reichliches Auskommen und einen starken Körper und erinnert an d?n Ruhm
des Phidias, Polyklet und andrer Meister. Ihr folgt die höhere Bildung
oder Wissenschaft auf dem Fuße, welche dem Jüngling, der ihr längst schon
geneigt ist, mit gar wenig Bescheidenheit zu Gemüthe führt, wie er als Bild--
Hauer immer nur ein Handwerker, ruhmlos. eiuer aus dem großen Haufen,
kurz ein Mensch von gemeiner Gesinnung sein werde. Selbst wenn er als ein
zweiter Phidias oder Polyklet Staunenswerthes schaffen sollte, so werde zwar
jeder seine Kunst bewundern, aber kein Vernünftiger wünschen an seiner Stelle
zu sein. Denn wie geschickt er auch sein möge, er werde immer nur ein Lohn¬
arbeiter, ein Banause sein.

Daß Lucian -- denn er war dieser Jüngling -- sich für die Nachfolge
der höhern Bildung entschied und größere Ehre darin suchte, die Thorheiten
seiner Zeit zu verspotten als in einer Erwerbsthätigkeit, die der damaligen
Zeit für gemein galt, ist bekannt. Er mochte es mit Recht thun, denn er
hatte in der That einen höhern Beruf. Aber Tausende, die diesen Beruf nicht
hatten, dachten wie er und hörten nicht eher auf durch Flucht vor der Arbeit
und in Folge davon durch Trägheit, durch Narrheit und durch wirkliche Gemein-
heit der Gesinnung den hellenischen Namen zu schänden als bis die Barbaren
Alarichs mit der griechischen Cultur auch die Gemeinheit Griechenlands nieder¬
traten und der Sultan der Osmanen endlich den Verkommenen die letzte Schmach
anthat durch die Erhöhung des Halbmonds in der letzten Metropole des
Griechenthums.

Der Entwicklungsproceß des griechischen Volksthums. wie wir ihn im
Vorhergehende" darzustellen versucht haben, zeigt uns zwei eigenthümliche
Erscheinungen, die wir in gleich scharf hervortretenden Zügen bei keinem Volke
älterer oder neuerer Zeit finden. Einmal nämlich ist die Schnelligkeit, wir


niedern Beschäftigung auch eine niedere Gesinnung verbunden sei, blieb Glaubens¬
satz des hellenischen Volkes, den sich auch die hellenische Welt nur zu sehr an¬
geeignet zu haben scheint.

Ein Schriftsteller des zweiten Jahrhunderts nach Christi Geburt gibt uns
an seiner eignen Person ein bemerkenswerthes Beispiel. Ein junger Mann von
geringer Herkunft, weder ätherischer Bürger noch Spartiat. auch nicht in Hellas
geboren, sondern fern a» den Ufern des Euphrat in Samosata, vermuthlich
nicht einmal von griechischer Abstammung, wird von seinen Freunden veran¬
laßt, das in der Familie heimische Gewerbe eines Bildhauers, vielleicht auch
nur eines Steinmetzen zu ergreifen. Der Jüngling aber fühlt einen ganz an¬
dern Beruf in sich, und in der Aufregung, in welche er gerät!) bei dem Zwie-
spalte zwischen kindlichem Gehorsam und höherer Pflicht, erscheint ihm ein
Traumbild. Es tritt die Bildhauerkunst auf in einer schmutzigen Gewandung,
mit Marmorstaub bedeckt und mit Schwielen an den Händen. Sie verspricht
ein reichliches Auskommen und einen starken Körper und erinnert an d?n Ruhm
des Phidias, Polyklet und andrer Meister. Ihr folgt die höhere Bildung
oder Wissenschaft auf dem Fuße, welche dem Jüngling, der ihr längst schon
geneigt ist, mit gar wenig Bescheidenheit zu Gemüthe führt, wie er als Bild--
Hauer immer nur ein Handwerker, ruhmlos. eiuer aus dem großen Haufen,
kurz ein Mensch von gemeiner Gesinnung sein werde. Selbst wenn er als ein
zweiter Phidias oder Polyklet Staunenswerthes schaffen sollte, so werde zwar
jeder seine Kunst bewundern, aber kein Vernünftiger wünschen an seiner Stelle
zu sein. Denn wie geschickt er auch sein möge, er werde immer nur ein Lohn¬
arbeiter, ein Banause sein.

Daß Lucian — denn er war dieser Jüngling — sich für die Nachfolge
der höhern Bildung entschied und größere Ehre darin suchte, die Thorheiten
seiner Zeit zu verspotten als in einer Erwerbsthätigkeit, die der damaligen
Zeit für gemein galt, ist bekannt. Er mochte es mit Recht thun, denn er
hatte in der That einen höhern Beruf. Aber Tausende, die diesen Beruf nicht
hatten, dachten wie er und hörten nicht eher auf durch Flucht vor der Arbeit
und in Folge davon durch Trägheit, durch Narrheit und durch wirkliche Gemein-
heit der Gesinnung den hellenischen Namen zu schänden als bis die Barbaren
Alarichs mit der griechischen Cultur auch die Gemeinheit Griechenlands nieder¬
traten und der Sultan der Osmanen endlich den Verkommenen die letzte Schmach
anthat durch die Erhöhung des Halbmonds in der letzten Metropole des
Griechenthums.

Der Entwicklungsproceß des griechischen Volksthums. wie wir ihn im
Vorhergehende» darzustellen versucht haben, zeigt uns zwei eigenthümliche
Erscheinungen, die wir in gleich scharf hervortretenden Zügen bei keinem Volke
älterer oder neuerer Zeit finden. Einmal nämlich ist die Schnelligkeit, wir


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[0113] niedern Beschäftigung auch eine niedere Gesinnung verbunden sei, blieb Glaubens¬ satz des hellenischen Volkes, den sich auch die hellenische Welt nur zu sehr an¬ geeignet zu haben scheint. Ein Schriftsteller des zweiten Jahrhunderts nach Christi Geburt gibt uns an seiner eignen Person ein bemerkenswerthes Beispiel. Ein junger Mann von geringer Herkunft, weder ätherischer Bürger noch Spartiat. auch nicht in Hellas geboren, sondern fern a» den Ufern des Euphrat in Samosata, vermuthlich nicht einmal von griechischer Abstammung, wird von seinen Freunden veran¬ laßt, das in der Familie heimische Gewerbe eines Bildhauers, vielleicht auch nur eines Steinmetzen zu ergreifen. Der Jüngling aber fühlt einen ganz an¬ dern Beruf in sich, und in der Aufregung, in welche er gerät!) bei dem Zwie- spalte zwischen kindlichem Gehorsam und höherer Pflicht, erscheint ihm ein Traumbild. Es tritt die Bildhauerkunst auf in einer schmutzigen Gewandung, mit Marmorstaub bedeckt und mit Schwielen an den Händen. Sie verspricht ein reichliches Auskommen und einen starken Körper und erinnert an d?n Ruhm des Phidias, Polyklet und andrer Meister. Ihr folgt die höhere Bildung oder Wissenschaft auf dem Fuße, welche dem Jüngling, der ihr längst schon geneigt ist, mit gar wenig Bescheidenheit zu Gemüthe führt, wie er als Bild-- Hauer immer nur ein Handwerker, ruhmlos. eiuer aus dem großen Haufen, kurz ein Mensch von gemeiner Gesinnung sein werde. Selbst wenn er als ein zweiter Phidias oder Polyklet Staunenswerthes schaffen sollte, so werde zwar jeder seine Kunst bewundern, aber kein Vernünftiger wünschen an seiner Stelle zu sein. Denn wie geschickt er auch sein möge, er werde immer nur ein Lohn¬ arbeiter, ein Banause sein. Daß Lucian — denn er war dieser Jüngling — sich für die Nachfolge der höhern Bildung entschied und größere Ehre darin suchte, die Thorheiten seiner Zeit zu verspotten als in einer Erwerbsthätigkeit, die der damaligen Zeit für gemein galt, ist bekannt. Er mochte es mit Recht thun, denn er hatte in der That einen höhern Beruf. Aber Tausende, die diesen Beruf nicht hatten, dachten wie er und hörten nicht eher auf durch Flucht vor der Arbeit und in Folge davon durch Trägheit, durch Narrheit und durch wirkliche Gemein- heit der Gesinnung den hellenischen Namen zu schänden als bis die Barbaren Alarichs mit der griechischen Cultur auch die Gemeinheit Griechenlands nieder¬ traten und der Sultan der Osmanen endlich den Verkommenen die letzte Schmach anthat durch die Erhöhung des Halbmonds in der letzten Metropole des Griechenthums. Der Entwicklungsproceß des griechischen Volksthums. wie wir ihn im Vorhergehende» darzustellen versucht haben, zeigt uns zwei eigenthümliche Erscheinungen, die wir in gleich scharf hervortretenden Zügen bei keinem Volke älterer oder neuerer Zeit finden. Einmal nämlich ist die Schnelligkeit, wir

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 19, 1860, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341594_110347/113>, abgerufen am 15.01.2025.