Die Grenzboten. Jg. 19, 1860, II. Semester. III. Band.bezeichnen, Menschen, bei denen alle Theile der Gliederung lediglich um des Lallemand, der im vorigen Jahre einige ihrer Horden besuchte/) sagt von Unser Reisender sah einige von den Kunststücken dieser Menschen der Ur¬ ") Reise durch Nord-Brasilien im Jahre 18S9, Von Dr. Robert Aos-Lallemand, 1. Theil.
Leipzig, F. A. Brockhaus. bezeichnen, Menschen, bei denen alle Theile der Gliederung lediglich um des Lallemand, der im vorigen Jahre einige ihrer Horden besuchte/) sagt von Unser Reisender sah einige von den Kunststücken dieser Menschen der Ur¬ ") Reise durch Nord-Brasilien im Jahre 18S9, Von Dr. Robert Aos-Lallemand, 1. Theil.
Leipzig, F. A. Brockhaus. <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0075" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/109881"/> <p xml:id="ID_168" prev="#ID_167"> bezeichnen, Menschen, bei denen alle Theile der Gliederung lediglich um des<lb/> Magens willen vorhanden zu sein scheinen. Ihre Köpfe sind leicht mongolisch<lb/> modellirt. Die Stirn ist flach, schmal und knochig. Der Charakter, den ihre<lb/> Züge ausdrücken, läßt sich in Worten nicht anders wiedergeben, als mit ab¬<lb/> soluter Nichtigkeit, vollkommenem Mangel an Temperament. Sie scheinen nichts<lb/> zu sehen, sich für nichts zu interessiren, ihre Augen sind ohne irgend welchen<lb/> Glanz, sagen nicht das Geringste, haben gewissermaßen gar keinen Blick. Matt,<lb/> flau, nichts ausnehmend, nichts wiedergebend, schweift ihr Blick, wie ein wel¬<lb/> kes Blatt im Winde hierhin und dorthin, ohne auf einem Gegenstand zu haf¬<lb/> ten. Weder Furcht noch Muth, nichts, auch gar nichts ist darin zu entdecken.<lb/> Höchstens dann zeigt sich in dem Botokudenauge die Seele, wenn es von dem<lb/> Blick des Europäers, des Culturmenschen getroffen wird. Da schleicht sich der<lb/> Blick des Waldmenschen scheu und verlegen bei Seite, ja der ganze Körper<lb/> nimmt eine Haltung an, als wollte er sich seitwärts drücken, wie wenn er<lb/> ahnte, daß dieses feste Auge des Culturmenschen nach angestellter Analyse lauter<lb/> Negativitäten im Botokuden herausfinden, und das ganze Individuum, die<lb/> ganze Horde, das ganze Volk in nichts auflösen müßte.</p><lb/> <p xml:id="ID_169"> Lallemand, der im vorigen Jahre einige ihrer Horden besuchte/) sagt von<lb/> einer dieser Begegnungen mit diesen Urwaldskindern: „So standen sie da. mit<lb/> einer Art von Grinsen im Gesicht, Lemuren des Waldes und Fledermäuse, die<lb/> zwischen Mensch und Thier umherflattern, ohne sich von der Natur des letztern<lb/> frei niachen, ohne sich zur Lichtseite des erstern ausschwingen zu können."</p><lb/> <p xml:id="ID_170" next="#ID_171"> Unser Reisender sah einige von den Kunststücken dieser Menschen der Ur¬<lb/> waldsdämmerung. Unter Anderm ergriff ein Häuptling seinen Bogen und<lb/> schoß einen Pfeil bis zu einer Höhe empor, die den Fremden in Erstaunen<lb/> setzte. Nun befestigte Lallemand ein Zwei-Milreisstück, eine Silbermünze von<lb/> der Größe eines Speciesthalers an einen Bananenbaum und ließ die Boto¬<lb/> kuden aus einer Entfernung von etwa dreißig Fuß darnach schießen. Der<lb/> Häuptling mit drei andern schoß wiederholt nach diesem Ziel. Mit außerordent¬<lb/> licher Gewalt sausten die Pfeile nach der kleinen Scheibe, aber kein einziger<lb/> traf sie. ja kein einziger kam auch'nur in die Nähe des Geldstücks. Ein scharf¬<lb/> sehender, mit dem Gebrauch des Bogens vertrauter Europäer würde mehr Ge¬<lb/> schick gezeigt haben, als diese wilden Schützen. Und woher kam diese Un¬<lb/> geschicklichkeit bei Leuten, die nicht leicht einen Vogel im Flug verfehlen? „Weil<lb/> sie nicht gewohnt sind," vermuthet unsre Quelle, „nach einem Silberstück zu<lb/> schießen, weil sie es gar nicht kennen, seine Distanz nicht taxiren können, weil<lb/> sie es vielleicht gar nicht einmal sehen. Hätte ich einen todten Vogel an die</p><lb/> <note xml:id="FID_12" place="foot"> ") Reise durch Nord-Brasilien im Jahre 18S9, Von Dr. Robert Aos-Lallemand, 1. Theil.<lb/> Leipzig, F. A. Brockhaus.</note><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0075]
bezeichnen, Menschen, bei denen alle Theile der Gliederung lediglich um des
Magens willen vorhanden zu sein scheinen. Ihre Köpfe sind leicht mongolisch
modellirt. Die Stirn ist flach, schmal und knochig. Der Charakter, den ihre
Züge ausdrücken, läßt sich in Worten nicht anders wiedergeben, als mit ab¬
soluter Nichtigkeit, vollkommenem Mangel an Temperament. Sie scheinen nichts
zu sehen, sich für nichts zu interessiren, ihre Augen sind ohne irgend welchen
Glanz, sagen nicht das Geringste, haben gewissermaßen gar keinen Blick. Matt,
flau, nichts ausnehmend, nichts wiedergebend, schweift ihr Blick, wie ein wel¬
kes Blatt im Winde hierhin und dorthin, ohne auf einem Gegenstand zu haf¬
ten. Weder Furcht noch Muth, nichts, auch gar nichts ist darin zu entdecken.
Höchstens dann zeigt sich in dem Botokudenauge die Seele, wenn es von dem
Blick des Europäers, des Culturmenschen getroffen wird. Da schleicht sich der
Blick des Waldmenschen scheu und verlegen bei Seite, ja der ganze Körper
nimmt eine Haltung an, als wollte er sich seitwärts drücken, wie wenn er
ahnte, daß dieses feste Auge des Culturmenschen nach angestellter Analyse lauter
Negativitäten im Botokuden herausfinden, und das ganze Individuum, die
ganze Horde, das ganze Volk in nichts auflösen müßte.
Lallemand, der im vorigen Jahre einige ihrer Horden besuchte/) sagt von
einer dieser Begegnungen mit diesen Urwaldskindern: „So standen sie da. mit
einer Art von Grinsen im Gesicht, Lemuren des Waldes und Fledermäuse, die
zwischen Mensch und Thier umherflattern, ohne sich von der Natur des letztern
frei niachen, ohne sich zur Lichtseite des erstern ausschwingen zu können."
Unser Reisender sah einige von den Kunststücken dieser Menschen der Ur¬
waldsdämmerung. Unter Anderm ergriff ein Häuptling seinen Bogen und
schoß einen Pfeil bis zu einer Höhe empor, die den Fremden in Erstaunen
setzte. Nun befestigte Lallemand ein Zwei-Milreisstück, eine Silbermünze von
der Größe eines Speciesthalers an einen Bananenbaum und ließ die Boto¬
kuden aus einer Entfernung von etwa dreißig Fuß darnach schießen. Der
Häuptling mit drei andern schoß wiederholt nach diesem Ziel. Mit außerordent¬
licher Gewalt sausten die Pfeile nach der kleinen Scheibe, aber kein einziger
traf sie. ja kein einziger kam auch'nur in die Nähe des Geldstücks. Ein scharf¬
sehender, mit dem Gebrauch des Bogens vertrauter Europäer würde mehr Ge¬
schick gezeigt haben, als diese wilden Schützen. Und woher kam diese Un¬
geschicklichkeit bei Leuten, die nicht leicht einen Vogel im Flug verfehlen? „Weil
sie nicht gewohnt sind," vermuthet unsre Quelle, „nach einem Silberstück zu
schießen, weil sie es gar nicht kennen, seine Distanz nicht taxiren können, weil
sie es vielleicht gar nicht einmal sehen. Hätte ich einen todten Vogel an die
") Reise durch Nord-Brasilien im Jahre 18S9, Von Dr. Robert Aos-Lallemand, 1. Theil.
Leipzig, F. A. Brockhaus.
Informationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen … Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.
Weitere Informationen:Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur. Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (ꝛ): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja; Nachkorrektur erfolgte automatisch.
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2025 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |