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Die Grenzboten. Jg. 19, 1860, II. Semester. III. Band.

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Blumendolden empor. Andere Kletterpflanzen liegen wunderlich holzig am
Boden umher wie die Ringe erstarrter Riesenschlangen. In den Astlöchern
sitzen buntfarbige Schmarotzergewächse. Im Schatten der großen Verwand¬
ten strebte die kleine Welt der Sträucher und Kräuter nach Lust und Sonne
empor.

Selten begegnet der Blick einem Vierfüßler in dieser einsamen Wildniß.
Bisweilen sieht der Jäger eine Unze durch die Büsche schleichen. Gelegent¬
lich hängt an einem Zweig ein Ameisenfresser mit seinem Wickelschwanz.
Auch der plumpe Tapir, die Unke und das Armadill Hausen im Dunkel des
Waldes. Aber sie alle treten zurück vor der geschwätzigen, ewig geschäftigen
Vogelwelt, die auf Tritt und Schritt sich dem Wanderer zeigt. Biauschillernde
oder braune Krotophagen mit weißen Augenflecken auf dem langen und breiten
Schwanz schlüpfen schreiend durch das Gebüsch. Ganze Geschwader von Peri-
quitos, diesen grünen Sperlingen der Tropen, ziehen mit stetem lärmenden
Gezänk von Baum zu Baum. Zahlreiche Papageien erheben über den seltnen
Anblick eines ungeflügelten Zweifüßlers in ihrem Revier verwundertes Ge-
krächz. Wir vergessen sie über der prächtigen Erscheinung ihrer großen Vet¬
tern, der Araras, dieser Magnaten unter den Klettervögeln. Mit Füßen und
Schnabel zugleich an den Stämmen emporsteigend, ost auch den langen Schwanz
noch als Stütze benutzend, machen diese schönen Vögel die anmuthigsten Evo¬
lutionen, breiten die Fittiche aus und schlagen sie wieder zusammen, so daß
die Glut ihres rothen Federkleides mit einzelnen blauen Strichen darin im Glanz
der Morgensonne doppelt feurig aufleuchtet.. Uns bemerkend heben sie sich,
nachdem sie mit tiefster Baßstimme ihr Mißbehagen über den Eindringling
ausgestoßen, raschen Flügelschlags ins Weite, aber aus weiter Ferne noch hören
wir sie uns in ihrer Sprache verwünschen. Ist ihr Schimpfen verstummt, so
vernehmen wir in dem Dickicht das Schroten und Bohren der Spechte, die in
gefallenen Bäumen nach Käferlarven suchen. Dann wieder lenkt das Geräusch
des Flügelschlags schwarzer Geier, die über uns nach Aas ausziehen, unsre
Blicke empor nach dem blauen Himmel über dem Wipfeldach dieses ungeheu¬
ren Vogelhauses. Paarweise fliegt von Baum zu Baum der Cancao, der
wilde Truthahn Brasiliens. Zahlreich erscheinen Crypturusarten und Penc-
lopiden.

Nicht weniger staunen wir über die Jnsectenwelt dieses Urwaldes. Den
ganzen Weg über umflattern uns die bekannten großen Morphonen. In dunk¬
lern Dickichten fliegt zwischen den Stämmen, der Uhu unter den fliegenden
Kcrvthiercn und der größte aller Schmetterlinge, die graue Agrippina hin,
die im Sitzen nicht von der Rinde der Bäume zu unterscheiden ist. In kur¬
zem Flug hüpft hier und dort eine ungeheure Hymenoptere vor uns auf, ein¬
farbig dunkelblau mit gelb gefärbter Fühlhornspitze. Mitunter belauschen wir


Blumendolden empor. Andere Kletterpflanzen liegen wunderlich holzig am
Boden umher wie die Ringe erstarrter Riesenschlangen. In den Astlöchern
sitzen buntfarbige Schmarotzergewächse. Im Schatten der großen Verwand¬
ten strebte die kleine Welt der Sträucher und Kräuter nach Lust und Sonne
empor.

Selten begegnet der Blick einem Vierfüßler in dieser einsamen Wildniß.
Bisweilen sieht der Jäger eine Unze durch die Büsche schleichen. Gelegent¬
lich hängt an einem Zweig ein Ameisenfresser mit seinem Wickelschwanz.
Auch der plumpe Tapir, die Unke und das Armadill Hausen im Dunkel des
Waldes. Aber sie alle treten zurück vor der geschwätzigen, ewig geschäftigen
Vogelwelt, die auf Tritt und Schritt sich dem Wanderer zeigt. Biauschillernde
oder braune Krotophagen mit weißen Augenflecken auf dem langen und breiten
Schwanz schlüpfen schreiend durch das Gebüsch. Ganze Geschwader von Peri-
quitos, diesen grünen Sperlingen der Tropen, ziehen mit stetem lärmenden
Gezänk von Baum zu Baum. Zahlreiche Papageien erheben über den seltnen
Anblick eines ungeflügelten Zweifüßlers in ihrem Revier verwundertes Ge-
krächz. Wir vergessen sie über der prächtigen Erscheinung ihrer großen Vet¬
tern, der Araras, dieser Magnaten unter den Klettervögeln. Mit Füßen und
Schnabel zugleich an den Stämmen emporsteigend, ost auch den langen Schwanz
noch als Stütze benutzend, machen diese schönen Vögel die anmuthigsten Evo¬
lutionen, breiten die Fittiche aus und schlagen sie wieder zusammen, so daß
die Glut ihres rothen Federkleides mit einzelnen blauen Strichen darin im Glanz
der Morgensonne doppelt feurig aufleuchtet.. Uns bemerkend heben sie sich,
nachdem sie mit tiefster Baßstimme ihr Mißbehagen über den Eindringling
ausgestoßen, raschen Flügelschlags ins Weite, aber aus weiter Ferne noch hören
wir sie uns in ihrer Sprache verwünschen. Ist ihr Schimpfen verstummt, so
vernehmen wir in dem Dickicht das Schroten und Bohren der Spechte, die in
gefallenen Bäumen nach Käferlarven suchen. Dann wieder lenkt das Geräusch
des Flügelschlags schwarzer Geier, die über uns nach Aas ausziehen, unsre
Blicke empor nach dem blauen Himmel über dem Wipfeldach dieses ungeheu¬
ren Vogelhauses. Paarweise fliegt von Baum zu Baum der Cancao, der
wilde Truthahn Brasiliens. Zahlreich erscheinen Crypturusarten und Penc-
lopiden.

Nicht weniger staunen wir über die Jnsectenwelt dieses Urwaldes. Den
ganzen Weg über umflattern uns die bekannten großen Morphonen. In dunk¬
lern Dickichten fliegt zwischen den Stämmen, der Uhu unter den fliegenden
Kcrvthiercn und der größte aller Schmetterlinge, die graue Agrippina hin,
die im Sitzen nicht von der Rinde der Bäume zu unterscheiden ist. In kur¬
zem Flug hüpft hier und dort eine ungeheure Hymenoptere vor uns auf, ein¬
farbig dunkelblau mit gelb gefärbter Fühlhornspitze. Mitunter belauschen wir


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[0073] Blumendolden empor. Andere Kletterpflanzen liegen wunderlich holzig am Boden umher wie die Ringe erstarrter Riesenschlangen. In den Astlöchern sitzen buntfarbige Schmarotzergewächse. Im Schatten der großen Verwand¬ ten strebte die kleine Welt der Sträucher und Kräuter nach Lust und Sonne empor. Selten begegnet der Blick einem Vierfüßler in dieser einsamen Wildniß. Bisweilen sieht der Jäger eine Unze durch die Büsche schleichen. Gelegent¬ lich hängt an einem Zweig ein Ameisenfresser mit seinem Wickelschwanz. Auch der plumpe Tapir, die Unke und das Armadill Hausen im Dunkel des Waldes. Aber sie alle treten zurück vor der geschwätzigen, ewig geschäftigen Vogelwelt, die auf Tritt und Schritt sich dem Wanderer zeigt. Biauschillernde oder braune Krotophagen mit weißen Augenflecken auf dem langen und breiten Schwanz schlüpfen schreiend durch das Gebüsch. Ganze Geschwader von Peri- quitos, diesen grünen Sperlingen der Tropen, ziehen mit stetem lärmenden Gezänk von Baum zu Baum. Zahlreiche Papageien erheben über den seltnen Anblick eines ungeflügelten Zweifüßlers in ihrem Revier verwundertes Ge- krächz. Wir vergessen sie über der prächtigen Erscheinung ihrer großen Vet¬ tern, der Araras, dieser Magnaten unter den Klettervögeln. Mit Füßen und Schnabel zugleich an den Stämmen emporsteigend, ost auch den langen Schwanz noch als Stütze benutzend, machen diese schönen Vögel die anmuthigsten Evo¬ lutionen, breiten die Fittiche aus und schlagen sie wieder zusammen, so daß die Glut ihres rothen Federkleides mit einzelnen blauen Strichen darin im Glanz der Morgensonne doppelt feurig aufleuchtet.. Uns bemerkend heben sie sich, nachdem sie mit tiefster Baßstimme ihr Mißbehagen über den Eindringling ausgestoßen, raschen Flügelschlags ins Weite, aber aus weiter Ferne noch hören wir sie uns in ihrer Sprache verwünschen. Ist ihr Schimpfen verstummt, so vernehmen wir in dem Dickicht das Schroten und Bohren der Spechte, die in gefallenen Bäumen nach Käferlarven suchen. Dann wieder lenkt das Geräusch des Flügelschlags schwarzer Geier, die über uns nach Aas ausziehen, unsre Blicke empor nach dem blauen Himmel über dem Wipfeldach dieses ungeheu¬ ren Vogelhauses. Paarweise fliegt von Baum zu Baum der Cancao, der wilde Truthahn Brasiliens. Zahlreich erscheinen Crypturusarten und Penc- lopiden. Nicht weniger staunen wir über die Jnsectenwelt dieses Urwaldes. Den ganzen Weg über umflattern uns die bekannten großen Morphonen. In dunk¬ lern Dickichten fliegt zwischen den Stämmen, der Uhu unter den fliegenden Kcrvthiercn und der größte aller Schmetterlinge, die graue Agrippina hin, die im Sitzen nicht von der Rinde der Bäume zu unterscheiden ist. In kur¬ zem Flug hüpft hier und dort eine ungeheure Hymenoptere vor uns auf, ein¬ farbig dunkelblau mit gelb gefärbter Fühlhornspitze. Mitunter belauschen wir

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 19, 1860, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341594_109805/73>, abgerufen am 24.07.2024.