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Die Grenzboten. Jg. 19, 1860, II. Semester. III. Band.

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sondern in der Regel die gesammten jährlichen Einkünfte zu verwenden, in dem
Jahre dieser Versammlung (1843) nur gegen 4000 Thlr. zur Verwendung
kamen, von da an aber sich eine nur im Jahre 1848/49 unterbrochene Stei¬
gerung ergab bis zu der Summe von 160,000 Thlr.. welche im letzten Rechnungs¬
jahre verausgabt wurde. Dabei wuchs gleichwol in Folge der durch die Sta¬
tuten den einzelnen Vereinen und Gebern frei gelassenen ausdrücklichen Verfügung,
daß ein Theil ihrer Gaben capitalisirt werden möge, auch das Capital, so daß
dasselbe jetzt gegen 50,000 Thlr. beträgt; und als ein bedeutsames Zeichen für
das der Sache des Vereins zugewendete Interesse müssen auch die zahlreichen
Vermächtnisse betrachtet werden, welche zusammen leicht die Summe von
60.000 Thlr. erreichen möchten.

Was sich bei der Betrachtung dieses auffallenden Wachsthums des Vereins
und der zur Verwendung gekommenen Summen zunächst aufdrängen muß, das
wird wol bei den meisten das Staunen sein über die ihnen unerwartete Größe
des Bedürfnisses, dem zu genügen ist, und damit wol auch eine Ahnung von
dem bedrängten Zustande, dem ein großer Theil der protestantischen Kirche
ausgesetzt sein müsse. Was aber wird man sagen, wenn aus den Akten des
Vereins nachgewiesen wird, daß mit allem dem, was bisher mit den vorhan¬
denen Mitteln habe ausgerichtet werden können/) eben doch verhältnißmäßig
nur sehr wenig ausgerichtet worden sei, und daß das immerhin erfreuliche
Wachsen der Hilfsmittel des Vereins in keinem Verhältnisse stehe mit dem
Wachsthume seiner Nachrichten von den den bereits bekannten ähnlichen Nothzu-
ständen. Viele werden fragen: aber wo ist denn solche Noth der Evangelischen
zu finden? Der Verein antwortet: nicht blos in Böhmen, wo man sie zuerst
vermuthete, und den übrigen östreichischen Ländern, in denen man sie bald
auch entdeckte, sondern überall, wo evangelische Gemeinden oder zerstreute Be¬
standtheile von Gemeinden unter überwiegend katholischer Bevölkerung leben;
in Ost- und Westpreußen, in Posen, wo nicht selten die evangelischen Ein¬
wohner in 100 und mehr weit auseinander liegenden Orten einem Pfarrer
zugewiesen sind, und wo es also gilt, die zehnfache Anzahl von Psarrsystcmen
zu gründen; in Schlesien, das so wie manche andre Länder einst ganz prote¬
stantisch gewesen war, dann mit allen Mitteln der Gewalt und der Verführung
wieder zum Katholicismus zurückgebracht wurde, und in dem nun, seit es
preußisch geworden, zwar die nicht erstickten evangelischen Elemente wieder frei



") Seit mehren Jahren schon sind es jährlich gegen S00 Gemeinden, welchen Unterstützungen
zu Theil geworden sind, theils zum Kirchen-, Schul- oder Pfarrhausbau, theils zum Pfarrer¬
und Lehrergehalt, theils zur Schuldentilgung, theils zur Gründung und Unterhaltung von
Confirmandenanstalten, welche außer der Sorge für die innere Ausstattung von Kirchen und
Schulen, für persönliche Unterstützungen von Pfarrerswittwen u. tgi. besonders die Frauen¬
vereine sich angelegen sein lassen. Der bereits mit Vereiushilfe erbauten und ausgestatteten
Kirchen sind schon über 100, der Schulen und Pfarrhäuser wol dreimal soviel.

sondern in der Regel die gesammten jährlichen Einkünfte zu verwenden, in dem
Jahre dieser Versammlung (1843) nur gegen 4000 Thlr. zur Verwendung
kamen, von da an aber sich eine nur im Jahre 1848/49 unterbrochene Stei¬
gerung ergab bis zu der Summe von 160,000 Thlr.. welche im letzten Rechnungs¬
jahre verausgabt wurde. Dabei wuchs gleichwol in Folge der durch die Sta¬
tuten den einzelnen Vereinen und Gebern frei gelassenen ausdrücklichen Verfügung,
daß ein Theil ihrer Gaben capitalisirt werden möge, auch das Capital, so daß
dasselbe jetzt gegen 50,000 Thlr. beträgt; und als ein bedeutsames Zeichen für
das der Sache des Vereins zugewendete Interesse müssen auch die zahlreichen
Vermächtnisse betrachtet werden, welche zusammen leicht die Summe von
60.000 Thlr. erreichen möchten.

Was sich bei der Betrachtung dieses auffallenden Wachsthums des Vereins
und der zur Verwendung gekommenen Summen zunächst aufdrängen muß, das
wird wol bei den meisten das Staunen sein über die ihnen unerwartete Größe
des Bedürfnisses, dem zu genügen ist, und damit wol auch eine Ahnung von
dem bedrängten Zustande, dem ein großer Theil der protestantischen Kirche
ausgesetzt sein müsse. Was aber wird man sagen, wenn aus den Akten des
Vereins nachgewiesen wird, daß mit allem dem, was bisher mit den vorhan¬
denen Mitteln habe ausgerichtet werden können/) eben doch verhältnißmäßig
nur sehr wenig ausgerichtet worden sei, und daß das immerhin erfreuliche
Wachsen der Hilfsmittel des Vereins in keinem Verhältnisse stehe mit dem
Wachsthume seiner Nachrichten von den den bereits bekannten ähnlichen Nothzu-
ständen. Viele werden fragen: aber wo ist denn solche Noth der Evangelischen
zu finden? Der Verein antwortet: nicht blos in Böhmen, wo man sie zuerst
vermuthete, und den übrigen östreichischen Ländern, in denen man sie bald
auch entdeckte, sondern überall, wo evangelische Gemeinden oder zerstreute Be¬
standtheile von Gemeinden unter überwiegend katholischer Bevölkerung leben;
in Ost- und Westpreußen, in Posen, wo nicht selten die evangelischen Ein¬
wohner in 100 und mehr weit auseinander liegenden Orten einem Pfarrer
zugewiesen sind, und wo es also gilt, die zehnfache Anzahl von Psarrsystcmen
zu gründen; in Schlesien, das so wie manche andre Länder einst ganz prote¬
stantisch gewesen war, dann mit allen Mitteln der Gewalt und der Verführung
wieder zum Katholicismus zurückgebracht wurde, und in dem nun, seit es
preußisch geworden, zwar die nicht erstickten evangelischen Elemente wieder frei



") Seit mehren Jahren schon sind es jährlich gegen S00 Gemeinden, welchen Unterstützungen
zu Theil geworden sind, theils zum Kirchen-, Schul- oder Pfarrhausbau, theils zum Pfarrer¬
und Lehrergehalt, theils zur Schuldentilgung, theils zur Gründung und Unterhaltung von
Confirmandenanstalten, welche außer der Sorge für die innere Ausstattung von Kirchen und
Schulen, für persönliche Unterstützungen von Pfarrerswittwen u. tgi. besonders die Frauen¬
vereine sich angelegen sein lassen. Der bereits mit Vereiushilfe erbauten und ausgestatteten
Kirchen sind schon über 100, der Schulen und Pfarrhäuser wol dreimal soviel.
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 19, 1860, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341594_109805/56>, abgerufen am 25.07.2024.