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Die Grenzboten. Jg. 19, 1860, II. Semester. III. Band.

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wenn du beten willst, so gehe in dein Kämmerlein. Das verstieß gegen den
Hauptgrundsatz der Jnspirirten, und man beschloß ihn durch den Propheten
widerlegen zu lassen. "Ich befand mich in einer solchen Verlegenheit und
Befangenheit des Gemüths, daß ich dachte, ich müßte verzweifeln. Je
näher die Zeit kam, je fürchterlicher sah es in meiner Phantasie aus, gegen
welche die Vernunft in keiner Weise aufkommen konnte. Das Herz im Leibe
bebte mir, wenn ich daran dachte, was für ein Kampf mir bevorstand. Denn
nach meinen damaligen Vorstellungen war der Geist.^der durch den Rock re¬
dete, entweder Gott selbst oder der Teufel. War es Gott, was für ein Ur¬
theil hatte ich wol zu erwarten, wenn ich den Geist der Wahrheit einen
Lügcngeist heißen wollte; war es aber der Teufel, wer versicherte mich. daß
ich mich aus göttlichen Befehl an ihn machte und des Beistandes Gottes zu
gewarten hatte? In dieser wahren Höllenangst, die kein Mensch glauben kann,
der sie nicht selbst erfahren hat, erbarmte sich der Herr.

Ein paar Tage ehe mein fürchterlicher Gegenpart ankam und ich dem
äußern Ansehn nach immer schwächer wurde, mich auch unter vielen Seufzern,
Thränen und Winseln zu Bette legte und nicht wußte, ob ich wieder ausstehn
würde, überfiel mich vor allzugroßer Mattigkeit der Schlaf, der bisher wegen
der wunderlich durchcinanderlnufcnden Phantasien mehr eine Marter als Er¬
quickung gewesen war. Wie ich eine Weile gelegen hatte, erwachte ich plötz¬
lich, und in dem Augenblick kamen mir die Anfangsworte aus dem Evange¬
lium Johannis mit solcher Lebhaftigkeit ins Gemüth, daß mir nicht anders
däuchte, als wenn sie Einer in Gegenwart zu mir spräche und mit einem
nur zu empfindenden Nachdruck zu mir sagte: Gott ist die Vernunft.
Es war mir nicht anders zu Muthe, als wenn ich aus den Thoren des To¬
des wieder ins Leben zurück gerufen würde, und ich konnte nunmehr kaum
den' Tag erwarten, an welchem ich mit dem Rock anbinden konnte und die
Kraft des bisher uns unbekannten und doch so nahen Gottes an ihm Pro¬
biren sollte. Die Vernunft, die ich bisher nicht hatte hören dürfen, stellte
mich auf einmal auf einen so weiten Raum, daß ich ihn nicht übersehn
konnte.

Man stelle sich einen an Händen und Füßen lange Zeit gebundenen und
in äußerster Finsterniß gefangen gelegenen Slaven vor und urtheile über seine
Freude, wenn er sich auf einmal wieder in Freiheit gesetzt sieht: man wird
sich doch keine Vorstellung von der Freude machen können, die mein Gemüth
damals einnahm. Und wie ich einmal diesen Vortheil hatte, so war mir
der Rock, wenn er auch den Teufel und seine Großmutter >in Leibe gehabt
hätte, ein Kinderspiel. Ich schlief also unter innigstem Lobe Gottes und
unaussprechlicher Zufriedenheit wieder ein."

Und doch, als er dem Propheten gegenüber saß und dieser wieder in


wenn du beten willst, so gehe in dein Kämmerlein. Das verstieß gegen den
Hauptgrundsatz der Jnspirirten, und man beschloß ihn durch den Propheten
widerlegen zu lassen. „Ich befand mich in einer solchen Verlegenheit und
Befangenheit des Gemüths, daß ich dachte, ich müßte verzweifeln. Je
näher die Zeit kam, je fürchterlicher sah es in meiner Phantasie aus, gegen
welche die Vernunft in keiner Weise aufkommen konnte. Das Herz im Leibe
bebte mir, wenn ich daran dachte, was für ein Kampf mir bevorstand. Denn
nach meinen damaligen Vorstellungen war der Geist.^der durch den Rock re¬
dete, entweder Gott selbst oder der Teufel. War es Gott, was für ein Ur¬
theil hatte ich wol zu erwarten, wenn ich den Geist der Wahrheit einen
Lügcngeist heißen wollte; war es aber der Teufel, wer versicherte mich. daß
ich mich aus göttlichen Befehl an ihn machte und des Beistandes Gottes zu
gewarten hatte? In dieser wahren Höllenangst, die kein Mensch glauben kann,
der sie nicht selbst erfahren hat, erbarmte sich der Herr.

Ein paar Tage ehe mein fürchterlicher Gegenpart ankam und ich dem
äußern Ansehn nach immer schwächer wurde, mich auch unter vielen Seufzern,
Thränen und Winseln zu Bette legte und nicht wußte, ob ich wieder ausstehn
würde, überfiel mich vor allzugroßer Mattigkeit der Schlaf, der bisher wegen
der wunderlich durchcinanderlnufcnden Phantasien mehr eine Marter als Er¬
quickung gewesen war. Wie ich eine Weile gelegen hatte, erwachte ich plötz¬
lich, und in dem Augenblick kamen mir die Anfangsworte aus dem Evange¬
lium Johannis mit solcher Lebhaftigkeit ins Gemüth, daß mir nicht anders
däuchte, als wenn sie Einer in Gegenwart zu mir spräche und mit einem
nur zu empfindenden Nachdruck zu mir sagte: Gott ist die Vernunft.
Es war mir nicht anders zu Muthe, als wenn ich aus den Thoren des To¬
des wieder ins Leben zurück gerufen würde, und ich konnte nunmehr kaum
den' Tag erwarten, an welchem ich mit dem Rock anbinden konnte und die
Kraft des bisher uns unbekannten und doch so nahen Gottes an ihm Pro¬
biren sollte. Die Vernunft, die ich bisher nicht hatte hören dürfen, stellte
mich auf einmal auf einen so weiten Raum, daß ich ihn nicht übersehn
konnte.

Man stelle sich einen an Händen und Füßen lange Zeit gebundenen und
in äußerster Finsterniß gefangen gelegenen Slaven vor und urtheile über seine
Freude, wenn er sich auf einmal wieder in Freiheit gesetzt sieht: man wird
sich doch keine Vorstellung von der Freude machen können, die mein Gemüth
damals einnahm. Und wie ich einmal diesen Vortheil hatte, so war mir
der Rock, wenn er auch den Teufel und seine Großmutter >in Leibe gehabt
hätte, ein Kinderspiel. Ich schlief also unter innigstem Lobe Gottes und
unaussprechlicher Zufriedenheit wieder ein."

Und doch, als er dem Propheten gegenüber saß und dieser wieder in


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 19, 1860, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341594_109805/484>, abgerufen am 25.07.2024.