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Die Grenzboten. Jg. 19, 1860, II. Semester. III. Band.

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als durch eine neue Inspiration entschieden werden. "Denn wenn sie der
Prophet nach seinem eignen gesunden Verstände entscheiden wollte, so würde
die Weissagung schon etwas Menschliches und folglich Ungewisses mit sich führen,
wenn er aber seines Verstandes völlig beraubt ist, und selber nicht weiß, wer
durch ihn spricht, noch was durch ihn gesprochen wird, alsdann wird sie für
unbetrüglich gehalten."

Auf Edelmann hatte der Prophet doch einen großen Eindruck gemacht;
erst als er wieder allein war, erregte die Erinnerung an die schreckliche Kon¬
vulsion in ihm den Zweifel, ob Gott oder der Teufel durch ihn gesprochen.
"Ich bat Gort recht inbrünstig, daß er mich keinem falschen Geiste preisgeben,
sondern mich deutlich überzeugen möchte, ob er es sei, der durch den Propheten
redete, oder ob derselbe nur aus Vermessenheit einen göttlichen Gesandten
agirte."

Einige Zeit daraus schrieb er an einen Freund: "Was ich während dieser
Blindheit, da meine Seele stets etwas Gewisses suchte, für Angst und Marter
ausgestanden, wenn Scrupel oder andre mir verdächtige Dinge vorkamen, das
kann ich Dir mit keiner Feder beschreiben; die Desperation war manchmal
nur einen Schritt von mir. Denn ich hatte keinen Gott, zu dem ich hätte
ein Herz haben können, und alles, was man mir von seiner Liebe und Barm¬
herzigkeit vorschwatzte, davon fand ich immer grade das Gegentheil: ja wenn
mir der getreue Gott gleich durch das Licht der Vernunft zu Hilfe kommen,
und mich durch ein heiteres und wohlgegründetcs Raisonnement aus meiner
Finsterniß gnädig herausführen wollte, so bat ich ihn doch immer in meiner
Dummheit, wie ich war gelehrt worden, daß er mir doch aus Gnaden Kraft
schenken wolle, meine so gar sehr speculirende Vernunft unter den Gehorsam
Christi gefangen zu nehmen; ich konnte ja vor derselben zu keiner Gewißheit
kommen, indem sie sich schier augenblicklich mit ihren Einwürfen meldete, daß
ich ganz untüchtig zum Glauben wurde. Er wisse ja und erkenne an mir.
daß ich nichts als Ihn allein suchte, Er möchte sich doch nur aus Gnade zu
erkennen geben, damit ich prüfen könne, ob es wirklich der Herr mein Gott
sei, der durch die Inspirirten redete. Ich wollte ja gern meine Vernunft ge¬
fangen nehmen, Er sollte mir doch die Kraft schenken, solches zu thun. Je
mehr ich aber so bat. je weniger Stimme und Aufwecken war da, sondern es
regte sich vielmehr ein gar kräftiger Widerspruch in mir, daß ich nicht recht
betete, worüber mir vollends alle Kräfte vergingen, daß ich in diesem höllen-
mäßigen Zustand mein Bett gar oft mit den bittersten Angstthränen netzte,
und den Tod gern hätte kommen sehn."

Nicht lange sollte dieser Zweifel währen. Schon dreiviertel Jahre hatte sich
Edelmann zur Gemeinde gehalten und sich noch immer von der Gewohnheit
des lauten Betens ausgeschlossen. Darüber befragt, führte er den Spruch an:


als durch eine neue Inspiration entschieden werden. „Denn wenn sie der
Prophet nach seinem eignen gesunden Verstände entscheiden wollte, so würde
die Weissagung schon etwas Menschliches und folglich Ungewisses mit sich führen,
wenn er aber seines Verstandes völlig beraubt ist, und selber nicht weiß, wer
durch ihn spricht, noch was durch ihn gesprochen wird, alsdann wird sie für
unbetrüglich gehalten."

Auf Edelmann hatte der Prophet doch einen großen Eindruck gemacht;
erst als er wieder allein war, erregte die Erinnerung an die schreckliche Kon¬
vulsion in ihm den Zweifel, ob Gott oder der Teufel durch ihn gesprochen.
„Ich bat Gort recht inbrünstig, daß er mich keinem falschen Geiste preisgeben,
sondern mich deutlich überzeugen möchte, ob er es sei, der durch den Propheten
redete, oder ob derselbe nur aus Vermessenheit einen göttlichen Gesandten
agirte."

Einige Zeit daraus schrieb er an einen Freund: „Was ich während dieser
Blindheit, da meine Seele stets etwas Gewisses suchte, für Angst und Marter
ausgestanden, wenn Scrupel oder andre mir verdächtige Dinge vorkamen, das
kann ich Dir mit keiner Feder beschreiben; die Desperation war manchmal
nur einen Schritt von mir. Denn ich hatte keinen Gott, zu dem ich hätte
ein Herz haben können, und alles, was man mir von seiner Liebe und Barm¬
herzigkeit vorschwatzte, davon fand ich immer grade das Gegentheil: ja wenn
mir der getreue Gott gleich durch das Licht der Vernunft zu Hilfe kommen,
und mich durch ein heiteres und wohlgegründetcs Raisonnement aus meiner
Finsterniß gnädig herausführen wollte, so bat ich ihn doch immer in meiner
Dummheit, wie ich war gelehrt worden, daß er mir doch aus Gnaden Kraft
schenken wolle, meine so gar sehr speculirende Vernunft unter den Gehorsam
Christi gefangen zu nehmen; ich konnte ja vor derselben zu keiner Gewißheit
kommen, indem sie sich schier augenblicklich mit ihren Einwürfen meldete, daß
ich ganz untüchtig zum Glauben wurde. Er wisse ja und erkenne an mir.
daß ich nichts als Ihn allein suchte, Er möchte sich doch nur aus Gnade zu
erkennen geben, damit ich prüfen könne, ob es wirklich der Herr mein Gott
sei, der durch die Inspirirten redete. Ich wollte ja gern meine Vernunft ge¬
fangen nehmen, Er sollte mir doch die Kraft schenken, solches zu thun. Je
mehr ich aber so bat. je weniger Stimme und Aufwecken war da, sondern es
regte sich vielmehr ein gar kräftiger Widerspruch in mir, daß ich nicht recht
betete, worüber mir vollends alle Kräfte vergingen, daß ich in diesem höllen-
mäßigen Zustand mein Bett gar oft mit den bittersten Angstthränen netzte,
und den Tod gern hätte kommen sehn."

Nicht lange sollte dieser Zweifel währen. Schon dreiviertel Jahre hatte sich
Edelmann zur Gemeinde gehalten und sich noch immer von der Gewohnheit
des lauten Betens ausgeschlossen. Darüber befragt, führte er den Spruch an:


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[0483] als durch eine neue Inspiration entschieden werden. „Denn wenn sie der Prophet nach seinem eignen gesunden Verstände entscheiden wollte, so würde die Weissagung schon etwas Menschliches und folglich Ungewisses mit sich führen, wenn er aber seines Verstandes völlig beraubt ist, und selber nicht weiß, wer durch ihn spricht, noch was durch ihn gesprochen wird, alsdann wird sie für unbetrüglich gehalten." Auf Edelmann hatte der Prophet doch einen großen Eindruck gemacht; erst als er wieder allein war, erregte die Erinnerung an die schreckliche Kon¬ vulsion in ihm den Zweifel, ob Gott oder der Teufel durch ihn gesprochen. „Ich bat Gort recht inbrünstig, daß er mich keinem falschen Geiste preisgeben, sondern mich deutlich überzeugen möchte, ob er es sei, der durch den Propheten redete, oder ob derselbe nur aus Vermessenheit einen göttlichen Gesandten agirte." Einige Zeit daraus schrieb er an einen Freund: „Was ich während dieser Blindheit, da meine Seele stets etwas Gewisses suchte, für Angst und Marter ausgestanden, wenn Scrupel oder andre mir verdächtige Dinge vorkamen, das kann ich Dir mit keiner Feder beschreiben; die Desperation war manchmal nur einen Schritt von mir. Denn ich hatte keinen Gott, zu dem ich hätte ein Herz haben können, und alles, was man mir von seiner Liebe und Barm¬ herzigkeit vorschwatzte, davon fand ich immer grade das Gegentheil: ja wenn mir der getreue Gott gleich durch das Licht der Vernunft zu Hilfe kommen, und mich durch ein heiteres und wohlgegründetcs Raisonnement aus meiner Finsterniß gnädig herausführen wollte, so bat ich ihn doch immer in meiner Dummheit, wie ich war gelehrt worden, daß er mir doch aus Gnaden Kraft schenken wolle, meine so gar sehr speculirende Vernunft unter den Gehorsam Christi gefangen zu nehmen; ich konnte ja vor derselben zu keiner Gewißheit kommen, indem sie sich schier augenblicklich mit ihren Einwürfen meldete, daß ich ganz untüchtig zum Glauben wurde. Er wisse ja und erkenne an mir. daß ich nichts als Ihn allein suchte, Er möchte sich doch nur aus Gnade zu erkennen geben, damit ich prüfen könne, ob es wirklich der Herr mein Gott sei, der durch die Inspirirten redete. Ich wollte ja gern meine Vernunft ge¬ fangen nehmen, Er sollte mir doch die Kraft schenken, solches zu thun. Je mehr ich aber so bat. je weniger Stimme und Aufwecken war da, sondern es regte sich vielmehr ein gar kräftiger Widerspruch in mir, daß ich nicht recht betete, worüber mir vollends alle Kräfte vergingen, daß ich in diesem höllen- mäßigen Zustand mein Bett gar oft mit den bittersten Angstthränen netzte, und den Tod gern hätte kommen sehn." Nicht lange sollte dieser Zweifel währen. Schon dreiviertel Jahre hatte sich Edelmann zur Gemeinde gehalten und sich noch immer von der Gewohnheit des lauten Betens ausgeschlossen. Darüber befragt, führte er den Spruch an:

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 19, 1860, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341594_109805/483>, abgerufen am 25.07.2024.