Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 19, 1860, II. Semester. III. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

hießen, sondern auch das Wort, das sie mir von Außen als Gotteswort zu-
schrien, mit in mich hineinnehmen mußte, so konnte ich weder mich selbst recht
erkennen, noch hören, was der Herr zu meiner Beruhigung in mir redete,
und wenn die Stunde dieser Unwirksamkeit vorbei war, so war ich ebenso
leer an wahrer Zufriedenheit als vorher. Es kann sein, daß die Andern et¬
was mehr Vergnügen bei dieser Uebung empfanden als ich, allein eben da¬
raus sieht man, daß man sich einem Andern nicht nachmodeln, sondern Gott
seine freie Hand mit sich lassen muß, denn seine Wege mit uns sind nicht
einerlei."

Nachdem er noch mit seinen "Brüdern" 1737 die Ostermesse zu Frankfurt
bezogen, kam es allmälig mit Haug zum Bruch, mehr aus geschäftlichen
Gründen als aus principiellen; denn Hang selber hatte in der Vorrede zu
seiner llrsosoxnia, xveulliMea, ihn darauf aufmerksam gemacht, daß in der
Auswahl der kanonischen Bücher manche Willkür vorgekommen wäre. "Ich
hatte in der kurzen Zeit, die ich in der Gegend von Frankfurt zugebracht, so
mancherlei Arten von Geistern kennen lernen, daß ich fast nicht wußte, was
ich endlich glauben sollte. Sie hatten alle etwas Gutes von Natur, aber
es konnte vor der "evangelischen Gnade" nicht aufkommen, denn sie hätten
sonst aufhören müssen, Sünder zu sein, welches die elenden Leute für un¬
möglich hielten. Ich war damals noch nicht besser als sie, und ob ich schon
etwas vergnügendere Blicke von unserm Zustand hatte, so waren sie doch
alle noch sehr dunkel, und der Bibelgötze erschreckte mich allenthalben, wo ich
meine Augen nur hinwandte."

Nach der Trennung von Haug "schienen Mangel und Armuth beide
Hände nach mir auszustrecken, indem ich überall nichts sah, worauf ich mir
Rechnung zu meinem ferneren Lebensunterhalt Hütte machen können. Mein
treuer Gott ließ mich aber nicht lange in dieser Wüste, sondern bereitete
mir ganz unvermuthet einen Tisch."

Es ist überhaupt anzumerken, daß Edelmann, nachdem er dem Christen¬
thum völlig abgesagt, doch in jedem günstigen Zufall ein unmittelbares Ein¬
greifen der göttlichen Vorsehung findet.

Zunächst kam er mit den Jnspirirten in Verbindung, die sich 1717 auf
den Antrieb "ihrer Propheten von ihrer Nahrung und guten Umständen aus
Meiningen hatten vertreiben lassen. Was diese armen, verblendeten Leute
bei diesem vermeinten göttlichen Beruf durch die Länder, wodurch sie gezogen,
für Drangsal, Spott und Verachtung ausstehn müssen, indem man sie als
Leute, die mit der Pest behaftet, vor den Thoren abgewiesen, das ist kaum
zu beschreiben." Was ihn zu ihnen hinzog, war die gleiche Ansicht von
Abendmal und Taufe; vielleicht auch der Umstand, daß er von ihnen, die
durchweg den untern Stünden angehörten, als der erste gebildete Herr, der


hießen, sondern auch das Wort, das sie mir von Außen als Gotteswort zu-
schrien, mit in mich hineinnehmen mußte, so konnte ich weder mich selbst recht
erkennen, noch hören, was der Herr zu meiner Beruhigung in mir redete,
und wenn die Stunde dieser Unwirksamkeit vorbei war, so war ich ebenso
leer an wahrer Zufriedenheit als vorher. Es kann sein, daß die Andern et¬
was mehr Vergnügen bei dieser Uebung empfanden als ich, allein eben da¬
raus sieht man, daß man sich einem Andern nicht nachmodeln, sondern Gott
seine freie Hand mit sich lassen muß, denn seine Wege mit uns sind nicht
einerlei."

Nachdem er noch mit seinen „Brüdern" 1737 die Ostermesse zu Frankfurt
bezogen, kam es allmälig mit Haug zum Bruch, mehr aus geschäftlichen
Gründen als aus principiellen; denn Hang selber hatte in der Vorrede zu
seiner llrsosoxnia, xveulliMea, ihn darauf aufmerksam gemacht, daß in der
Auswahl der kanonischen Bücher manche Willkür vorgekommen wäre. „Ich
hatte in der kurzen Zeit, die ich in der Gegend von Frankfurt zugebracht, so
mancherlei Arten von Geistern kennen lernen, daß ich fast nicht wußte, was
ich endlich glauben sollte. Sie hatten alle etwas Gutes von Natur, aber
es konnte vor der „evangelischen Gnade" nicht aufkommen, denn sie hätten
sonst aufhören müssen, Sünder zu sein, welches die elenden Leute für un¬
möglich hielten. Ich war damals noch nicht besser als sie, und ob ich schon
etwas vergnügendere Blicke von unserm Zustand hatte, so waren sie doch
alle noch sehr dunkel, und der Bibelgötze erschreckte mich allenthalben, wo ich
meine Augen nur hinwandte."

Nach der Trennung von Haug „schienen Mangel und Armuth beide
Hände nach mir auszustrecken, indem ich überall nichts sah, worauf ich mir
Rechnung zu meinem ferneren Lebensunterhalt Hütte machen können. Mein
treuer Gott ließ mich aber nicht lange in dieser Wüste, sondern bereitete
mir ganz unvermuthet einen Tisch."

Es ist überhaupt anzumerken, daß Edelmann, nachdem er dem Christen¬
thum völlig abgesagt, doch in jedem günstigen Zufall ein unmittelbares Ein¬
greifen der göttlichen Vorsehung findet.

Zunächst kam er mit den Jnspirirten in Verbindung, die sich 1717 auf
den Antrieb „ihrer Propheten von ihrer Nahrung und guten Umständen aus
Meiningen hatten vertreiben lassen. Was diese armen, verblendeten Leute
bei diesem vermeinten göttlichen Beruf durch die Länder, wodurch sie gezogen,
für Drangsal, Spott und Verachtung ausstehn müssen, indem man sie als
Leute, die mit der Pest behaftet, vor den Thoren abgewiesen, das ist kaum
zu beschreiben." Was ihn zu ihnen hinzog, war die gleiche Ansicht von
Abendmal und Taufe; vielleicht auch der Umstand, daß er von ihnen, die
durchweg den untern Stünden angehörten, als der erste gebildete Herr, der


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0481" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/110287"/>
          <p xml:id="ID_1449" prev="#ID_1448"> hießen, sondern auch das Wort, das sie mir von Außen als Gotteswort zu-<lb/>
schrien, mit in mich hineinnehmen mußte, so konnte ich weder mich selbst recht<lb/>
erkennen, noch hören, was der Herr zu meiner Beruhigung in mir redete,<lb/>
und wenn die Stunde dieser Unwirksamkeit vorbei war, so war ich ebenso<lb/>
leer an wahrer Zufriedenheit als vorher. Es kann sein, daß die Andern et¬<lb/>
was mehr Vergnügen bei dieser Uebung empfanden als ich, allein eben da¬<lb/>
raus sieht man, daß man sich einem Andern nicht nachmodeln, sondern Gott<lb/>
seine freie Hand mit sich lassen muß, denn seine Wege mit uns sind nicht<lb/>
einerlei."</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1450"> Nachdem er noch mit seinen &#x201E;Brüdern" 1737 die Ostermesse zu Frankfurt<lb/>
bezogen, kam es allmälig mit Haug zum Bruch, mehr aus geschäftlichen<lb/>
Gründen als aus principiellen; denn Hang selber hatte in der Vorrede zu<lb/>
seiner llrsosoxnia, xveulliMea, ihn darauf aufmerksam gemacht, daß in der<lb/>
Auswahl der kanonischen Bücher manche Willkür vorgekommen wäre. &#x201E;Ich<lb/>
hatte in der kurzen Zeit, die ich in der Gegend von Frankfurt zugebracht, so<lb/>
mancherlei Arten von Geistern kennen lernen, daß ich fast nicht wußte, was<lb/>
ich endlich glauben sollte. Sie hatten alle etwas Gutes von Natur, aber<lb/>
es konnte vor der &#x201E;evangelischen Gnade" nicht aufkommen, denn sie hätten<lb/>
sonst aufhören müssen, Sünder zu sein, welches die elenden Leute für un¬<lb/>
möglich hielten. Ich war damals noch nicht besser als sie, und ob ich schon<lb/>
etwas vergnügendere Blicke von unserm Zustand hatte, so waren sie doch<lb/>
alle noch sehr dunkel, und der Bibelgötze erschreckte mich allenthalben, wo ich<lb/>
meine Augen nur hinwandte."</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1451"> Nach der Trennung von Haug &#x201E;schienen Mangel und Armuth beide<lb/>
Hände nach mir auszustrecken, indem ich überall nichts sah, worauf ich mir<lb/>
Rechnung zu meinem ferneren Lebensunterhalt Hütte machen können. Mein<lb/>
treuer Gott ließ mich aber nicht lange in dieser Wüste, sondern bereitete<lb/>
mir ganz unvermuthet einen Tisch."</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1452"> Es ist überhaupt anzumerken, daß Edelmann, nachdem er dem Christen¬<lb/>
thum völlig abgesagt, doch in jedem günstigen Zufall ein unmittelbares Ein¬<lb/>
greifen der göttlichen Vorsehung findet.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1453" next="#ID_1454"> Zunächst kam er mit den Jnspirirten in Verbindung, die sich 1717 auf<lb/>
den Antrieb &#x201E;ihrer Propheten von ihrer Nahrung und guten Umständen aus<lb/>
Meiningen hatten vertreiben lassen. Was diese armen, verblendeten Leute<lb/>
bei diesem vermeinten göttlichen Beruf durch die Länder, wodurch sie gezogen,<lb/>
für Drangsal, Spott und Verachtung ausstehn müssen, indem man sie als<lb/>
Leute, die mit der Pest behaftet, vor den Thoren abgewiesen, das ist kaum<lb/>
zu beschreiben." Was ihn zu ihnen hinzog, war die gleiche Ansicht von<lb/>
Abendmal und Taufe; vielleicht auch der Umstand, daß er von ihnen, die<lb/>
durchweg den untern Stünden angehörten, als der erste gebildete Herr, der</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0481] hießen, sondern auch das Wort, das sie mir von Außen als Gotteswort zu- schrien, mit in mich hineinnehmen mußte, so konnte ich weder mich selbst recht erkennen, noch hören, was der Herr zu meiner Beruhigung in mir redete, und wenn die Stunde dieser Unwirksamkeit vorbei war, so war ich ebenso leer an wahrer Zufriedenheit als vorher. Es kann sein, daß die Andern et¬ was mehr Vergnügen bei dieser Uebung empfanden als ich, allein eben da¬ raus sieht man, daß man sich einem Andern nicht nachmodeln, sondern Gott seine freie Hand mit sich lassen muß, denn seine Wege mit uns sind nicht einerlei." Nachdem er noch mit seinen „Brüdern" 1737 die Ostermesse zu Frankfurt bezogen, kam es allmälig mit Haug zum Bruch, mehr aus geschäftlichen Gründen als aus principiellen; denn Hang selber hatte in der Vorrede zu seiner llrsosoxnia, xveulliMea, ihn darauf aufmerksam gemacht, daß in der Auswahl der kanonischen Bücher manche Willkür vorgekommen wäre. „Ich hatte in der kurzen Zeit, die ich in der Gegend von Frankfurt zugebracht, so mancherlei Arten von Geistern kennen lernen, daß ich fast nicht wußte, was ich endlich glauben sollte. Sie hatten alle etwas Gutes von Natur, aber es konnte vor der „evangelischen Gnade" nicht aufkommen, denn sie hätten sonst aufhören müssen, Sünder zu sein, welches die elenden Leute für un¬ möglich hielten. Ich war damals noch nicht besser als sie, und ob ich schon etwas vergnügendere Blicke von unserm Zustand hatte, so waren sie doch alle noch sehr dunkel, und der Bibelgötze erschreckte mich allenthalben, wo ich meine Augen nur hinwandte." Nach der Trennung von Haug „schienen Mangel und Armuth beide Hände nach mir auszustrecken, indem ich überall nichts sah, worauf ich mir Rechnung zu meinem ferneren Lebensunterhalt Hütte machen können. Mein treuer Gott ließ mich aber nicht lange in dieser Wüste, sondern bereitete mir ganz unvermuthet einen Tisch." Es ist überhaupt anzumerken, daß Edelmann, nachdem er dem Christen¬ thum völlig abgesagt, doch in jedem günstigen Zufall ein unmittelbares Ein¬ greifen der göttlichen Vorsehung findet. Zunächst kam er mit den Jnspirirten in Verbindung, die sich 1717 auf den Antrieb „ihrer Propheten von ihrer Nahrung und guten Umständen aus Meiningen hatten vertreiben lassen. Was diese armen, verblendeten Leute bei diesem vermeinten göttlichen Beruf durch die Länder, wodurch sie gezogen, für Drangsal, Spott und Verachtung ausstehn müssen, indem man sie als Leute, die mit der Pest behaftet, vor den Thoren abgewiesen, das ist kaum zu beschreiben." Was ihn zu ihnen hinzog, war die gleiche Ansicht von Abendmal und Taufe; vielleicht auch der Umstand, daß er von ihnen, die durchweg den untern Stünden angehörten, als der erste gebildete Herr, der

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341594_109805
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341594_109805/481
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 19, 1860, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341594_109805/481>, abgerufen am 25.07.2024.