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Die Grenzboten. Jg. 19, 1860, II. Semester. III. Band.

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tcrsuchungen über die Wiedergeburt, die Kindertaufe u. s. w. zu Papier ge¬
bracht, und vier Hefte davon, ohne seinen Namen zu nennen, nach Leipzig ge¬
schickt. Ein halbes Jahr hatte er nichts davon gehört, plötzlich erschienen sie
in Frankfurt gedruckt. Nun lernte er Dippel's Schriften kennen. Dippel
war ungefähr gleichzeitig mit Arnold aufgetreten, sein Humor war aber ein¬
schneidender gewesen; der Grundsatz, von dem er ausging, leuchtete Edelmann
ein: Gott als vollkommnes Wesen kann nicht zürnen; die ganze Lehre
von dem Bruch und d,er Versöhnung ist also eine Lästerung. Am schärfsten
hatte Tippel die Ewigkeit der Höllenstrafen angegriffen. -- Das alles gab
Edelmann Veranlassung zu fünf neuen Heften, in denen auch Dippels des Viel¬
geschmähten Name zu Ehren gebracht wurde; immer heftiger wurde sein
Drang, immer lauter der Jubel, mit dem er eine Fessel nach der andern abwarf.
-- Der Herausgeber seiner Schrift, der Buchhändler Groß, Chef der Separa¬
tisten in Frankfurt, hatte mit Haug in Berleburg eine neue Paraphrase der
Bibel unternommen, in welcher das Christenthum mystisch verklärt werden
sollte. Sie forderten Edelmann auf, sich ihnen anzuschließen und freudig folgte
er, da er es als einen Nus des Herrn ansah.

In Dresden war seines Bleibens nicht; Löscher stellte bereits einige
sehr bedenkliche Untersuchungen an; die Gichtelianer waren mit dem über¬
müthigen Ton der "unschuldigen Wahrheiten" nicht einverstanden, obgleich
sie über die Sacramente ähnlich dachten. Den hcrrnhuter Abgesandten, die
ihn zur Erfüllung seines Versprechens aufforderten, sagte er definitiv ab, und
das Sprüchlein, mit dem sie ihn, nach ihrer Art, auf offner Straße anfangen,
faßte er als ein Orakel:

In der Petri Paul Messe 1736 ging Edelmann von Dresden ab; un¬
terwegs hatte er mehrfache Gelegenheit sich Freunde und Freundinnen zu er¬
werben, so z. B. in Leipzig durch die Kritik eines Predigers: er habe zwar
ein Nest voll Gräuel und Unannehmlichkeiten uns gezeigt, aber nicht gewiesen,
wie wir es reinigen und ausnehmen sollten; der Mantel des Verdienstes
Christi, den er hätte darüber breiten wollen, scheine zu kostbar dazu. In
Frankfurt nahm ihn Groß sehr freundlich auf: es war ein stilles sehr gutes
Völkchen, auf deren Lebensart die Einflüsse des halleschen Pietismus nicht
gar zu schlimm eingewirkt hatten, und Edelmann glaubte nun endlich die ech¬
ten Christen, nach denen er suchte, gefunden zu haben. Am meisten erfreute
ihn eine Lustfahrt auf dem Main, wo die fromme Gesellschaft am Schluß mit¬
ten unter den lustigen Schiffsleuten das Lied: Lobet den Herrn, den mächti-


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tcrsuchungen über die Wiedergeburt, die Kindertaufe u. s. w. zu Papier ge¬
bracht, und vier Hefte davon, ohne seinen Namen zu nennen, nach Leipzig ge¬
schickt. Ein halbes Jahr hatte er nichts davon gehört, plötzlich erschienen sie
in Frankfurt gedruckt. Nun lernte er Dippel's Schriften kennen. Dippel
war ungefähr gleichzeitig mit Arnold aufgetreten, sein Humor war aber ein¬
schneidender gewesen; der Grundsatz, von dem er ausging, leuchtete Edelmann
ein: Gott als vollkommnes Wesen kann nicht zürnen; die ganze Lehre
von dem Bruch und d,er Versöhnung ist also eine Lästerung. Am schärfsten
hatte Tippel die Ewigkeit der Höllenstrafen angegriffen. — Das alles gab
Edelmann Veranlassung zu fünf neuen Heften, in denen auch Dippels des Viel¬
geschmähten Name zu Ehren gebracht wurde; immer heftiger wurde sein
Drang, immer lauter der Jubel, mit dem er eine Fessel nach der andern abwarf.
— Der Herausgeber seiner Schrift, der Buchhändler Groß, Chef der Separa¬
tisten in Frankfurt, hatte mit Haug in Berleburg eine neue Paraphrase der
Bibel unternommen, in welcher das Christenthum mystisch verklärt werden
sollte. Sie forderten Edelmann auf, sich ihnen anzuschließen und freudig folgte
er, da er es als einen Nus des Herrn ansah.

In Dresden war seines Bleibens nicht; Löscher stellte bereits einige
sehr bedenkliche Untersuchungen an; die Gichtelianer waren mit dem über¬
müthigen Ton der „unschuldigen Wahrheiten" nicht einverstanden, obgleich
sie über die Sacramente ähnlich dachten. Den hcrrnhuter Abgesandten, die
ihn zur Erfüllung seines Versprechens aufforderten, sagte er definitiv ab, und
das Sprüchlein, mit dem sie ihn, nach ihrer Art, auf offner Straße anfangen,
faßte er als ein Orakel:

In der Petri Paul Messe 1736 ging Edelmann von Dresden ab; un¬
terwegs hatte er mehrfache Gelegenheit sich Freunde und Freundinnen zu er¬
werben, so z. B. in Leipzig durch die Kritik eines Predigers: er habe zwar
ein Nest voll Gräuel und Unannehmlichkeiten uns gezeigt, aber nicht gewiesen,
wie wir es reinigen und ausnehmen sollten; der Mantel des Verdienstes
Christi, den er hätte darüber breiten wollen, scheine zu kostbar dazu. In
Frankfurt nahm ihn Groß sehr freundlich auf: es war ein stilles sehr gutes
Völkchen, auf deren Lebensart die Einflüsse des halleschen Pietismus nicht
gar zu schlimm eingewirkt hatten, und Edelmann glaubte nun endlich die ech¬
ten Christen, nach denen er suchte, gefunden zu haben. Am meisten erfreute
ihn eine Lustfahrt auf dem Main, wo die fromme Gesellschaft am Schluß mit¬
ten unter den lustigen Schiffsleuten das Lied: Lobet den Herrn, den mächti-


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[0479] tcrsuchungen über die Wiedergeburt, die Kindertaufe u. s. w. zu Papier ge¬ bracht, und vier Hefte davon, ohne seinen Namen zu nennen, nach Leipzig ge¬ schickt. Ein halbes Jahr hatte er nichts davon gehört, plötzlich erschienen sie in Frankfurt gedruckt. Nun lernte er Dippel's Schriften kennen. Dippel war ungefähr gleichzeitig mit Arnold aufgetreten, sein Humor war aber ein¬ schneidender gewesen; der Grundsatz, von dem er ausging, leuchtete Edelmann ein: Gott als vollkommnes Wesen kann nicht zürnen; die ganze Lehre von dem Bruch und d,er Versöhnung ist also eine Lästerung. Am schärfsten hatte Tippel die Ewigkeit der Höllenstrafen angegriffen. — Das alles gab Edelmann Veranlassung zu fünf neuen Heften, in denen auch Dippels des Viel¬ geschmähten Name zu Ehren gebracht wurde; immer heftiger wurde sein Drang, immer lauter der Jubel, mit dem er eine Fessel nach der andern abwarf. — Der Herausgeber seiner Schrift, der Buchhändler Groß, Chef der Separa¬ tisten in Frankfurt, hatte mit Haug in Berleburg eine neue Paraphrase der Bibel unternommen, in welcher das Christenthum mystisch verklärt werden sollte. Sie forderten Edelmann auf, sich ihnen anzuschließen und freudig folgte er, da er es als einen Nus des Herrn ansah. In Dresden war seines Bleibens nicht; Löscher stellte bereits einige sehr bedenkliche Untersuchungen an; die Gichtelianer waren mit dem über¬ müthigen Ton der „unschuldigen Wahrheiten" nicht einverstanden, obgleich sie über die Sacramente ähnlich dachten. Den hcrrnhuter Abgesandten, die ihn zur Erfüllung seines Versprechens aufforderten, sagte er definitiv ab, und das Sprüchlein, mit dem sie ihn, nach ihrer Art, auf offner Straße anfangen, faßte er als ein Orakel: In der Petri Paul Messe 1736 ging Edelmann von Dresden ab; un¬ terwegs hatte er mehrfache Gelegenheit sich Freunde und Freundinnen zu er¬ werben, so z. B. in Leipzig durch die Kritik eines Predigers: er habe zwar ein Nest voll Gräuel und Unannehmlichkeiten uns gezeigt, aber nicht gewiesen, wie wir es reinigen und ausnehmen sollten; der Mantel des Verdienstes Christi, den er hätte darüber breiten wollen, scheine zu kostbar dazu. In Frankfurt nahm ihn Groß sehr freundlich auf: es war ein stilles sehr gutes Völkchen, auf deren Lebensart die Einflüsse des halleschen Pietismus nicht gar zu schlimm eingewirkt hatten, und Edelmann glaubte nun endlich die ech¬ ten Christen, nach denen er suchte, gefunden zu haben. Am meisten erfreute ihn eine Lustfahrt auf dem Main, wo die fromme Gesellschaft am Schluß mit¬ ten unter den lustigen Schiffsleuten das Lied: Lobet den Herrn, den mächti- 59*

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 19, 1860, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341594_109805/479>, abgerufen am 25.07.2024.