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Die Grenzboten. Jg. 19, 1860, II. Semester. III. Band.

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Substanz geschehn konnte: aber etwas mehr, als sämmtliche Punkte des
Katechismus zu erweisen, verstatteten auch sie der Philosophie keineswegs.

Nun trat plötzlich eine Philosphie auf. die mehr beanspruchte. Spinoza
als Jude. Ausländer und offener Pantheist war bald beseitigt worden,
Leibnitz hatte im Ganzen nur für die vornehme Welt geschrieben, aber
nun kam Wolf und erfüllte die Katheder und Kanzeln mit seinen Schü¬
lern. Er lehrte, daß diese im Argen liegende Welt die beste sei. daß Alles
"ach zureichenden Gründen geschehe, daß also auch Gott nur nach den
Gesetzen seiner Natur wirke, welche zugleich das allgemeine Naturgesetz
seien, daß endlich die einzig wahre Quelle der Moral die sich selbst rich¬
tig verstehende menschliche Natur sei. Diese lästerlichen Ansichten wurden
in deutscher Sprache vorgetragen und dabei in so vorsichtigen Formen, daß
die Wolsianer sich sür vollkommen rechtgläubig halten konnten. Es ist be¬
greiflich, daß in ihrem Zorn die Pietisten am lebhaftesten waren, weil ihr
ganzes Gemüthsleben auf den Begriff der menschlichen Verderbnis; sich grün¬
dete und mit diesem Begriff zusammenfiel. ' Der Kampf wurde heiß und eif¬
rig geführt, aber noch war kein Menschenalter vergangen, so waren die mei¬
sten Lehrstühle mit Wolfianern besetzt und die alte Burg des Pietismus, die
Universität Halle, war das Centrum der neuen rationalistischen Lehre.

Mitten in diesen Zerwürfnissen tritt Edelmann auf. Die alte Orthodoxie,
hauptsächlich durch die theologischen Facultäten getragen, kämpft verzweifelt
für ihren alten Besitz, den ihr der Pietismus an mehreren wichtigen Univer¬
sitäten schon entrissen hat; an den Pietismus sich anschließend, aber viel wei¬
ter gehend, erheben sich eine Reihe von Sekten, die. was beim Pietismus
vlos im subjectiven Gefühl bleibt, in kirchlichen Ordnungen zu organisiren stre¬
ben, unter ihnen in erster Reihe die Herrnhuter; gegen sie alle die Wolf'sche
Philosophie. Edelmann war kein Reformator, er hat nichts gegründet und
im Grunde auch nichts zerstört, aber er ist für uns ein lebendiges Bild, wie
eine begabte, wenn auch nicht tiefe Natur, die sich aber durch Wahrheitsliebe,
llnerschrockenheit und unverwüstliche gute Laune vor den meisten der Zeitge¬
nossen auszeichnet, in solchen Conflicten sich verhält.

Edelmann wurde 9. Juli 1698 zu Weißenfels geboren. Sein Vater, ein
armer Kammermusikus, konnte für die Kinder nicht viel thun. Doch sind mei¬
stens ordentliche Leute daraus geworden. Von Edelmanns sehnlicher ist uns
nur eine Bemerkung interessant, aus seiner ersten Schulzeit zu Sangerhausen,
wo er bis zum 17. Jahre verblieb. "Ich machte den Anfang, mich mit dem
Barbara und Celarent bekannt zu machen, und lernte in kurzer Zeit so perfect
Zanken, daß ich mich nicht gescheut hätte mit manchem Studenten anzubinden.
Denn ich war damals schon sehr naseweis und sing schon an. mich über An¬
dere zu moquiren, wenn ich sah, daß sie mich lehren wollten und doch selber


Substanz geschehn konnte: aber etwas mehr, als sämmtliche Punkte des
Katechismus zu erweisen, verstatteten auch sie der Philosophie keineswegs.

Nun trat plötzlich eine Philosphie auf. die mehr beanspruchte. Spinoza
als Jude. Ausländer und offener Pantheist war bald beseitigt worden,
Leibnitz hatte im Ganzen nur für die vornehme Welt geschrieben, aber
nun kam Wolf und erfüllte die Katheder und Kanzeln mit seinen Schü¬
lern. Er lehrte, daß diese im Argen liegende Welt die beste sei. daß Alles
"ach zureichenden Gründen geschehe, daß also auch Gott nur nach den
Gesetzen seiner Natur wirke, welche zugleich das allgemeine Naturgesetz
seien, daß endlich die einzig wahre Quelle der Moral die sich selbst rich¬
tig verstehende menschliche Natur sei. Diese lästerlichen Ansichten wurden
in deutscher Sprache vorgetragen und dabei in so vorsichtigen Formen, daß
die Wolsianer sich sür vollkommen rechtgläubig halten konnten. Es ist be¬
greiflich, daß in ihrem Zorn die Pietisten am lebhaftesten waren, weil ihr
ganzes Gemüthsleben auf den Begriff der menschlichen Verderbnis; sich grün¬
dete und mit diesem Begriff zusammenfiel. ' Der Kampf wurde heiß und eif¬
rig geführt, aber noch war kein Menschenalter vergangen, so waren die mei¬
sten Lehrstühle mit Wolfianern besetzt und die alte Burg des Pietismus, die
Universität Halle, war das Centrum der neuen rationalistischen Lehre.

Mitten in diesen Zerwürfnissen tritt Edelmann auf. Die alte Orthodoxie,
hauptsächlich durch die theologischen Facultäten getragen, kämpft verzweifelt
für ihren alten Besitz, den ihr der Pietismus an mehreren wichtigen Univer¬
sitäten schon entrissen hat; an den Pietismus sich anschließend, aber viel wei¬
ter gehend, erheben sich eine Reihe von Sekten, die. was beim Pietismus
vlos im subjectiven Gefühl bleibt, in kirchlichen Ordnungen zu organisiren stre¬
ben, unter ihnen in erster Reihe die Herrnhuter; gegen sie alle die Wolf'sche
Philosophie. Edelmann war kein Reformator, er hat nichts gegründet und
im Grunde auch nichts zerstört, aber er ist für uns ein lebendiges Bild, wie
eine begabte, wenn auch nicht tiefe Natur, die sich aber durch Wahrheitsliebe,
llnerschrockenheit und unverwüstliche gute Laune vor den meisten der Zeitge¬
nossen auszeichnet, in solchen Conflicten sich verhält.

Edelmann wurde 9. Juli 1698 zu Weißenfels geboren. Sein Vater, ein
armer Kammermusikus, konnte für die Kinder nicht viel thun. Doch sind mei¬
stens ordentliche Leute daraus geworden. Von Edelmanns sehnlicher ist uns
nur eine Bemerkung interessant, aus seiner ersten Schulzeit zu Sangerhausen,
wo er bis zum 17. Jahre verblieb. „Ich machte den Anfang, mich mit dem
Barbara und Celarent bekannt zu machen, und lernte in kurzer Zeit so perfect
Zanken, daß ich mich nicht gescheut hätte mit manchem Studenten anzubinden.
Denn ich war damals schon sehr naseweis und sing schon an. mich über An¬
dere zu moquiren, wenn ich sah, daß sie mich lehren wollten und doch selber


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[0473] Substanz geschehn konnte: aber etwas mehr, als sämmtliche Punkte des Katechismus zu erweisen, verstatteten auch sie der Philosophie keineswegs. Nun trat plötzlich eine Philosphie auf. die mehr beanspruchte. Spinoza als Jude. Ausländer und offener Pantheist war bald beseitigt worden, Leibnitz hatte im Ganzen nur für die vornehme Welt geschrieben, aber nun kam Wolf und erfüllte die Katheder und Kanzeln mit seinen Schü¬ lern. Er lehrte, daß diese im Argen liegende Welt die beste sei. daß Alles "ach zureichenden Gründen geschehe, daß also auch Gott nur nach den Gesetzen seiner Natur wirke, welche zugleich das allgemeine Naturgesetz seien, daß endlich die einzig wahre Quelle der Moral die sich selbst rich¬ tig verstehende menschliche Natur sei. Diese lästerlichen Ansichten wurden in deutscher Sprache vorgetragen und dabei in so vorsichtigen Formen, daß die Wolsianer sich sür vollkommen rechtgläubig halten konnten. Es ist be¬ greiflich, daß in ihrem Zorn die Pietisten am lebhaftesten waren, weil ihr ganzes Gemüthsleben auf den Begriff der menschlichen Verderbnis; sich grün¬ dete und mit diesem Begriff zusammenfiel. ' Der Kampf wurde heiß und eif¬ rig geführt, aber noch war kein Menschenalter vergangen, so waren die mei¬ sten Lehrstühle mit Wolfianern besetzt und die alte Burg des Pietismus, die Universität Halle, war das Centrum der neuen rationalistischen Lehre. Mitten in diesen Zerwürfnissen tritt Edelmann auf. Die alte Orthodoxie, hauptsächlich durch die theologischen Facultäten getragen, kämpft verzweifelt für ihren alten Besitz, den ihr der Pietismus an mehreren wichtigen Univer¬ sitäten schon entrissen hat; an den Pietismus sich anschließend, aber viel wei¬ ter gehend, erheben sich eine Reihe von Sekten, die. was beim Pietismus vlos im subjectiven Gefühl bleibt, in kirchlichen Ordnungen zu organisiren stre¬ ben, unter ihnen in erster Reihe die Herrnhuter; gegen sie alle die Wolf'sche Philosophie. Edelmann war kein Reformator, er hat nichts gegründet und im Grunde auch nichts zerstört, aber er ist für uns ein lebendiges Bild, wie eine begabte, wenn auch nicht tiefe Natur, die sich aber durch Wahrheitsliebe, llnerschrockenheit und unverwüstliche gute Laune vor den meisten der Zeitge¬ nossen auszeichnet, in solchen Conflicten sich verhält. Edelmann wurde 9. Juli 1698 zu Weißenfels geboren. Sein Vater, ein armer Kammermusikus, konnte für die Kinder nicht viel thun. Doch sind mei¬ stens ordentliche Leute daraus geworden. Von Edelmanns sehnlicher ist uns nur eine Bemerkung interessant, aus seiner ersten Schulzeit zu Sangerhausen, wo er bis zum 17. Jahre verblieb. „Ich machte den Anfang, mich mit dem Barbara und Celarent bekannt zu machen, und lernte in kurzer Zeit so perfect Zanken, daß ich mich nicht gescheut hätte mit manchem Studenten anzubinden. Denn ich war damals schon sehr naseweis und sing schon an. mich über An¬ dere zu moquiren, wenn ich sah, daß sie mich lehren wollten und doch selber

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 19, 1860, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341594_109805/473>, abgerufen am 04.07.2024.