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Die Grenzboten. Jg. 19, 1860, II. Semester. III. Band.

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wobei er die Vorberge der Abruzzen und das Hügelland der römischen Suv-
apenninen zu überschreiten hat. Die zweite Seitenstraße ist wieder ein Zweig
der ersten. Sie biegt von dieser zwei Stunden vor Venafro ab, überschreitet
den Volturno und dann den Westabhang der Abruzzen, folgt dann, Jsernio,
Sulmona, Popoli und Aquila berührend, dem Thalkessel des eben genannten
Gebirgs, geht bei Cittaducale auf römisches Gebiet über und führt hier, als
enges, von schroffen Wänden eingeschlossenes Defilee in den Hochapennincn
über Riedl nach Temi. Während jene erste Straße den Charakter einer gu¬
ten Chaussee besitzt, ist die zweite von sehr wechselnder Beschaffenheit und an
der Grenze des Kirchenstaates mit wenigen Truppen abzusperren.

Nach dieser Uebersicht wird es nicht schwer sein, die Verthcidigungsfähig-
keit des süditalienischen Festlandes zu beurtheilen. Wir sehen, daß die beiden
Küstenstraßen die Hauptverkehrsadern desselben sind. Wer sie innehat, be¬
herrscht zugleich die Querstraßen und das Innere. Dieses von der Natur an¬
gedeutete Verhältniß steigert sich noch wesentlich dadurch, daß die neapolitanische
Regierung ihre gesamnuen militärischen Mittel auf der kleinen Strecke am
Golf von Neapel beisammen.hat. Hier liegt, drei Meilen südlich von Neapel,
Castellamare mit den Hauptetablissements der Flotte, hier die Hauptstadt mit
ihren Forts und nicht fern davon die Festung Capua, hier endlich im Norden
das Gibraltar Italiens, Gasta. Ein zahlreiches Jnvasionsheer, das von
Süden hierheraufstrebt, wird zwei getrennte Operationsfelder vor sich haben:
eines westlich, das andere östlich von dem Gebirge. Eine kleinere Armee wird
sich, auch wenn ein Aufstand sie unterstützt, in der Hauptsache auf eines zu
beschränken haben. Garibaldi dürfte das im Westen des Apennin gewählt
haben. Hätte er eine bedeutende Flotte zur Verfügung, so würde er statt
im Süden, weiter oben an der Westküste und zwar entweder bei Policastro
oder im Busen von Salerno gelandet sein, von denen das erstre acht, das
letztre nur drei Märsche von der Hauptstadt entfernt ist. Bei der Gering¬
fügigkeit seiner Marine und der Stärke der neapolitanischen mußte er sich ent¬
schließen, den beschwerlicheren und längeren Landweg von Reggio aus anzutreten.
Hat das Heer Garibaldis einmal die Gegend von Salerno erreicht, so ist
nur noch unmittelbar vor Neapel die Defileenlinie von Torre dell' Annun-
ziata zu forcircn. Ans diesem Wege wird Castellamare im Rücken genommen
und geht sofort mit seinen Vorräthen verloren. Sodann aber gewährt die
Hauptstadt Neapel selbst aus der Südostseite, der man sich hier zuerst nähert,
die wenigste Gelegenheit zu nachhaltiger Vertheidigung, da hier die Ausläufer
des Vesuv beherrschende Positionen darbieten. Ein anderer Vortheil erwächst
dem von Süden her vordringenden Heere dadurch, daß es hier die Aus-
mündungspunktc der von Apulien und der Basilicata auf die große Wcst-
straße führenden Nebenwege, z. B. Castrovillari und Evoli in seine Gewalt


wobei er die Vorberge der Abruzzen und das Hügelland der römischen Suv-
apenninen zu überschreiten hat. Die zweite Seitenstraße ist wieder ein Zweig
der ersten. Sie biegt von dieser zwei Stunden vor Venafro ab, überschreitet
den Volturno und dann den Westabhang der Abruzzen, folgt dann, Jsernio,
Sulmona, Popoli und Aquila berührend, dem Thalkessel des eben genannten
Gebirgs, geht bei Cittaducale auf römisches Gebiet über und führt hier, als
enges, von schroffen Wänden eingeschlossenes Defilee in den Hochapennincn
über Riedl nach Temi. Während jene erste Straße den Charakter einer gu¬
ten Chaussee besitzt, ist die zweite von sehr wechselnder Beschaffenheit und an
der Grenze des Kirchenstaates mit wenigen Truppen abzusperren.

Nach dieser Uebersicht wird es nicht schwer sein, die Verthcidigungsfähig-
keit des süditalienischen Festlandes zu beurtheilen. Wir sehen, daß die beiden
Küstenstraßen die Hauptverkehrsadern desselben sind. Wer sie innehat, be¬
herrscht zugleich die Querstraßen und das Innere. Dieses von der Natur an¬
gedeutete Verhältniß steigert sich noch wesentlich dadurch, daß die neapolitanische
Regierung ihre gesamnuen militärischen Mittel auf der kleinen Strecke am
Golf von Neapel beisammen.hat. Hier liegt, drei Meilen südlich von Neapel,
Castellamare mit den Hauptetablissements der Flotte, hier die Hauptstadt mit
ihren Forts und nicht fern davon die Festung Capua, hier endlich im Norden
das Gibraltar Italiens, Gasta. Ein zahlreiches Jnvasionsheer, das von
Süden hierheraufstrebt, wird zwei getrennte Operationsfelder vor sich haben:
eines westlich, das andere östlich von dem Gebirge. Eine kleinere Armee wird
sich, auch wenn ein Aufstand sie unterstützt, in der Hauptsache auf eines zu
beschränken haben. Garibaldi dürfte das im Westen des Apennin gewählt
haben. Hätte er eine bedeutende Flotte zur Verfügung, so würde er statt
im Süden, weiter oben an der Westküste und zwar entweder bei Policastro
oder im Busen von Salerno gelandet sein, von denen das erstre acht, das
letztre nur drei Märsche von der Hauptstadt entfernt ist. Bei der Gering¬
fügigkeit seiner Marine und der Stärke der neapolitanischen mußte er sich ent¬
schließen, den beschwerlicheren und längeren Landweg von Reggio aus anzutreten.
Hat das Heer Garibaldis einmal die Gegend von Salerno erreicht, so ist
nur noch unmittelbar vor Neapel die Defileenlinie von Torre dell' Annun-
ziata zu forcircn. Ans diesem Wege wird Castellamare im Rücken genommen
und geht sofort mit seinen Vorräthen verloren. Sodann aber gewährt die
Hauptstadt Neapel selbst aus der Südostseite, der man sich hier zuerst nähert,
die wenigste Gelegenheit zu nachhaltiger Vertheidigung, da hier die Ausläufer
des Vesuv beherrschende Positionen darbieten. Ein anderer Vortheil erwächst
dem von Süden her vordringenden Heere dadurch, daß es hier die Aus-
mündungspunktc der von Apulien und der Basilicata auf die große Wcst-
straße führenden Nebenwege, z. B. Castrovillari und Evoli in seine Gewalt


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 19, 1860, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341594_109805/427>, abgerufen am 25.07.2024.