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Die Grenzboten. Jg. 19, 1860, II. Semester. III. Band.

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Indem wir im Folgenden einen Beitrag zur Kenntniß des Kriegstheaters
geben, auf dem der Kampf um das Schicksal der letzten Bourbonen in Italien
zunächst spielen wird, betrachten wir zuerst in der Kürze die bis jetzt von der
Bewegung ergriffenen Provinzen Neapels und dann die Wege, welche das
Heer der Unitarier zurückzulegen hat. um die Hauptstadt und weiterhin die
Nordgrenze des süditalienischen Königreichs zu erreichen.

Calabrien, die südwestlichste Halbinsel Italiens, mit diesem durch einen
zehn Meilen breiten Isthmus zusammenhängend, im Westen vom tyrrhenischen,
im Osten vom jonischen Meer und den Gewässern des Golfs von Tarent be¬
spült, trägt allenthalben den Charakter eines wildzerklüfteten Gebirgslandes
und eignet sich damit ganz vorzüglich für den kleinen Krieg, in welchem Gari-
baldi sich bisher als geschickten Feldherrn bewährt hat. Die Küsten sind durch
mehre Meerbusen stark gegliedert, die Flüsse sämmtlich von kurzem Lauf. Das
Gebirge, aus einzelnen durch tiefe Spalten von einander getrennten Gruppen
bestehend, gegen Westen hin am höchsten und steilsten, erreicht unten (südlich)
im Aspromonte die Höhe von 6000, oben im Monte Pollino die von 7000
Fuß. Das Klima ist mit Ausnahme einiger wenigen Striche, wo Sümpfe Fieber¬
lust aushauchen, gesund, der Boden der Thäler und Berghänge sehr fruchtbar,
so daß man trotz einer sehr unvollkommnen Ackerwirthschaft Getreide und Reis,
Safran, Flachs, Hanf und Südfrüchte in ziemlicher Menge ausführt. Die
Berge sind mit schönen Wäldern von Nadelhölzern, immergrünen Eichen. Manna-
eschen, Platanen und Kastanien bedeckt. Die Weiden nähren zahlreiche
Heerden von Rindern und Schafen, auch zieht man in der Provinz vortreff¬
liche Pferde. Die Einwohner, gegen 900.000, leben noch in der größten Roh¬
heit und Unwissenheit. Im Uebrigen theilen sie die Eigenschaften der übrigen
südlichen Gebirgsvölker. Sie lieferten dem neapolitanischen Heere die besten
Soldaten, namentlich tüchtige Jäger und Schützen, sind ehrlich und aufrichtig,
gastfrei und voll starken Selbstbewußtseins, aber zugleich streitsüchtig, rach¬
gierig und überaus abergläubisch. Ihre Sprache, ein schwer verständliches
italienisches Putois, ist reich an originellen Ausdrücken und bezeichnenden Wen¬
dungen. Haupterwerbszwcig sind Ackerbau und Viehzucht, an den Küsten
Schiffahrt und Fischerei. Die Manufacturen, auf einige der größern Ort¬
schaften beschränkt, sind ohne Bedeutung. In politischer Hinsicht zerfällt das
Land in die Intendanturen: Calabria Citeriore, welches die nördlichen Theile
umfaßt und Calabria Ultcriore I und II, welche die südlichen Striche in sich
begreisen. Die Hauptstadt der zuerst erwähnten Intendantur, Cosenza. liegt
in einer sehr fruchtbaren Gegend, ist Sitz eines Erzbischofs und verschiedener
Gerichtshöfe und hat gegen 12.000 Einwohner. Sonst sind hier nur die
Städte Castrovillari -mit 5000, und Rossano, am Meerbusen von Tarent. mit
9000 Einwohnern zu erwähnen. Die wichtigsten Orte in Calabria Ulteriore I


Grenzboten III. 1360. 52

Indem wir im Folgenden einen Beitrag zur Kenntniß des Kriegstheaters
geben, auf dem der Kampf um das Schicksal der letzten Bourbonen in Italien
zunächst spielen wird, betrachten wir zuerst in der Kürze die bis jetzt von der
Bewegung ergriffenen Provinzen Neapels und dann die Wege, welche das
Heer der Unitarier zurückzulegen hat. um die Hauptstadt und weiterhin die
Nordgrenze des süditalienischen Königreichs zu erreichen.

Calabrien, die südwestlichste Halbinsel Italiens, mit diesem durch einen
zehn Meilen breiten Isthmus zusammenhängend, im Westen vom tyrrhenischen,
im Osten vom jonischen Meer und den Gewässern des Golfs von Tarent be¬
spült, trägt allenthalben den Charakter eines wildzerklüfteten Gebirgslandes
und eignet sich damit ganz vorzüglich für den kleinen Krieg, in welchem Gari-
baldi sich bisher als geschickten Feldherrn bewährt hat. Die Küsten sind durch
mehre Meerbusen stark gegliedert, die Flüsse sämmtlich von kurzem Lauf. Das
Gebirge, aus einzelnen durch tiefe Spalten von einander getrennten Gruppen
bestehend, gegen Westen hin am höchsten und steilsten, erreicht unten (südlich)
im Aspromonte die Höhe von 6000, oben im Monte Pollino die von 7000
Fuß. Das Klima ist mit Ausnahme einiger wenigen Striche, wo Sümpfe Fieber¬
lust aushauchen, gesund, der Boden der Thäler und Berghänge sehr fruchtbar,
so daß man trotz einer sehr unvollkommnen Ackerwirthschaft Getreide und Reis,
Safran, Flachs, Hanf und Südfrüchte in ziemlicher Menge ausführt. Die
Berge sind mit schönen Wäldern von Nadelhölzern, immergrünen Eichen. Manna-
eschen, Platanen und Kastanien bedeckt. Die Weiden nähren zahlreiche
Heerden von Rindern und Schafen, auch zieht man in der Provinz vortreff¬
liche Pferde. Die Einwohner, gegen 900.000, leben noch in der größten Roh¬
heit und Unwissenheit. Im Uebrigen theilen sie die Eigenschaften der übrigen
südlichen Gebirgsvölker. Sie lieferten dem neapolitanischen Heere die besten
Soldaten, namentlich tüchtige Jäger und Schützen, sind ehrlich und aufrichtig,
gastfrei und voll starken Selbstbewußtseins, aber zugleich streitsüchtig, rach¬
gierig und überaus abergläubisch. Ihre Sprache, ein schwer verständliches
italienisches Putois, ist reich an originellen Ausdrücken und bezeichnenden Wen¬
dungen. Haupterwerbszwcig sind Ackerbau und Viehzucht, an den Küsten
Schiffahrt und Fischerei. Die Manufacturen, auf einige der größern Ort¬
schaften beschränkt, sind ohne Bedeutung. In politischer Hinsicht zerfällt das
Land in die Intendanturen: Calabria Citeriore, welches die nördlichen Theile
umfaßt und Calabria Ultcriore I und II, welche die südlichen Striche in sich
begreisen. Die Hauptstadt der zuerst erwähnten Intendantur, Cosenza. liegt
in einer sehr fruchtbaren Gegend, ist Sitz eines Erzbischofs und verschiedener
Gerichtshöfe und hat gegen 12.000 Einwohner. Sonst sind hier nur die
Städte Castrovillari -mit 5000, und Rossano, am Meerbusen von Tarent. mit
9000 Einwohnern zu erwähnen. Die wichtigsten Orte in Calabria Ulteriore I


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[0421] Indem wir im Folgenden einen Beitrag zur Kenntniß des Kriegstheaters geben, auf dem der Kampf um das Schicksal der letzten Bourbonen in Italien zunächst spielen wird, betrachten wir zuerst in der Kürze die bis jetzt von der Bewegung ergriffenen Provinzen Neapels und dann die Wege, welche das Heer der Unitarier zurückzulegen hat. um die Hauptstadt und weiterhin die Nordgrenze des süditalienischen Königreichs zu erreichen. Calabrien, die südwestlichste Halbinsel Italiens, mit diesem durch einen zehn Meilen breiten Isthmus zusammenhängend, im Westen vom tyrrhenischen, im Osten vom jonischen Meer und den Gewässern des Golfs von Tarent be¬ spült, trägt allenthalben den Charakter eines wildzerklüfteten Gebirgslandes und eignet sich damit ganz vorzüglich für den kleinen Krieg, in welchem Gari- baldi sich bisher als geschickten Feldherrn bewährt hat. Die Küsten sind durch mehre Meerbusen stark gegliedert, die Flüsse sämmtlich von kurzem Lauf. Das Gebirge, aus einzelnen durch tiefe Spalten von einander getrennten Gruppen bestehend, gegen Westen hin am höchsten und steilsten, erreicht unten (südlich) im Aspromonte die Höhe von 6000, oben im Monte Pollino die von 7000 Fuß. Das Klima ist mit Ausnahme einiger wenigen Striche, wo Sümpfe Fieber¬ lust aushauchen, gesund, der Boden der Thäler und Berghänge sehr fruchtbar, so daß man trotz einer sehr unvollkommnen Ackerwirthschaft Getreide und Reis, Safran, Flachs, Hanf und Südfrüchte in ziemlicher Menge ausführt. Die Berge sind mit schönen Wäldern von Nadelhölzern, immergrünen Eichen. Manna- eschen, Platanen und Kastanien bedeckt. Die Weiden nähren zahlreiche Heerden von Rindern und Schafen, auch zieht man in der Provinz vortreff¬ liche Pferde. Die Einwohner, gegen 900.000, leben noch in der größten Roh¬ heit und Unwissenheit. Im Uebrigen theilen sie die Eigenschaften der übrigen südlichen Gebirgsvölker. Sie lieferten dem neapolitanischen Heere die besten Soldaten, namentlich tüchtige Jäger und Schützen, sind ehrlich und aufrichtig, gastfrei und voll starken Selbstbewußtseins, aber zugleich streitsüchtig, rach¬ gierig und überaus abergläubisch. Ihre Sprache, ein schwer verständliches italienisches Putois, ist reich an originellen Ausdrücken und bezeichnenden Wen¬ dungen. Haupterwerbszwcig sind Ackerbau und Viehzucht, an den Küsten Schiffahrt und Fischerei. Die Manufacturen, auf einige der größern Ort¬ schaften beschränkt, sind ohne Bedeutung. In politischer Hinsicht zerfällt das Land in die Intendanturen: Calabria Citeriore, welches die nördlichen Theile umfaßt und Calabria Ultcriore I und II, welche die südlichen Striche in sich begreisen. Die Hauptstadt der zuerst erwähnten Intendantur, Cosenza. liegt in einer sehr fruchtbaren Gegend, ist Sitz eines Erzbischofs und verschiedener Gerichtshöfe und hat gegen 12.000 Einwohner. Sonst sind hier nur die Städte Castrovillari -mit 5000, und Rossano, am Meerbusen von Tarent. mit 9000 Einwohnern zu erwähnen. Die wichtigsten Orte in Calabria Ulteriore I Grenzboten III. 1360. 52

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 19, 1860, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341594_109805/421>, abgerufen am 24.07.2024.