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Die Grenzboten. Jg. 19, 1860, II. Semester. III. Band.

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Schritte auf ihrer Siegeslaufbahn umgeben hatten. Was früher noch "das
höchste Uebel" und ein "Fluch des Himmels" genannt wurde, das wan¬
delte sich plötzlich in einen "Segen Gottes" um; was lange als eine Schmach
und ein Schandfleck an der Union gegolten hatte, das wurde bald der Grun-
pseiler der "wahren Demokratie", Mit einem Worte: die Sklavenhalter wur¬
den eine Macht.

Woher kam dieser plötzliche Umschwung, diese ungestüme Ankündigung
der neuen Herrscherin? Ein bisher unbekannter Factor war über Nacht aus
dem Boden gewachsen, in ihm gingen alle südlichen und Sklavenhalter-In¬
teressen, als in ihrer höhern Einheit und ihrem Brennpunkte auf. Dieser
neue Factor war die Baumwolle; ihre Geschichte ist fortan gleichbedeutend
mit der Geschichte der Sklaverei in den Vereinigten Staaten, auf deren
Politik und Weltstellung sie sogar mit jedem Jahre entschiedener einwirkt.

Noch kein Artikel hat sich in verhnltnißmnßig so kurzer Zeit so über¬
raschende Erfolge und eine so unbestrittene Suprematie im Weltmarkt er¬
rungen. Treffend für ihre Bedeutung sagt Dickens: "Jede sociale oder phy¬
sische Konvulsion in den Vereinigten Staaten würde England erschüttern vom
Cap Landsend bis nach John O'Greats. Das Leben von nahezu zwei Mil¬
lionen unserer Landsleute hängt von der Baumwollernte Nordamerikas ab;
ihr Schicksal, man kann es ohne Uebertreibung sagen, hängt an einem Fa¬
den. Sollte irgend ein Mißgeschick über das Land der Baumwolle herein¬
brechen, so würden eintausend von den Schiffen unserer Kauffcihrtciflottc
müßig in den Hafen verfaulen; zehntausend Fabriken müßten ihre summen¬
den Webstuhle.still stellen, und zwei Millionen Menschen würden aufs Pfla¬
ster gesetzt."

Noch im Jahre 1794 erklärte Jay, als er den Vertrag mit England
unterhandelte, er wisse überhaupt nicht, daß Baumwolle aus dein Süden der
Bereinigten Staaten exportirt würde; wiewol die älteste Angabe über die
Baumwollaussuhr sich in einem Handelsbericht der Stadt Charlestown in
Südcarolina vom Jahre 1748 findet, in welchem Jahre sieben Säcke verschifft
wurden. In 1770 versandte man von demselben Orte 2000 Pfund;
1784 71 Säcke, auf welche man in England "als falsche Konsignation" Be¬
schlag legte, weil Amerika nicht soviel produciren könne. Erst nach Beendi¬
gung des Krieges wandte sich die Aufmerksamkeit im Allgemeinen der Baum¬
wolle zu, die bereits 1760 als Zierpflanze von den westindischen ^Inseln
inportirt und im Januar 1775, also ein Jahr vor der Unabhüngigkeitser-
klärung, von der Provinzialgesetzgebung von Südcarolina der besonderen
Beachtung der Pflanzer empfohlen wa>d. Die zuerst exportirte war nur
unvollkommen gereinigt und blos für ganz gewöhnliches Gespinnst geeignet.
Bald aber fand man, daß die an der Küste von Südcarolina und Georgia


Schritte auf ihrer Siegeslaufbahn umgeben hatten. Was früher noch „das
höchste Uebel" und ein „Fluch des Himmels" genannt wurde, das wan¬
delte sich plötzlich in einen „Segen Gottes" um; was lange als eine Schmach
und ein Schandfleck an der Union gegolten hatte, das wurde bald der Grun-
pseiler der „wahren Demokratie", Mit einem Worte: die Sklavenhalter wur¬
den eine Macht.

Woher kam dieser plötzliche Umschwung, diese ungestüme Ankündigung
der neuen Herrscherin? Ein bisher unbekannter Factor war über Nacht aus
dem Boden gewachsen, in ihm gingen alle südlichen und Sklavenhalter-In¬
teressen, als in ihrer höhern Einheit und ihrem Brennpunkte auf. Dieser
neue Factor war die Baumwolle; ihre Geschichte ist fortan gleichbedeutend
mit der Geschichte der Sklaverei in den Vereinigten Staaten, auf deren
Politik und Weltstellung sie sogar mit jedem Jahre entschiedener einwirkt.

Noch kein Artikel hat sich in verhnltnißmnßig so kurzer Zeit so über¬
raschende Erfolge und eine so unbestrittene Suprematie im Weltmarkt er¬
rungen. Treffend für ihre Bedeutung sagt Dickens: „Jede sociale oder phy¬
sische Konvulsion in den Vereinigten Staaten würde England erschüttern vom
Cap Landsend bis nach John O'Greats. Das Leben von nahezu zwei Mil¬
lionen unserer Landsleute hängt von der Baumwollernte Nordamerikas ab;
ihr Schicksal, man kann es ohne Uebertreibung sagen, hängt an einem Fa¬
den. Sollte irgend ein Mißgeschick über das Land der Baumwolle herein¬
brechen, so würden eintausend von den Schiffen unserer Kauffcihrtciflottc
müßig in den Hafen verfaulen; zehntausend Fabriken müßten ihre summen¬
den Webstuhle.still stellen, und zwei Millionen Menschen würden aufs Pfla¬
ster gesetzt."

Noch im Jahre 1794 erklärte Jay, als er den Vertrag mit England
unterhandelte, er wisse überhaupt nicht, daß Baumwolle aus dein Süden der
Bereinigten Staaten exportirt würde; wiewol die älteste Angabe über die
Baumwollaussuhr sich in einem Handelsbericht der Stadt Charlestown in
Südcarolina vom Jahre 1748 findet, in welchem Jahre sieben Säcke verschifft
wurden. In 1770 versandte man von demselben Orte 2000 Pfund;
1784 71 Säcke, auf welche man in England „als falsche Konsignation" Be¬
schlag legte, weil Amerika nicht soviel produciren könne. Erst nach Beendi¬
gung des Krieges wandte sich die Aufmerksamkeit im Allgemeinen der Baum¬
wolle zu, die bereits 1760 als Zierpflanze von den westindischen ^Inseln
inportirt und im Januar 1775, also ein Jahr vor der Unabhüngigkeitser-
klärung, von der Provinzialgesetzgebung von Südcarolina der besonderen
Beachtung der Pflanzer empfohlen wa>d. Die zuerst exportirte war nur
unvollkommen gereinigt und blos für ganz gewöhnliches Gespinnst geeignet.
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 19, 1860, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341594_109805/401>, abgerufen am 25.07.2024.