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Die Grenzboten. Jg. 19, 1860, II. Semester. III. Band.

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in den Zwölftafelgesetzen und noch im Jahre 157 v. Chr. zu einem interessan¬
ten Processe. Die Aedilen klagten einen gewissen Furius Cresinus der öko¬
nomischen Zauberei an. der als guter Landwirth auf einem kleinen Grund¬
stücke immer mehr Früchte gebaut hatte, als die neidischen Nachbarn. Um
sich zu retten, schaffte er alle seine Ackerwerkzeuge, ein Paar wohlgenährte Ochsen
und seine stämmige Tochter auf den Markt, zeigte sie dem Volke mit den
Worten: "Dies sind meine Zaubermittel; Schweiß und Arbeit, die ich auf¬
gewandt, kann ich Euch freilich nicht vorführen!" und wurde freigesprochen.
Obgleich ferner der römische Staat viel toleranter gegen fremde Culte war,
als die Griechen und selbst nach und nach eine Menge griechischer Götter
adoptirte, weil es in der religiösen Anschauungsweise lag, in solchen Fällen,
wo der Schutz der eignen Götter nicht auszureichen schien, zu fremden seine
Zuflucht zu nehmen und selbst gewissermaßen Verträge mit Gottheiten der
Feinde zu schließen, so schritten doch zuweilen die Aedilen gegen solche ein,
welche die Reinheit des einheimischen Cultus durch fremden Aberglauben trüb¬
ten. Das gefährlichste Beispiel der Art war die aus Etrurien eingeschlichcne
orphisch-bacchische Winkclreligivn, die im Jahre 186 v. Chr. mit unerbittlicher
Strenge unterdrückt wurde. Auch an ihr zeigte sich, wie verführerisch, epidemisch
die Unsittlichkeit ist, wenn sie unter der Maske der Heiligkeit erscheint, und mit
vollem Rechte sah der Staat durch die bereits bis auf 7000 Köpfte angewachse¬
nen Eingeweihten seinen gesammten Sitten- und Rechtszustand gefährdet.
Handelten hier die Aedilen im Auftrage der Consuln und des Senates, so
war ihnen die specielle Sittenpolizei selbständig überlassen. Demzufolge führ¬
ten sie die polizeiliche Aufsicht über Kuppler und Buhlerinnen und überwachten
in moralischer und sanitätspolizeilicher Hinsicht die öffentlichen Bäder. Beson¬
dere Controle erforderten auch die Popinen, Häuser, unseren Garküchen oder
Restaurationen vergleichbar, in denen warme Speisen und Getränke verabreicht
wurden. Da der ganze Stand der Gastwirthe tief verachtet war und man
überhaupt die Gemüthlichkeit des Kneipenlebens nicht kannte, hielten sich nur
Sclaven, Matrosen und Gladiatoren an solchen Orten auf, oder vornehme
Wüstlinge, unter denen ein gewisser Syriskus zu Martials Zeit eine halbe
Million Thaler dort vergeudete. Besonders in der Kaiserzeit, wo die Frequenz
der Popinen sehr zunahm, erschienen wiederholte Verbote gegen den Verkauf
von gekochten Fleischspeisen, warmen Getränken und Backwerk, und noch im
vierten Jahrhundert suchte der Polizeipräfect Ampelius den Abgrund der da¬
maligen Schwelgerei zu schließen, indem er z.B. gebot, es solle vor zehn Uhr
Morgens keine Weinstube geöffnet werden, ebenso vor einer bestimmten Stunde
keine Garküche, und es solle sich früher niemand kauend auf der Straße blicken
lassen! Außerdem waren diese Popinen wahre Spielhöllen, und da das Hazard-
spiel mit Ausnahme der Saturnalien des heidnischen Carnevals in Rom stets


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in den Zwölftafelgesetzen und noch im Jahre 157 v. Chr. zu einem interessan¬
ten Processe. Die Aedilen klagten einen gewissen Furius Cresinus der öko¬
nomischen Zauberei an. der als guter Landwirth auf einem kleinen Grund¬
stücke immer mehr Früchte gebaut hatte, als die neidischen Nachbarn. Um
sich zu retten, schaffte er alle seine Ackerwerkzeuge, ein Paar wohlgenährte Ochsen
und seine stämmige Tochter auf den Markt, zeigte sie dem Volke mit den
Worten: „Dies sind meine Zaubermittel; Schweiß und Arbeit, die ich auf¬
gewandt, kann ich Euch freilich nicht vorführen!" und wurde freigesprochen.
Obgleich ferner der römische Staat viel toleranter gegen fremde Culte war,
als die Griechen und selbst nach und nach eine Menge griechischer Götter
adoptirte, weil es in der religiösen Anschauungsweise lag, in solchen Fällen,
wo der Schutz der eignen Götter nicht auszureichen schien, zu fremden seine
Zuflucht zu nehmen und selbst gewissermaßen Verträge mit Gottheiten der
Feinde zu schließen, so schritten doch zuweilen die Aedilen gegen solche ein,
welche die Reinheit des einheimischen Cultus durch fremden Aberglauben trüb¬
ten. Das gefährlichste Beispiel der Art war die aus Etrurien eingeschlichcne
orphisch-bacchische Winkclreligivn, die im Jahre 186 v. Chr. mit unerbittlicher
Strenge unterdrückt wurde. Auch an ihr zeigte sich, wie verführerisch, epidemisch
die Unsittlichkeit ist, wenn sie unter der Maske der Heiligkeit erscheint, und mit
vollem Rechte sah der Staat durch die bereits bis auf 7000 Köpfte angewachse¬
nen Eingeweihten seinen gesammten Sitten- und Rechtszustand gefährdet.
Handelten hier die Aedilen im Auftrage der Consuln und des Senates, so
war ihnen die specielle Sittenpolizei selbständig überlassen. Demzufolge führ¬
ten sie die polizeiliche Aufsicht über Kuppler und Buhlerinnen und überwachten
in moralischer und sanitätspolizeilicher Hinsicht die öffentlichen Bäder. Beson¬
dere Controle erforderten auch die Popinen, Häuser, unseren Garküchen oder
Restaurationen vergleichbar, in denen warme Speisen und Getränke verabreicht
wurden. Da der ganze Stand der Gastwirthe tief verachtet war und man
überhaupt die Gemüthlichkeit des Kneipenlebens nicht kannte, hielten sich nur
Sclaven, Matrosen und Gladiatoren an solchen Orten auf, oder vornehme
Wüstlinge, unter denen ein gewisser Syriskus zu Martials Zeit eine halbe
Million Thaler dort vergeudete. Besonders in der Kaiserzeit, wo die Frequenz
der Popinen sehr zunahm, erschienen wiederholte Verbote gegen den Verkauf
von gekochten Fleischspeisen, warmen Getränken und Backwerk, und noch im
vierten Jahrhundert suchte der Polizeipräfect Ampelius den Abgrund der da¬
maligen Schwelgerei zu schließen, indem er z.B. gebot, es solle vor zehn Uhr
Morgens keine Weinstube geöffnet werden, ebenso vor einer bestimmten Stunde
keine Garküche, und es solle sich früher niemand kauend auf der Straße blicken
lassen! Außerdem waren diese Popinen wahre Spielhöllen, und da das Hazard-
spiel mit Ausnahme der Saturnalien des heidnischen Carnevals in Rom stets


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[0381] in den Zwölftafelgesetzen und noch im Jahre 157 v. Chr. zu einem interessan¬ ten Processe. Die Aedilen klagten einen gewissen Furius Cresinus der öko¬ nomischen Zauberei an. der als guter Landwirth auf einem kleinen Grund¬ stücke immer mehr Früchte gebaut hatte, als die neidischen Nachbarn. Um sich zu retten, schaffte er alle seine Ackerwerkzeuge, ein Paar wohlgenährte Ochsen und seine stämmige Tochter auf den Markt, zeigte sie dem Volke mit den Worten: „Dies sind meine Zaubermittel; Schweiß und Arbeit, die ich auf¬ gewandt, kann ich Euch freilich nicht vorführen!" und wurde freigesprochen. Obgleich ferner der römische Staat viel toleranter gegen fremde Culte war, als die Griechen und selbst nach und nach eine Menge griechischer Götter adoptirte, weil es in der religiösen Anschauungsweise lag, in solchen Fällen, wo der Schutz der eignen Götter nicht auszureichen schien, zu fremden seine Zuflucht zu nehmen und selbst gewissermaßen Verträge mit Gottheiten der Feinde zu schließen, so schritten doch zuweilen die Aedilen gegen solche ein, welche die Reinheit des einheimischen Cultus durch fremden Aberglauben trüb¬ ten. Das gefährlichste Beispiel der Art war die aus Etrurien eingeschlichcne orphisch-bacchische Winkclreligivn, die im Jahre 186 v. Chr. mit unerbittlicher Strenge unterdrückt wurde. Auch an ihr zeigte sich, wie verführerisch, epidemisch die Unsittlichkeit ist, wenn sie unter der Maske der Heiligkeit erscheint, und mit vollem Rechte sah der Staat durch die bereits bis auf 7000 Köpfte angewachse¬ nen Eingeweihten seinen gesammten Sitten- und Rechtszustand gefährdet. Handelten hier die Aedilen im Auftrage der Consuln und des Senates, so war ihnen die specielle Sittenpolizei selbständig überlassen. Demzufolge führ¬ ten sie die polizeiliche Aufsicht über Kuppler und Buhlerinnen und überwachten in moralischer und sanitätspolizeilicher Hinsicht die öffentlichen Bäder. Beson¬ dere Controle erforderten auch die Popinen, Häuser, unseren Garküchen oder Restaurationen vergleichbar, in denen warme Speisen und Getränke verabreicht wurden. Da der ganze Stand der Gastwirthe tief verachtet war und man überhaupt die Gemüthlichkeit des Kneipenlebens nicht kannte, hielten sich nur Sclaven, Matrosen und Gladiatoren an solchen Orten auf, oder vornehme Wüstlinge, unter denen ein gewisser Syriskus zu Martials Zeit eine halbe Million Thaler dort vergeudete. Besonders in der Kaiserzeit, wo die Frequenz der Popinen sehr zunahm, erschienen wiederholte Verbote gegen den Verkauf von gekochten Fleischspeisen, warmen Getränken und Backwerk, und noch im vierten Jahrhundert suchte der Polizeipräfect Ampelius den Abgrund der da¬ maligen Schwelgerei zu schließen, indem er z.B. gebot, es solle vor zehn Uhr Morgens keine Weinstube geöffnet werden, ebenso vor einer bestimmten Stunde keine Garküche, und es solle sich früher niemand kauend auf der Straße blicken lassen! Außerdem waren diese Popinen wahre Spielhöllen, und da das Hazard- spiel mit Ausnahme der Saturnalien des heidnischen Carnevals in Rom stets Nrenzbote» III, l?60. 47

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 19, 1860, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341594_109805/381>, abgerufen am 25.07.2024.