Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 19, 1860, II. Semester. III. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

richteramt des Areopags. Und zwar war ihr Strafrecht ein sehr allgemeines,
ganz ihrer subjectiven sittlichen Willkür überlassenes. Niemand war davon
ausgenommen; die vornehmsten und berühmtesten Männer des Staates, die
fungirenden Magistrate selbst waren ihm ebenso unterworfen, wie der geringste
Bürger. Alle Handlungen, die gegen die Sitte der Vorfahren, gegen die all¬
gemeine Sittlichkeit verstießen, namentlich solche, die kein ausdrückliches Ge¬
setz der Verantwortung unterwarf oder bei denen der Ankläger fehlte, wurden
vor ihren Richterstuhl gezogen. Dabei folgten sie ohne eigene Verantwortlich¬
keit lediglich ihrer iiwern Ueberzeugung, nachdem sie beim Antritte ihres
achtzehnmonatlichen Amtes geschworen hatten, sich weder durch Haß noch durch
Gunst in ihren Urtheilen, die theils auf Rüge, theils auf bürgerliche Degra¬
dation lauteten, bestimmen zu lassen. Diese große Gewalt wurde gegen das
Ende der Republik sehr geschmälert und endlich nebst der tribunicischen und
proconsularischen der kaiserlichen Machtvollkommenheit einverleibt. Ueberhaupt
änderte sich schon unter Augustus die Polizeiverwaltung durch mannigfaltige
Reformen und näherte sich schon bedeutend ihrem späteren Begriffe. Nach Ein-
theilung der Hauptstadt in 14 Regionen mußten die Aedilen ihre Befugnisse
mit den Prätoren und Volkstribunen theilen und sanken überhaupt zu Unter¬
beamten des neu ernannten Stadtpräfecten herab, der als oberster Polizeichef
nicht nur für Ruhe und Ordnung der Stadt im allgemeinen Sorge zu tragen
hatte, sondern auch die einzelnen Zweige der Polizei concentrirte. Außerdem
ist noch für die einzelnen Formen der römischen Polizei zu bemerken, daß ge¬
mäß der Hinneigung des Volkes zur Ausbildung des abstracten Rechtes, hier
die Beamten größtentheils nach gesetzlichen Jnstructionen handelten, die sie zum
Theil selbst beim Anfange ihres Amtes publizirten und die zugleich die Straf¬
bestimmungen enthielten. Vor das Kriminalgericht gehörten alle Handlungen,
welche die Sicherheit und Ruhe störten, wie das Tragen und Anhäufen von
Waffen in höflicher Absicht. Zusammenrottungen und nächtliche Versammlun¬
gen. Auch Zünfte, Genossenschaften aller Art, und besonders politische Re-
unions standen unter Controle der Konsuln, Quästoren und Aedilen; letztere
wurden oft verboten und wieder erlaubt, zum letzten Male vom Kaiser Cali-
gula. nachdem derselbe in einem Anfluge von Liberalismus auch die Wahl¬
freiheit dem Volke zurückgegeben hatte. Auch gegen die Zauberei, insofern
sie den Staat oder die Religion gefährdete oder den Bürger an Leib und
Vermögen schädigte, trat die römische Polizei strenger auf als die griechische.
Während der Areopag einst eine Frau, die einen Mann durch einen Liebes¬
trank vergiftet hatte, frei sprach, weil sie nicht die Absicht der Tödtung
gehabt, wurden unter manchen Kaisern die Zaubermeister und deren Kunden
hingerichtet. Der Glaube an die Möglichkeit, die Saaten zu behexen und
fremdes Getreide auf seinen Acker herüber zu zaubern, führte zu einem Verbote


richteramt des Areopags. Und zwar war ihr Strafrecht ein sehr allgemeines,
ganz ihrer subjectiven sittlichen Willkür überlassenes. Niemand war davon
ausgenommen; die vornehmsten und berühmtesten Männer des Staates, die
fungirenden Magistrate selbst waren ihm ebenso unterworfen, wie der geringste
Bürger. Alle Handlungen, die gegen die Sitte der Vorfahren, gegen die all¬
gemeine Sittlichkeit verstießen, namentlich solche, die kein ausdrückliches Ge¬
setz der Verantwortung unterwarf oder bei denen der Ankläger fehlte, wurden
vor ihren Richterstuhl gezogen. Dabei folgten sie ohne eigene Verantwortlich¬
keit lediglich ihrer iiwern Ueberzeugung, nachdem sie beim Antritte ihres
achtzehnmonatlichen Amtes geschworen hatten, sich weder durch Haß noch durch
Gunst in ihren Urtheilen, die theils auf Rüge, theils auf bürgerliche Degra¬
dation lauteten, bestimmen zu lassen. Diese große Gewalt wurde gegen das
Ende der Republik sehr geschmälert und endlich nebst der tribunicischen und
proconsularischen der kaiserlichen Machtvollkommenheit einverleibt. Ueberhaupt
änderte sich schon unter Augustus die Polizeiverwaltung durch mannigfaltige
Reformen und näherte sich schon bedeutend ihrem späteren Begriffe. Nach Ein-
theilung der Hauptstadt in 14 Regionen mußten die Aedilen ihre Befugnisse
mit den Prätoren und Volkstribunen theilen und sanken überhaupt zu Unter¬
beamten des neu ernannten Stadtpräfecten herab, der als oberster Polizeichef
nicht nur für Ruhe und Ordnung der Stadt im allgemeinen Sorge zu tragen
hatte, sondern auch die einzelnen Zweige der Polizei concentrirte. Außerdem
ist noch für die einzelnen Formen der römischen Polizei zu bemerken, daß ge¬
mäß der Hinneigung des Volkes zur Ausbildung des abstracten Rechtes, hier
die Beamten größtentheils nach gesetzlichen Jnstructionen handelten, die sie zum
Theil selbst beim Anfange ihres Amtes publizirten und die zugleich die Straf¬
bestimmungen enthielten. Vor das Kriminalgericht gehörten alle Handlungen,
welche die Sicherheit und Ruhe störten, wie das Tragen und Anhäufen von
Waffen in höflicher Absicht. Zusammenrottungen und nächtliche Versammlun¬
gen. Auch Zünfte, Genossenschaften aller Art, und besonders politische Re-
unions standen unter Controle der Konsuln, Quästoren und Aedilen; letztere
wurden oft verboten und wieder erlaubt, zum letzten Male vom Kaiser Cali-
gula. nachdem derselbe in einem Anfluge von Liberalismus auch die Wahl¬
freiheit dem Volke zurückgegeben hatte. Auch gegen die Zauberei, insofern
sie den Staat oder die Religion gefährdete oder den Bürger an Leib und
Vermögen schädigte, trat die römische Polizei strenger auf als die griechische.
Während der Areopag einst eine Frau, die einen Mann durch einen Liebes¬
trank vergiftet hatte, frei sprach, weil sie nicht die Absicht der Tödtung
gehabt, wurden unter manchen Kaisern die Zaubermeister und deren Kunden
hingerichtet. Der Glaube an die Möglichkeit, die Saaten zu behexen und
fremdes Getreide auf seinen Acker herüber zu zaubern, führte zu einem Verbote


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0380" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/110186"/>
          <p xml:id="ID_1107" prev="#ID_1106" next="#ID_1108"> richteramt des Areopags. Und zwar war ihr Strafrecht ein sehr allgemeines,<lb/>
ganz ihrer subjectiven sittlichen Willkür überlassenes. Niemand war davon<lb/>
ausgenommen; die vornehmsten und berühmtesten Männer des Staates, die<lb/>
fungirenden Magistrate selbst waren ihm ebenso unterworfen, wie der geringste<lb/>
Bürger. Alle Handlungen, die gegen die Sitte der Vorfahren, gegen die all¬<lb/>
gemeine Sittlichkeit verstießen, namentlich solche, die kein ausdrückliches Ge¬<lb/>
setz der Verantwortung unterwarf oder bei denen der Ankläger fehlte, wurden<lb/>
vor ihren Richterstuhl gezogen. Dabei folgten sie ohne eigene Verantwortlich¬<lb/>
keit lediglich ihrer iiwern Ueberzeugung, nachdem sie beim Antritte ihres<lb/>
achtzehnmonatlichen Amtes geschworen hatten, sich weder durch Haß noch durch<lb/>
Gunst in ihren Urtheilen, die theils auf Rüge, theils auf bürgerliche Degra¬<lb/>
dation lauteten, bestimmen zu lassen. Diese große Gewalt wurde gegen das<lb/>
Ende der Republik sehr geschmälert und endlich nebst der tribunicischen und<lb/>
proconsularischen der kaiserlichen Machtvollkommenheit einverleibt. Ueberhaupt<lb/>
änderte sich schon unter Augustus die Polizeiverwaltung durch mannigfaltige<lb/>
Reformen und näherte sich schon bedeutend ihrem späteren Begriffe. Nach Ein-<lb/>
theilung der Hauptstadt in 14 Regionen mußten die Aedilen ihre Befugnisse<lb/>
mit den Prätoren und Volkstribunen theilen und sanken überhaupt zu Unter¬<lb/>
beamten des neu ernannten Stadtpräfecten herab, der als oberster Polizeichef<lb/>
nicht nur für Ruhe und Ordnung der Stadt im allgemeinen Sorge zu tragen<lb/>
hatte, sondern auch die einzelnen Zweige der Polizei concentrirte. Außerdem<lb/>
ist noch für die einzelnen Formen der römischen Polizei zu bemerken, daß ge¬<lb/>
mäß der Hinneigung des Volkes zur Ausbildung des abstracten Rechtes, hier<lb/>
die Beamten größtentheils nach gesetzlichen Jnstructionen handelten, die sie zum<lb/>
Theil selbst beim Anfange ihres Amtes publizirten und die zugleich die Straf¬<lb/>
bestimmungen enthielten. Vor das Kriminalgericht gehörten alle Handlungen,<lb/>
welche die Sicherheit und Ruhe störten, wie das Tragen und Anhäufen von<lb/>
Waffen in höflicher Absicht. Zusammenrottungen und nächtliche Versammlun¬<lb/>
gen. Auch Zünfte, Genossenschaften aller Art, und besonders politische Re-<lb/>
unions standen unter Controle der Konsuln, Quästoren und Aedilen; letztere<lb/>
wurden oft verboten und wieder erlaubt, zum letzten Male vom Kaiser Cali-<lb/>
gula. nachdem derselbe in einem Anfluge von Liberalismus auch die Wahl¬<lb/>
freiheit dem Volke zurückgegeben hatte. Auch gegen die Zauberei, insofern<lb/>
sie den Staat oder die Religion gefährdete oder den Bürger an Leib und<lb/>
Vermögen schädigte, trat die römische Polizei strenger auf als die griechische.<lb/>
Während der Areopag einst eine Frau, die einen Mann durch einen Liebes¬<lb/>
trank vergiftet hatte, frei sprach, weil sie nicht die Absicht der Tödtung<lb/>
gehabt, wurden unter manchen Kaisern die Zaubermeister und deren Kunden<lb/>
hingerichtet. Der Glaube an die Möglichkeit, die Saaten zu behexen und<lb/>
fremdes Getreide auf seinen Acker herüber zu zaubern, führte zu einem Verbote</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0380] richteramt des Areopags. Und zwar war ihr Strafrecht ein sehr allgemeines, ganz ihrer subjectiven sittlichen Willkür überlassenes. Niemand war davon ausgenommen; die vornehmsten und berühmtesten Männer des Staates, die fungirenden Magistrate selbst waren ihm ebenso unterworfen, wie der geringste Bürger. Alle Handlungen, die gegen die Sitte der Vorfahren, gegen die all¬ gemeine Sittlichkeit verstießen, namentlich solche, die kein ausdrückliches Ge¬ setz der Verantwortung unterwarf oder bei denen der Ankläger fehlte, wurden vor ihren Richterstuhl gezogen. Dabei folgten sie ohne eigene Verantwortlich¬ keit lediglich ihrer iiwern Ueberzeugung, nachdem sie beim Antritte ihres achtzehnmonatlichen Amtes geschworen hatten, sich weder durch Haß noch durch Gunst in ihren Urtheilen, die theils auf Rüge, theils auf bürgerliche Degra¬ dation lauteten, bestimmen zu lassen. Diese große Gewalt wurde gegen das Ende der Republik sehr geschmälert und endlich nebst der tribunicischen und proconsularischen der kaiserlichen Machtvollkommenheit einverleibt. Ueberhaupt änderte sich schon unter Augustus die Polizeiverwaltung durch mannigfaltige Reformen und näherte sich schon bedeutend ihrem späteren Begriffe. Nach Ein- theilung der Hauptstadt in 14 Regionen mußten die Aedilen ihre Befugnisse mit den Prätoren und Volkstribunen theilen und sanken überhaupt zu Unter¬ beamten des neu ernannten Stadtpräfecten herab, der als oberster Polizeichef nicht nur für Ruhe und Ordnung der Stadt im allgemeinen Sorge zu tragen hatte, sondern auch die einzelnen Zweige der Polizei concentrirte. Außerdem ist noch für die einzelnen Formen der römischen Polizei zu bemerken, daß ge¬ mäß der Hinneigung des Volkes zur Ausbildung des abstracten Rechtes, hier die Beamten größtentheils nach gesetzlichen Jnstructionen handelten, die sie zum Theil selbst beim Anfange ihres Amtes publizirten und die zugleich die Straf¬ bestimmungen enthielten. Vor das Kriminalgericht gehörten alle Handlungen, welche die Sicherheit und Ruhe störten, wie das Tragen und Anhäufen von Waffen in höflicher Absicht. Zusammenrottungen und nächtliche Versammlun¬ gen. Auch Zünfte, Genossenschaften aller Art, und besonders politische Re- unions standen unter Controle der Konsuln, Quästoren und Aedilen; letztere wurden oft verboten und wieder erlaubt, zum letzten Male vom Kaiser Cali- gula. nachdem derselbe in einem Anfluge von Liberalismus auch die Wahl¬ freiheit dem Volke zurückgegeben hatte. Auch gegen die Zauberei, insofern sie den Staat oder die Religion gefährdete oder den Bürger an Leib und Vermögen schädigte, trat die römische Polizei strenger auf als die griechische. Während der Areopag einst eine Frau, die einen Mann durch einen Liebes¬ trank vergiftet hatte, frei sprach, weil sie nicht die Absicht der Tödtung gehabt, wurden unter manchen Kaisern die Zaubermeister und deren Kunden hingerichtet. Der Glaube an die Möglichkeit, die Saaten zu behexen und fremdes Getreide auf seinen Acker herüber zu zaubern, führte zu einem Verbote

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341594_109805
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341594_109805/380
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 19, 1860, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341594_109805/380>, abgerufen am 25.07.2024.