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Die Grenzboten. Jg. 19, 1860, II. Semester. III. Band.

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vom Staate unangetastet, wenn auch nicht immer von Seiten der habgierigen
Zollbeamten. Dagegen hat die jüngere Tyrannis, das Resultat der sittlichen
und politischen Entartung des Hellenismus, diese unsauberen Mittel nicht ver¬
schmäht. So schickten die sicilischen Könige, besonders Hiero der Erste von
Syrakus, Horcher zu den Gastmählern. Die beste Polizei aber übte gewiß der von
Aelian erwähnte Tyrann Tryzus, welcher, um geheime Umtriebe zu verhüten,
seinen Unterthanen das Sprechen verbot und als sie sich nun durch Geberden
zu verständigen suchten, auch diese untersagte. Man gehorchte; aber als einst
aus dem Markte der allgemeine Schmerz sich in Thränen auflöste und der
Tyrann auch diesen zu wehren suchte, brach ein Aufstand los und er wurde
ermordet. -- In Athen duldete man dagegen sogar geheime politische Gesell¬
schaften, die in Rom stets verboten waren. Sie bildeten sich zur Zeit der
unumschränkten Demokratie unter dem unverdächtigen Namen von "Kamerad¬
schaften" (Hetärieen), standen unter Leitung eines Oberhauptes und banden
ihre Mitglieder durch den Eid. Diese meist oligarchischen und reactionären
Clubs nahmen bald eine dem Bestehenden feindselige, hochverräterische Ten¬
denz an und trugen durch die Gewissenlosigkeit ihres Egoismus viel zum Unter¬
gange des Staats bei.

Noch ist zu bemerken, daß die erwähnten Behörden in der Ausübung
ihrer polizeilichen Funktionen durch eine aus 1000 Bogenschützen bestehende
Stadtwache unterstützt wurden. Diese waren öffentliche Sclaven, hießen
Scythen, ohne es der Mehrzahl nach zu sein (wie die Petersburger Garde¬
kosaken und die pariser Zuaven!) und campirten unter Zelten mitten auf dem
Markte, später auf dem Areopag.

Auch bei den Römern findet sich, wenigstens zur Zeit der Republik, kein
unserer Polizei ähnliches Institut. Theils gehörte sie, wie bei den Griechen
in den Geschäftskreis verschiedener Beamten, theils wurde sie unter den For¬
men des Civil- und Criminialprocesscs geübt, theils siel sie dem Familienge¬
richt und dem Hausvater anheim, der vermöge des ihm zustehenden weit
ausgedehnten Zucht- und Strafrechtes in manchen Fällen den auf der That
ertappten Schuldigen sogar zu tödten berechtigt war. Die Hauptgeschäfte
unserer Polizei verwalteten in Rom die Aedilen und Censoren, in den
Provinzen die Statthalter und Municipalädilen. Die Aedilen entsprechen in
ihren Functionen am meisten den griechischen Astynomen; nur daß man sich
die Befugnisse der Agorcmomen, Sitophylaken, und die Verpflichtung zur An¬
stellung der öffentlichen Spiele hinzuzudenken hat. Es wurden jährlich vier,
nach Cäsar'sechs Aedilen gewählt. Das ehrwürdige. Hochangesehne Amt der
Censur dagegen findet in Griechenland keine Analogie; denn die beiden Cen¬
soren vereinigten mit der obersten Finanzverwaltung und der Einweisung der
Bürger in den Staatsorganismus nach dem Vermögen das oberste Sitten-


vom Staate unangetastet, wenn auch nicht immer von Seiten der habgierigen
Zollbeamten. Dagegen hat die jüngere Tyrannis, das Resultat der sittlichen
und politischen Entartung des Hellenismus, diese unsauberen Mittel nicht ver¬
schmäht. So schickten die sicilischen Könige, besonders Hiero der Erste von
Syrakus, Horcher zu den Gastmählern. Die beste Polizei aber übte gewiß der von
Aelian erwähnte Tyrann Tryzus, welcher, um geheime Umtriebe zu verhüten,
seinen Unterthanen das Sprechen verbot und als sie sich nun durch Geberden
zu verständigen suchten, auch diese untersagte. Man gehorchte; aber als einst
aus dem Markte der allgemeine Schmerz sich in Thränen auflöste und der
Tyrann auch diesen zu wehren suchte, brach ein Aufstand los und er wurde
ermordet. — In Athen duldete man dagegen sogar geheime politische Gesell¬
schaften, die in Rom stets verboten waren. Sie bildeten sich zur Zeit der
unumschränkten Demokratie unter dem unverdächtigen Namen von „Kamerad¬
schaften" (Hetärieen), standen unter Leitung eines Oberhauptes und banden
ihre Mitglieder durch den Eid. Diese meist oligarchischen und reactionären
Clubs nahmen bald eine dem Bestehenden feindselige, hochverräterische Ten¬
denz an und trugen durch die Gewissenlosigkeit ihres Egoismus viel zum Unter¬
gange des Staats bei.

Noch ist zu bemerken, daß die erwähnten Behörden in der Ausübung
ihrer polizeilichen Funktionen durch eine aus 1000 Bogenschützen bestehende
Stadtwache unterstützt wurden. Diese waren öffentliche Sclaven, hießen
Scythen, ohne es der Mehrzahl nach zu sein (wie die Petersburger Garde¬
kosaken und die pariser Zuaven!) und campirten unter Zelten mitten auf dem
Markte, später auf dem Areopag.

Auch bei den Römern findet sich, wenigstens zur Zeit der Republik, kein
unserer Polizei ähnliches Institut. Theils gehörte sie, wie bei den Griechen
in den Geschäftskreis verschiedener Beamten, theils wurde sie unter den For¬
men des Civil- und Criminialprocesscs geübt, theils siel sie dem Familienge¬
richt und dem Hausvater anheim, der vermöge des ihm zustehenden weit
ausgedehnten Zucht- und Strafrechtes in manchen Fällen den auf der That
ertappten Schuldigen sogar zu tödten berechtigt war. Die Hauptgeschäfte
unserer Polizei verwalteten in Rom die Aedilen und Censoren, in den
Provinzen die Statthalter und Municipalädilen. Die Aedilen entsprechen in
ihren Functionen am meisten den griechischen Astynomen; nur daß man sich
die Befugnisse der Agorcmomen, Sitophylaken, und die Verpflichtung zur An¬
stellung der öffentlichen Spiele hinzuzudenken hat. Es wurden jährlich vier,
nach Cäsar'sechs Aedilen gewählt. Das ehrwürdige. Hochangesehne Amt der
Censur dagegen findet in Griechenland keine Analogie; denn die beiden Cen¬
soren vereinigten mit der obersten Finanzverwaltung und der Einweisung der
Bürger in den Staatsorganismus nach dem Vermögen das oberste Sitten-


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[0379] vom Staate unangetastet, wenn auch nicht immer von Seiten der habgierigen Zollbeamten. Dagegen hat die jüngere Tyrannis, das Resultat der sittlichen und politischen Entartung des Hellenismus, diese unsauberen Mittel nicht ver¬ schmäht. So schickten die sicilischen Könige, besonders Hiero der Erste von Syrakus, Horcher zu den Gastmählern. Die beste Polizei aber übte gewiß der von Aelian erwähnte Tyrann Tryzus, welcher, um geheime Umtriebe zu verhüten, seinen Unterthanen das Sprechen verbot und als sie sich nun durch Geberden zu verständigen suchten, auch diese untersagte. Man gehorchte; aber als einst aus dem Markte der allgemeine Schmerz sich in Thränen auflöste und der Tyrann auch diesen zu wehren suchte, brach ein Aufstand los und er wurde ermordet. — In Athen duldete man dagegen sogar geheime politische Gesell¬ schaften, die in Rom stets verboten waren. Sie bildeten sich zur Zeit der unumschränkten Demokratie unter dem unverdächtigen Namen von „Kamerad¬ schaften" (Hetärieen), standen unter Leitung eines Oberhauptes und banden ihre Mitglieder durch den Eid. Diese meist oligarchischen und reactionären Clubs nahmen bald eine dem Bestehenden feindselige, hochverräterische Ten¬ denz an und trugen durch die Gewissenlosigkeit ihres Egoismus viel zum Unter¬ gange des Staats bei. Noch ist zu bemerken, daß die erwähnten Behörden in der Ausübung ihrer polizeilichen Funktionen durch eine aus 1000 Bogenschützen bestehende Stadtwache unterstützt wurden. Diese waren öffentliche Sclaven, hießen Scythen, ohne es der Mehrzahl nach zu sein (wie die Petersburger Garde¬ kosaken und die pariser Zuaven!) und campirten unter Zelten mitten auf dem Markte, später auf dem Areopag. Auch bei den Römern findet sich, wenigstens zur Zeit der Republik, kein unserer Polizei ähnliches Institut. Theils gehörte sie, wie bei den Griechen in den Geschäftskreis verschiedener Beamten, theils wurde sie unter den For¬ men des Civil- und Criminialprocesscs geübt, theils siel sie dem Familienge¬ richt und dem Hausvater anheim, der vermöge des ihm zustehenden weit ausgedehnten Zucht- und Strafrechtes in manchen Fällen den auf der That ertappten Schuldigen sogar zu tödten berechtigt war. Die Hauptgeschäfte unserer Polizei verwalteten in Rom die Aedilen und Censoren, in den Provinzen die Statthalter und Municipalädilen. Die Aedilen entsprechen in ihren Functionen am meisten den griechischen Astynomen; nur daß man sich die Befugnisse der Agorcmomen, Sitophylaken, und die Verpflichtung zur An¬ stellung der öffentlichen Spiele hinzuzudenken hat. Es wurden jährlich vier, nach Cäsar'sechs Aedilen gewählt. Das ehrwürdige. Hochangesehne Amt der Censur dagegen findet in Griechenland keine Analogie; denn die beiden Cen¬ soren vereinigten mit der obersten Finanzverwaltung und der Einweisung der Bürger in den Staatsorganismus nach dem Vermögen das oberste Sitten-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 19, 1860, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341594_109805/379>, abgerufen am 25.07.2024.