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Die Grenzboten. Jg. 19, 1860, II. Semester. III. Band.

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Urtheil? -- Um es genauer zu prüfen, muß man untersuchen, was das Wort
Glauben bedeutet.

Glaube drückt zweierlei aus: eine Kraft und eine Schwäche. -- Wenn
Luther gleich Jak.ob im heißen Gebet mit Gott ringt, ihn nöthigt ihm Rede
zu stehn, und als das Resultat dieses harten und qualvollen Kampfes die
feste Zuversicht mit sich nimmt, die ihn unerbittlich macht gegen das Mitleid,
unerschrocken gegen die Drohungen der Fürsten und gegen die Anfechtungen
des Teufels, und ihn zu der welthistorischen Rolle befähigt, die er wirklich
durchgeführt hat. so ist das eine Kraft des Glaubens. Wenn Z. I. Moser
in gleicher Weise Gott zwingt, das Weltgericht zu anticipiren und ihm die
Begnadigung für seine Sünden im Voraus zu ertheilen, um dann mit sich
selbst im Reinen zu sein, so ist auch das, wenn auch nur im geringern
Maße. Kraft des Glaubens. Ja wen" Lavater, der den Glauben selbst nicht
hat, doch so fest daran glaubt, durch den Glauben Gott zwingen zu können,
und nun unablässig nach dem Glauben sucht, so ist auch da noch eine ge¬
wisse Spur von Kraft. Diesen Glauben meinte Luther, wenn er lehrte: der
Glaube macht selig, nicht die Werke. Fasten, Almosen geben, und die son¬
stigen gute Werke, sind nützlich, aber die Seligkeit können sie nicht geben, die
Seligkeit wird nicht geschenkt, nicht erkauft, sie muß im harten Kampf mit
Gott erworben werde"; und diese Willenskraft, durch welche wir Gott be¬
zwingen, heißt der Glaube.

So dachte Luther. Anders faßten seine nächsten Nachfolger den Glauben
auf. Glaube" heißt im gemeinen Leben, etwas für wahr halten was man
nicht weiß, und der Glaube, durch den diese Lutheraner von der stritten Ob-
servanz selig zu werden hofften, bestand darin, daß sie alle Sprüche der Bibel
rend alle Punkte des Katechismus für wahr erklärten und Jeden verdammten,
der sie anfocht. Sich selbst legten sie als Glaubenspflicht auf, nicht gegen
den Katechismus zu raisonniren, sondern alle Punkte desselben so oft und so
laut als möglich zu wiederholen, ihren Schafen legten sie die Pflicht auf,
nicht gegen ihre Hirten zu raisonniren. Das war nun freilich ein bequemerer
Weg. selig zu werden, als der Weg Luthers; den" zu dieser Art von Glau¬
ben gehört, keine andere Kraft als die. seinem Verstand für einige Zeit Schwei-
gen aufzulegen. Für einige Zeit: denn man glaubt doch nicht fortwährend,
man hat noch andere Dinge zu thun, das Feld zu bestellen, den Lauf der
Sterne zu berechnen, und was es sonst sei. Nur für die Zeiten, wo man
sich mit dem Glauben beschäftigt, wird dem Verstand Schweigen auferlegt.
Dieser Glaub? wird also desto leichter, je unkräftiger der Wille ist.

Glaube ist die Kraft einer dämonischen Natur, Glaube ist die Schwäche
einer unfreien Seele; -- welche von diesen spricht Strauß unserm Zeitalter
ab? -- In Bezug auf die erste könnte er Recht haben; denn eine dämonische


Urtheil? — Um es genauer zu prüfen, muß man untersuchen, was das Wort
Glauben bedeutet.

Glaube drückt zweierlei aus: eine Kraft und eine Schwäche. — Wenn
Luther gleich Jak.ob im heißen Gebet mit Gott ringt, ihn nöthigt ihm Rede
zu stehn, und als das Resultat dieses harten und qualvollen Kampfes die
feste Zuversicht mit sich nimmt, die ihn unerbittlich macht gegen das Mitleid,
unerschrocken gegen die Drohungen der Fürsten und gegen die Anfechtungen
des Teufels, und ihn zu der welthistorischen Rolle befähigt, die er wirklich
durchgeführt hat. so ist das eine Kraft des Glaubens. Wenn Z. I. Moser
in gleicher Weise Gott zwingt, das Weltgericht zu anticipiren und ihm die
Begnadigung für seine Sünden im Voraus zu ertheilen, um dann mit sich
selbst im Reinen zu sein, so ist auch das, wenn auch nur im geringern
Maße. Kraft des Glaubens. Ja wen» Lavater, der den Glauben selbst nicht
hat, doch so fest daran glaubt, durch den Glauben Gott zwingen zu können,
und nun unablässig nach dem Glauben sucht, so ist auch da noch eine ge¬
wisse Spur von Kraft. Diesen Glauben meinte Luther, wenn er lehrte: der
Glaube macht selig, nicht die Werke. Fasten, Almosen geben, und die son¬
stigen gute Werke, sind nützlich, aber die Seligkeit können sie nicht geben, die
Seligkeit wird nicht geschenkt, nicht erkauft, sie muß im harten Kampf mit
Gott erworben werde»; und diese Willenskraft, durch welche wir Gott be¬
zwingen, heißt der Glaube.

So dachte Luther. Anders faßten seine nächsten Nachfolger den Glauben
auf. Glaube» heißt im gemeinen Leben, etwas für wahr halten was man
nicht weiß, und der Glaube, durch den diese Lutheraner von der stritten Ob-
servanz selig zu werden hofften, bestand darin, daß sie alle Sprüche der Bibel
rend alle Punkte des Katechismus für wahr erklärten und Jeden verdammten,
der sie anfocht. Sich selbst legten sie als Glaubenspflicht auf, nicht gegen
den Katechismus zu raisonniren, sondern alle Punkte desselben so oft und so
laut als möglich zu wiederholen, ihren Schafen legten sie die Pflicht auf,
nicht gegen ihre Hirten zu raisonniren. Das war nun freilich ein bequemerer
Weg. selig zu werden, als der Weg Luthers; den» zu dieser Art von Glau¬
ben gehört, keine andere Kraft als die. seinem Verstand für einige Zeit Schwei-
gen aufzulegen. Für einige Zeit: denn man glaubt doch nicht fortwährend,
man hat noch andere Dinge zu thun, das Feld zu bestellen, den Lauf der
Sterne zu berechnen, und was es sonst sei. Nur für die Zeiten, wo man
sich mit dem Glauben beschäftigt, wird dem Verstand Schweigen auferlegt.
Dieser Glaub? wird also desto leichter, je unkräftiger der Wille ist.

Glaube ist die Kraft einer dämonischen Natur, Glaube ist die Schwäche
einer unfreien Seele; — welche von diesen spricht Strauß unserm Zeitalter
ab? — In Bezug auf die erste könnte er Recht haben; denn eine dämonische


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[0363] Urtheil? — Um es genauer zu prüfen, muß man untersuchen, was das Wort Glauben bedeutet. Glaube drückt zweierlei aus: eine Kraft und eine Schwäche. — Wenn Luther gleich Jak.ob im heißen Gebet mit Gott ringt, ihn nöthigt ihm Rede zu stehn, und als das Resultat dieses harten und qualvollen Kampfes die feste Zuversicht mit sich nimmt, die ihn unerbittlich macht gegen das Mitleid, unerschrocken gegen die Drohungen der Fürsten und gegen die Anfechtungen des Teufels, und ihn zu der welthistorischen Rolle befähigt, die er wirklich durchgeführt hat. so ist das eine Kraft des Glaubens. Wenn Z. I. Moser in gleicher Weise Gott zwingt, das Weltgericht zu anticipiren und ihm die Begnadigung für seine Sünden im Voraus zu ertheilen, um dann mit sich selbst im Reinen zu sein, so ist auch das, wenn auch nur im geringern Maße. Kraft des Glaubens. Ja wen» Lavater, der den Glauben selbst nicht hat, doch so fest daran glaubt, durch den Glauben Gott zwingen zu können, und nun unablässig nach dem Glauben sucht, so ist auch da noch eine ge¬ wisse Spur von Kraft. Diesen Glauben meinte Luther, wenn er lehrte: der Glaube macht selig, nicht die Werke. Fasten, Almosen geben, und die son¬ stigen gute Werke, sind nützlich, aber die Seligkeit können sie nicht geben, die Seligkeit wird nicht geschenkt, nicht erkauft, sie muß im harten Kampf mit Gott erworben werde»; und diese Willenskraft, durch welche wir Gott be¬ zwingen, heißt der Glaube. So dachte Luther. Anders faßten seine nächsten Nachfolger den Glauben auf. Glaube» heißt im gemeinen Leben, etwas für wahr halten was man nicht weiß, und der Glaube, durch den diese Lutheraner von der stritten Ob- servanz selig zu werden hofften, bestand darin, daß sie alle Sprüche der Bibel rend alle Punkte des Katechismus für wahr erklärten und Jeden verdammten, der sie anfocht. Sich selbst legten sie als Glaubenspflicht auf, nicht gegen den Katechismus zu raisonniren, sondern alle Punkte desselben so oft und so laut als möglich zu wiederholen, ihren Schafen legten sie die Pflicht auf, nicht gegen ihre Hirten zu raisonniren. Das war nun freilich ein bequemerer Weg. selig zu werden, als der Weg Luthers; den» zu dieser Art von Glau¬ ben gehört, keine andere Kraft als die. seinem Verstand für einige Zeit Schwei- gen aufzulegen. Für einige Zeit: denn man glaubt doch nicht fortwährend, man hat noch andere Dinge zu thun, das Feld zu bestellen, den Lauf der Sterne zu berechnen, und was es sonst sei. Nur für die Zeiten, wo man sich mit dem Glauben beschäftigt, wird dem Verstand Schweigen auferlegt. Dieser Glaub? wird also desto leichter, je unkräftiger der Wille ist. Glaube ist die Kraft einer dämonischen Natur, Glaube ist die Schwäche einer unfreien Seele; — welche von diesen spricht Strauß unserm Zeitalter ab? — In Bezug auf die erste könnte er Recht haben; denn eine dämonische

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 19, 1860, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341594_109805/363>, abgerufen am 25.07.2024.