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Die Grenzboten. Jg. 19, 1860, II. Semester. III. Band.

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gemischt und dann mit zierlichen, ausschließlich zu diesem Behufe dienenden
Schöpflöffeln in die kleinen Likörgläser geschöpft, aus denen er unabänderlich
getrunken wird. Es läßt sich nicht leugnen, daß sowohl die schwere Kost als
auch die feuchte oceanische Luft hier den Genuß geistiger Getränke mehr zum
Bedürfniß machen, als auf dem Festlande oder in südlichen Klimaten. und es
ist eben so gewiß, daß dieses Bedürfniß kaum auf eine angenehmere Weise
befriedigt werden kann, als durch den Toddy.

Was von den Vergnügungen der Engländer öfter gesagt worden ist, daß
sie meistens einen ernsten, lehrhaften Charakter haben, gilt von denen der
Schotten noch in erhöhtem Maße. Sie sind im Grunde nicht sowol Ver¬
gnügungen, als ein Minimum von Wissenschaft. Studium oder Geschäft.
Der Engländer und Schotte verlangt überall etwas Wirkliches, Thatsächliches;
er will' überall geistig beschäftigt und wo möglich belehrt sein. Seine Be¬
lustigungen sind daher nichts weniger als lustig; sie entspringen alle aus dem
Kopfe, nie aus dem Herzen oder gar dem Blute. Da ist keine Spur von der
sinnlichen Ausgelassenheit der romanischen oder slavischen Völker, wie sie sich
in ihren Tänzen ausspricht, oder von dem harmlosen Zeitvertreibe der Deut¬
schen, welcher, wie Goethe von der geselligen Unterhaltung verlangt, wenig
mehr als nichts ist. Wir sind bekanntlich das Volk der Denker xar exeellsriee;
wenn wir spielen, wollen wir uns unserer Gedanken entschlagen und von der
Geistesarbeit ausruhen. Engländer und Schotten denken und grübeln weni¬
ger und haben daher auch zu ihren Spielen noch Denkkraft und Denkiust
übrig. Sie stürzen sich nicht aus der Gedankenüberfruchtung in die Gedanken¬
losigkeit. So erklärt es sich, daß das gedankenschwere Schach ein Lieblings¬
spiel der Engländer und Schotten ist; so geht es zu, daß beide leidenschaftliche
Liebhaber von Vorlesungen und von allen Arten belehrender Schaustellungen
sind. Die durch Vorträge erläuterten Panoramen vom heiligen Lande,
von Acgypten, vom Landwege nach Kalifornien, vom Montblanc und dergl.
sind überall der günstigsten und dauerndsten Aufnahme gewiß. Gegenwärtig
sind die Photographie, welche von Vielen aus Liebhaberei betrieben wird, und
das Stereoskop, für dessen Ausbildung und Bereicherung sogar eigene Zeit¬
schriften bestehen, an der Tagesordnung.

Auch , die auf körperliche Uebung abzielenden Spiele und der sogenannte
Sport sind von diesem Grundcharakter nicht frei. Die ersteren, unter denen
Cricket und das national-schottische Golf obenan stehen, werden in eigenen
Clubs ausgebildet und mit wissenschaftlichem Ernst gepflegt, während der in
Schottland weniger leidenschaftlich betriebene Sport eine vergnügliche Praxis
der Pferde- und Hundewissenschaft ist. So erklärt es sich auch, warum die
Musik, welche sich nicht an den Verstand, sondern an das Gefühl wendet, in
England und Schottland nicht gedeihn will. Das halbträumerische Behagen


gemischt und dann mit zierlichen, ausschließlich zu diesem Behufe dienenden
Schöpflöffeln in die kleinen Likörgläser geschöpft, aus denen er unabänderlich
getrunken wird. Es läßt sich nicht leugnen, daß sowohl die schwere Kost als
auch die feuchte oceanische Luft hier den Genuß geistiger Getränke mehr zum
Bedürfniß machen, als auf dem Festlande oder in südlichen Klimaten. und es
ist eben so gewiß, daß dieses Bedürfniß kaum auf eine angenehmere Weise
befriedigt werden kann, als durch den Toddy.

Was von den Vergnügungen der Engländer öfter gesagt worden ist, daß
sie meistens einen ernsten, lehrhaften Charakter haben, gilt von denen der
Schotten noch in erhöhtem Maße. Sie sind im Grunde nicht sowol Ver¬
gnügungen, als ein Minimum von Wissenschaft. Studium oder Geschäft.
Der Engländer und Schotte verlangt überall etwas Wirkliches, Thatsächliches;
er will' überall geistig beschäftigt und wo möglich belehrt sein. Seine Be¬
lustigungen sind daher nichts weniger als lustig; sie entspringen alle aus dem
Kopfe, nie aus dem Herzen oder gar dem Blute. Da ist keine Spur von der
sinnlichen Ausgelassenheit der romanischen oder slavischen Völker, wie sie sich
in ihren Tänzen ausspricht, oder von dem harmlosen Zeitvertreibe der Deut¬
schen, welcher, wie Goethe von der geselligen Unterhaltung verlangt, wenig
mehr als nichts ist. Wir sind bekanntlich das Volk der Denker xar exeellsriee;
wenn wir spielen, wollen wir uns unserer Gedanken entschlagen und von der
Geistesarbeit ausruhen. Engländer und Schotten denken und grübeln weni¬
ger und haben daher auch zu ihren Spielen noch Denkkraft und Denkiust
übrig. Sie stürzen sich nicht aus der Gedankenüberfruchtung in die Gedanken¬
losigkeit. So erklärt es sich, daß das gedankenschwere Schach ein Lieblings¬
spiel der Engländer und Schotten ist; so geht es zu, daß beide leidenschaftliche
Liebhaber von Vorlesungen und von allen Arten belehrender Schaustellungen
sind. Die durch Vorträge erläuterten Panoramen vom heiligen Lande,
von Acgypten, vom Landwege nach Kalifornien, vom Montblanc und dergl.
sind überall der günstigsten und dauerndsten Aufnahme gewiß. Gegenwärtig
sind die Photographie, welche von Vielen aus Liebhaberei betrieben wird, und
das Stereoskop, für dessen Ausbildung und Bereicherung sogar eigene Zeit¬
schriften bestehen, an der Tagesordnung.

Auch , die auf körperliche Uebung abzielenden Spiele und der sogenannte
Sport sind von diesem Grundcharakter nicht frei. Die ersteren, unter denen
Cricket und das national-schottische Golf obenan stehen, werden in eigenen
Clubs ausgebildet und mit wissenschaftlichem Ernst gepflegt, während der in
Schottland weniger leidenschaftlich betriebene Sport eine vergnügliche Praxis
der Pferde- und Hundewissenschaft ist. So erklärt es sich auch, warum die
Musik, welche sich nicht an den Verstand, sondern an das Gefühl wendet, in
England und Schottland nicht gedeihn will. Das halbträumerische Behagen


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[0355] gemischt und dann mit zierlichen, ausschließlich zu diesem Behufe dienenden Schöpflöffeln in die kleinen Likörgläser geschöpft, aus denen er unabänderlich getrunken wird. Es läßt sich nicht leugnen, daß sowohl die schwere Kost als auch die feuchte oceanische Luft hier den Genuß geistiger Getränke mehr zum Bedürfniß machen, als auf dem Festlande oder in südlichen Klimaten. und es ist eben so gewiß, daß dieses Bedürfniß kaum auf eine angenehmere Weise befriedigt werden kann, als durch den Toddy. Was von den Vergnügungen der Engländer öfter gesagt worden ist, daß sie meistens einen ernsten, lehrhaften Charakter haben, gilt von denen der Schotten noch in erhöhtem Maße. Sie sind im Grunde nicht sowol Ver¬ gnügungen, als ein Minimum von Wissenschaft. Studium oder Geschäft. Der Engländer und Schotte verlangt überall etwas Wirkliches, Thatsächliches; er will' überall geistig beschäftigt und wo möglich belehrt sein. Seine Be¬ lustigungen sind daher nichts weniger als lustig; sie entspringen alle aus dem Kopfe, nie aus dem Herzen oder gar dem Blute. Da ist keine Spur von der sinnlichen Ausgelassenheit der romanischen oder slavischen Völker, wie sie sich in ihren Tänzen ausspricht, oder von dem harmlosen Zeitvertreibe der Deut¬ schen, welcher, wie Goethe von der geselligen Unterhaltung verlangt, wenig mehr als nichts ist. Wir sind bekanntlich das Volk der Denker xar exeellsriee; wenn wir spielen, wollen wir uns unserer Gedanken entschlagen und von der Geistesarbeit ausruhen. Engländer und Schotten denken und grübeln weni¬ ger und haben daher auch zu ihren Spielen noch Denkkraft und Denkiust übrig. Sie stürzen sich nicht aus der Gedankenüberfruchtung in die Gedanken¬ losigkeit. So erklärt es sich, daß das gedankenschwere Schach ein Lieblings¬ spiel der Engländer und Schotten ist; so geht es zu, daß beide leidenschaftliche Liebhaber von Vorlesungen und von allen Arten belehrender Schaustellungen sind. Die durch Vorträge erläuterten Panoramen vom heiligen Lande, von Acgypten, vom Landwege nach Kalifornien, vom Montblanc und dergl. sind überall der günstigsten und dauerndsten Aufnahme gewiß. Gegenwärtig sind die Photographie, welche von Vielen aus Liebhaberei betrieben wird, und das Stereoskop, für dessen Ausbildung und Bereicherung sogar eigene Zeit¬ schriften bestehen, an der Tagesordnung. Auch , die auf körperliche Uebung abzielenden Spiele und der sogenannte Sport sind von diesem Grundcharakter nicht frei. Die ersteren, unter denen Cricket und das national-schottische Golf obenan stehen, werden in eigenen Clubs ausgebildet und mit wissenschaftlichem Ernst gepflegt, während der in Schottland weniger leidenschaftlich betriebene Sport eine vergnügliche Praxis der Pferde- und Hundewissenschaft ist. So erklärt es sich auch, warum die Musik, welche sich nicht an den Verstand, sondern an das Gefühl wendet, in England und Schottland nicht gedeihn will. Das halbträumerische Behagen

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 19, 1860, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341594_109805/355>, abgerufen am 04.07.2024.