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Die Grenzboten. Jg. 19, 1860, II. Semester. III. Band.

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Tafel ausgeschlossen, und es läßt sich danach ermessen, wie sehr die Schotten
unsere deutschen Würste verabscheuen müssen, welche nicht nur vom Schweine
herrühren, sondern großenteils aus Fett und Blut bestehn. Nur Austern
werden roh gegessen, wert sie kein Blut haben; aber auch sie kommen sehr
häufig in irgend einer Gestalt gekocht auf den Tisch.

Die schottische wie die englische Küche hat überhaupt einen dorischen, um
nicht zu sagen cyklopischen Charakter, während die französische dem ionischen
und die deutsche dem attischen Stile entspricht. Den Engländern und Schot¬
ten kommt es nur auf die Nahrhaftigkeit und Güte der Stoffe, den Franzosen
dagegen nur auf die schmackhafte und verfeinerte Zubereitung an. Die hö¬
heren Stände sind jetzt freilich auch hier der Einförmigkeit ihres Roastbeefs
überdrüssig geworden und halten sich meist französische Köche. Namentlich
auf den Herrensitzen herrscht ein großer Luxus in Küche und Keller, während
die bürgerlichen Stände oft mit Mahlzeiten vorlieb nehmen, welche nach deut¬
schen Begriffen kaum den Namen eines Mittagbrotes verdienen. Im Ganzen
genommen haben die Schotten, wie alle Nordländer, die Freuden der Tafel
von jeher um so mehr geliebt, als ihnen andere, geistigere Genüsse wie The¬
ater, Musik und Tanz nur in sehr beschränktem Maße zu Gebote standen,
oder vom Presbyterianismus in die Acht erklärt wurden. Gastmähler bilden
hier den Mittelpunkt der Geselligkeit, und man muß es den Schotten zum
Ruhme nachsagen, daß sie im besten Sinne außerordentlich gastfrei sind. Die
gewöhnliche Tafelstunde ist sechs Uhr. Die Geschäfte des Tages sind alsdann
beendet, und da man Theater oder Concerte nicht besucht, so hat man voll¬
kommen Muße sich dem Mahle zu widmen. Man ißt und trinkt reichlich,
zwar unter Beobachtu,g strengster Etikette, aber man liebt dabei eine unge¬
zwungene und geistreiche Unterhaltung. Bilden doch die sorgfältig ausgezeich¬
neten Tischgespräche (Tnble-Talks) berühmter Männer einen förmlichen Zweig
in der englischen Literatur! Es ist bekannt, daß die Damen nach Tische sich
zurückziehn, während die Herren bei der Flasche und dem Naschwerk sitzen
bleiben. Einer schiebt dem andern die krystallenen Karaffen mit Sherry, Port¬
wein und Burgunder zu, und jetzt ist die Zeit für ernste und heitere Trink¬
sprüche. Etwa um neun Uhr vereinigt man sich im Gesellschaftszimmer wie¬
der mit den Damen, die unterdessen den Thee und Kaffee bereitet haben.
Von einem Abendbrot ist natürlich nicht die Rede. Den Beschluß des Tages
macht endlich nach dem Thee der berühmte Whisky-Punsch (Toddy), den ein¬
zelne Herren schon beim Nachtisch dem Weine vorziehn. Ohne Toddy ist der
Schotte kein Schotte. Der Toddy ist nicht nur eine kastalische Quelle der
schottischen Dichter, sondern auch die wahre schottische Panacee. Er heilt
Kopf-, Zahn-, Brust-, Magen-, und andere Schmerzen. Man bereitet und ge"
nießt ihn daher mit wahrer Andacht; in großen Tummlern wird er regelrecht


Tafel ausgeschlossen, und es läßt sich danach ermessen, wie sehr die Schotten
unsere deutschen Würste verabscheuen müssen, welche nicht nur vom Schweine
herrühren, sondern großenteils aus Fett und Blut bestehn. Nur Austern
werden roh gegessen, wert sie kein Blut haben; aber auch sie kommen sehr
häufig in irgend einer Gestalt gekocht auf den Tisch.

Die schottische wie die englische Küche hat überhaupt einen dorischen, um
nicht zu sagen cyklopischen Charakter, während die französische dem ionischen
und die deutsche dem attischen Stile entspricht. Den Engländern und Schot¬
ten kommt es nur auf die Nahrhaftigkeit und Güte der Stoffe, den Franzosen
dagegen nur auf die schmackhafte und verfeinerte Zubereitung an. Die hö¬
heren Stände sind jetzt freilich auch hier der Einförmigkeit ihres Roastbeefs
überdrüssig geworden und halten sich meist französische Köche. Namentlich
auf den Herrensitzen herrscht ein großer Luxus in Küche und Keller, während
die bürgerlichen Stände oft mit Mahlzeiten vorlieb nehmen, welche nach deut¬
schen Begriffen kaum den Namen eines Mittagbrotes verdienen. Im Ganzen
genommen haben die Schotten, wie alle Nordländer, die Freuden der Tafel
von jeher um so mehr geliebt, als ihnen andere, geistigere Genüsse wie The¬
ater, Musik und Tanz nur in sehr beschränktem Maße zu Gebote standen,
oder vom Presbyterianismus in die Acht erklärt wurden. Gastmähler bilden
hier den Mittelpunkt der Geselligkeit, und man muß es den Schotten zum
Ruhme nachsagen, daß sie im besten Sinne außerordentlich gastfrei sind. Die
gewöhnliche Tafelstunde ist sechs Uhr. Die Geschäfte des Tages sind alsdann
beendet, und da man Theater oder Concerte nicht besucht, so hat man voll¬
kommen Muße sich dem Mahle zu widmen. Man ißt und trinkt reichlich,
zwar unter Beobachtu,g strengster Etikette, aber man liebt dabei eine unge¬
zwungene und geistreiche Unterhaltung. Bilden doch die sorgfältig ausgezeich¬
neten Tischgespräche (Tnble-Talks) berühmter Männer einen förmlichen Zweig
in der englischen Literatur! Es ist bekannt, daß die Damen nach Tische sich
zurückziehn, während die Herren bei der Flasche und dem Naschwerk sitzen
bleiben. Einer schiebt dem andern die krystallenen Karaffen mit Sherry, Port¬
wein und Burgunder zu, und jetzt ist die Zeit für ernste und heitere Trink¬
sprüche. Etwa um neun Uhr vereinigt man sich im Gesellschaftszimmer wie¬
der mit den Damen, die unterdessen den Thee und Kaffee bereitet haben.
Von einem Abendbrot ist natürlich nicht die Rede. Den Beschluß des Tages
macht endlich nach dem Thee der berühmte Whisky-Punsch (Toddy), den ein¬
zelne Herren schon beim Nachtisch dem Weine vorziehn. Ohne Toddy ist der
Schotte kein Schotte. Der Toddy ist nicht nur eine kastalische Quelle der
schottischen Dichter, sondern auch die wahre schottische Panacee. Er heilt
Kopf-, Zahn-, Brust-, Magen-, und andere Schmerzen. Man bereitet und ge«
nießt ihn daher mit wahrer Andacht; in großen Tummlern wird er regelrecht


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[0354] Tafel ausgeschlossen, und es läßt sich danach ermessen, wie sehr die Schotten unsere deutschen Würste verabscheuen müssen, welche nicht nur vom Schweine herrühren, sondern großenteils aus Fett und Blut bestehn. Nur Austern werden roh gegessen, wert sie kein Blut haben; aber auch sie kommen sehr häufig in irgend einer Gestalt gekocht auf den Tisch. Die schottische wie die englische Küche hat überhaupt einen dorischen, um nicht zu sagen cyklopischen Charakter, während die französische dem ionischen und die deutsche dem attischen Stile entspricht. Den Engländern und Schot¬ ten kommt es nur auf die Nahrhaftigkeit und Güte der Stoffe, den Franzosen dagegen nur auf die schmackhafte und verfeinerte Zubereitung an. Die hö¬ heren Stände sind jetzt freilich auch hier der Einförmigkeit ihres Roastbeefs überdrüssig geworden und halten sich meist französische Köche. Namentlich auf den Herrensitzen herrscht ein großer Luxus in Küche und Keller, während die bürgerlichen Stände oft mit Mahlzeiten vorlieb nehmen, welche nach deut¬ schen Begriffen kaum den Namen eines Mittagbrotes verdienen. Im Ganzen genommen haben die Schotten, wie alle Nordländer, die Freuden der Tafel von jeher um so mehr geliebt, als ihnen andere, geistigere Genüsse wie The¬ ater, Musik und Tanz nur in sehr beschränktem Maße zu Gebote standen, oder vom Presbyterianismus in die Acht erklärt wurden. Gastmähler bilden hier den Mittelpunkt der Geselligkeit, und man muß es den Schotten zum Ruhme nachsagen, daß sie im besten Sinne außerordentlich gastfrei sind. Die gewöhnliche Tafelstunde ist sechs Uhr. Die Geschäfte des Tages sind alsdann beendet, und da man Theater oder Concerte nicht besucht, so hat man voll¬ kommen Muße sich dem Mahle zu widmen. Man ißt und trinkt reichlich, zwar unter Beobachtu,g strengster Etikette, aber man liebt dabei eine unge¬ zwungene und geistreiche Unterhaltung. Bilden doch die sorgfältig ausgezeich¬ neten Tischgespräche (Tnble-Talks) berühmter Männer einen förmlichen Zweig in der englischen Literatur! Es ist bekannt, daß die Damen nach Tische sich zurückziehn, während die Herren bei der Flasche und dem Naschwerk sitzen bleiben. Einer schiebt dem andern die krystallenen Karaffen mit Sherry, Port¬ wein und Burgunder zu, und jetzt ist die Zeit für ernste und heitere Trink¬ sprüche. Etwa um neun Uhr vereinigt man sich im Gesellschaftszimmer wie¬ der mit den Damen, die unterdessen den Thee und Kaffee bereitet haben. Von einem Abendbrot ist natürlich nicht die Rede. Den Beschluß des Tages macht endlich nach dem Thee der berühmte Whisky-Punsch (Toddy), den ein¬ zelne Herren schon beim Nachtisch dem Weine vorziehn. Ohne Toddy ist der Schotte kein Schotte. Der Toddy ist nicht nur eine kastalische Quelle der schottischen Dichter, sondern auch die wahre schottische Panacee. Er heilt Kopf-, Zahn-, Brust-, Magen-, und andere Schmerzen. Man bereitet und ge« nießt ihn daher mit wahrer Andacht; in großen Tummlern wird er regelrecht

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 19, 1860, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341594_109805/354>, abgerufen am 04.07.2024.