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Die Grenzboten. Jg. 19, 1860, II. Semester. III. Band.

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Comfort, auf welchen Engländer und Schotten so stolz sind, ist übrigens
ein Vorrecht der höheren Gesellschaftsclassen, während in den mittleren und
unteren Schichten sich oft das gerade Gegentheil findet und die Zimmer mei¬
stens el" kahles und frostiges Aussehn haben. Das rührt hauptsächlich
von der Einfachheit und geringen Zahl der Zimmergeräthe her, indem sich
in den Wohnzimmern des Bürgerstandes z. B. weder Schränke noch Schreib-
oder Nähtische finden. Der Blumenschmuck der Fenster, der uns Deutschen
so lieb und unentbehrlich ist, wird gänzlich vermißt.

Daß die schottische Küche reich um volkstümlichen Besonderheiten ist,
kann uns nicht Wunder nehmen; besitzen doch auch in allen übrigen Ländern
die einzelnen Provinzen ihre eigenthümliche Kochkunst. Es kann nicht unser
Zweck sein, die schottischen Lieblingsgerichte zu beschreiben: die ärmlichen
Haferkuchen, "ach denen Schottland spottweise das "Kuchenland" (Land of
Cakes) genannt wird, die Suppen (Hotchpvtch, der französische Hoche-pot, und
Broth and Kate) die sich hier einer größere" Beliebtheit erfreuen als in Eng¬
land; den Schnfskopf, der kalt am besten schmecken soll; den gefüllten Schafs¬
magen (Haggis), oder den beißenden indischen Currie, womit fast alle Spei¬
sen gewürzt werde". Allein es gibt einen bereits oben angedeuteten
Chnrakterzug der schottischen Küche von viel tieferer Bedeutung, das ist der
Einfluß der Theologie. Das mag übertrieben Hingen, ist es aber keineswegs.
Die Schotte", "amentlich die Hochländer, find nämlich noch immer abgesagte
Feinde des Schweines. Warum? Zunächst weil Moses den Genuß des
Schweinefleisches verboten hat, zweitens aber, weil der von Jesus ausgetrie¬
bene unsaubere Geist in die Säue fuhr. Schon zu den Zeiten der Grenzer-
tampfe mit den Engländer" wurde es als eine außergewöhnliche Naubsucht
angeseh". wenn sich die Grenzer herabließen, anch diese unreinen Thiere als
Beute fortzuschleppen. Von Jakob dem Sechsten erzählt Bau Jonso" ausdrücklich,
daß er nichts vom Schweine liebte. Die Beobachtung der alttestamentlichen
Speisegesetze geht aber noch weiter, indem die Schotten (wie auch die Eng¬
länder) keinerlei rohes Fleisch genießen, das nach ihrer Ansicht keine für einen
Christenmenschen passende Nahrung ist. - Den Juden war es bekanntlich streng
verboten, Blut zu essen, und dieses Verbot wird im neuen Testament wieder¬
holt. Denn mit Blut wurde" ja die Bündnisse der Heiden besiegelt, und
Blut essen war ein heidnischer Greuel; das Blut hielt man für den Sitz der
Seele; das Blut ist endlich das Lösegeld für die Sünde. Moses sagt: Essed
das Fleisch nicht, das "och lebet i" seinem Blute, d. h. so lauge es noch roh
ist, und im dritten Buch Mosis wird wiederholt eingeschärft: Das sei eine
ewige Sitte, daß ihr kein Fett noch Blut esset. Das Fett sehen die Schotten
gegenwärtig im Oel verkörpert, das ihnen deshalb zuwider ist. Auf diese
Weise sind viele gesunde und wohlschmeckende Gerichte von der schottischen


Comfort, auf welchen Engländer und Schotten so stolz sind, ist übrigens
ein Vorrecht der höheren Gesellschaftsclassen, während in den mittleren und
unteren Schichten sich oft das gerade Gegentheil findet und die Zimmer mei¬
stens el» kahles und frostiges Aussehn haben. Das rührt hauptsächlich
von der Einfachheit und geringen Zahl der Zimmergeräthe her, indem sich
in den Wohnzimmern des Bürgerstandes z. B. weder Schränke noch Schreib-
oder Nähtische finden. Der Blumenschmuck der Fenster, der uns Deutschen
so lieb und unentbehrlich ist, wird gänzlich vermißt.

Daß die schottische Küche reich um volkstümlichen Besonderheiten ist,
kann uns nicht Wunder nehmen; besitzen doch auch in allen übrigen Ländern
die einzelnen Provinzen ihre eigenthümliche Kochkunst. Es kann nicht unser
Zweck sein, die schottischen Lieblingsgerichte zu beschreiben: die ärmlichen
Haferkuchen, »ach denen Schottland spottweise das „Kuchenland" (Land of
Cakes) genannt wird, die Suppen (Hotchpvtch, der französische Hoche-pot, und
Broth and Kate) die sich hier einer größere» Beliebtheit erfreuen als in Eng¬
land; den Schnfskopf, der kalt am besten schmecken soll; den gefüllten Schafs¬
magen (Haggis), oder den beißenden indischen Currie, womit fast alle Spei¬
sen gewürzt werde». Allein es gibt einen bereits oben angedeuteten
Chnrakterzug der schottischen Küche von viel tieferer Bedeutung, das ist der
Einfluß der Theologie. Das mag übertrieben Hingen, ist es aber keineswegs.
Die Schotte», »amentlich die Hochländer, find nämlich noch immer abgesagte
Feinde des Schweines. Warum? Zunächst weil Moses den Genuß des
Schweinefleisches verboten hat, zweitens aber, weil der von Jesus ausgetrie¬
bene unsaubere Geist in die Säue fuhr. Schon zu den Zeiten der Grenzer-
tampfe mit den Engländer» wurde es als eine außergewöhnliche Naubsucht
angeseh». wenn sich die Grenzer herabließen, anch diese unreinen Thiere als
Beute fortzuschleppen. Von Jakob dem Sechsten erzählt Bau Jonso» ausdrücklich,
daß er nichts vom Schweine liebte. Die Beobachtung der alttestamentlichen
Speisegesetze geht aber noch weiter, indem die Schotten (wie auch die Eng¬
länder) keinerlei rohes Fleisch genießen, das nach ihrer Ansicht keine für einen
Christenmenschen passende Nahrung ist. - Den Juden war es bekanntlich streng
verboten, Blut zu essen, und dieses Verbot wird im neuen Testament wieder¬
holt. Denn mit Blut wurde« ja die Bündnisse der Heiden besiegelt, und
Blut essen war ein heidnischer Greuel; das Blut hielt man für den Sitz der
Seele; das Blut ist endlich das Lösegeld für die Sünde. Moses sagt: Essed
das Fleisch nicht, das »och lebet i» seinem Blute, d. h. so lauge es noch roh
ist, und im dritten Buch Mosis wird wiederholt eingeschärft: Das sei eine
ewige Sitte, daß ihr kein Fett noch Blut esset. Das Fett sehen die Schotten
gegenwärtig im Oel verkörpert, das ihnen deshalb zuwider ist. Auf diese
Weise sind viele gesunde und wohlschmeckende Gerichte von der schottischen


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[0353] Comfort, auf welchen Engländer und Schotten so stolz sind, ist übrigens ein Vorrecht der höheren Gesellschaftsclassen, während in den mittleren und unteren Schichten sich oft das gerade Gegentheil findet und die Zimmer mei¬ stens el» kahles und frostiges Aussehn haben. Das rührt hauptsächlich von der Einfachheit und geringen Zahl der Zimmergeräthe her, indem sich in den Wohnzimmern des Bürgerstandes z. B. weder Schränke noch Schreib- oder Nähtische finden. Der Blumenschmuck der Fenster, der uns Deutschen so lieb und unentbehrlich ist, wird gänzlich vermißt. Daß die schottische Küche reich um volkstümlichen Besonderheiten ist, kann uns nicht Wunder nehmen; besitzen doch auch in allen übrigen Ländern die einzelnen Provinzen ihre eigenthümliche Kochkunst. Es kann nicht unser Zweck sein, die schottischen Lieblingsgerichte zu beschreiben: die ärmlichen Haferkuchen, »ach denen Schottland spottweise das „Kuchenland" (Land of Cakes) genannt wird, die Suppen (Hotchpvtch, der französische Hoche-pot, und Broth and Kate) die sich hier einer größere» Beliebtheit erfreuen als in Eng¬ land; den Schnfskopf, der kalt am besten schmecken soll; den gefüllten Schafs¬ magen (Haggis), oder den beißenden indischen Currie, womit fast alle Spei¬ sen gewürzt werde». Allein es gibt einen bereits oben angedeuteten Chnrakterzug der schottischen Küche von viel tieferer Bedeutung, das ist der Einfluß der Theologie. Das mag übertrieben Hingen, ist es aber keineswegs. Die Schotte», »amentlich die Hochländer, find nämlich noch immer abgesagte Feinde des Schweines. Warum? Zunächst weil Moses den Genuß des Schweinefleisches verboten hat, zweitens aber, weil der von Jesus ausgetrie¬ bene unsaubere Geist in die Säue fuhr. Schon zu den Zeiten der Grenzer- tampfe mit den Engländer» wurde es als eine außergewöhnliche Naubsucht angeseh». wenn sich die Grenzer herabließen, anch diese unreinen Thiere als Beute fortzuschleppen. Von Jakob dem Sechsten erzählt Bau Jonso» ausdrücklich, daß er nichts vom Schweine liebte. Die Beobachtung der alttestamentlichen Speisegesetze geht aber noch weiter, indem die Schotten (wie auch die Eng¬ länder) keinerlei rohes Fleisch genießen, das nach ihrer Ansicht keine für einen Christenmenschen passende Nahrung ist. - Den Juden war es bekanntlich streng verboten, Blut zu essen, und dieses Verbot wird im neuen Testament wieder¬ holt. Denn mit Blut wurde« ja die Bündnisse der Heiden besiegelt, und Blut essen war ein heidnischer Greuel; das Blut hielt man für den Sitz der Seele; das Blut ist endlich das Lösegeld für die Sünde. Moses sagt: Essed das Fleisch nicht, das »och lebet i» seinem Blute, d. h. so lauge es noch roh ist, und im dritten Buch Mosis wird wiederholt eingeschärft: Das sei eine ewige Sitte, daß ihr kein Fett noch Blut esset. Das Fett sehen die Schotten gegenwärtig im Oel verkörpert, das ihnen deshalb zuwider ist. Auf diese Weise sind viele gesunde und wohlschmeckende Gerichte von der schottischen

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 19, 1860, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341594_109805/353>, abgerufen am 04.07.2024.