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Die Grenzboten. Jg. 19, 1860, II. Semester. III. Band.

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paar Stalle für das noch übrige Vieh aufbaute und kurze Zeit darauf das
Gut. welches ich für 6000 Thlr. erkauft hatte, um 4000 wieder weggab.
Darauf begab ich mich nach der Stadt zurück.

So erzählte der bekehrte Landwirth dem jungen Holländer. Wenige Tage
darauf hatte der Fremde Gelegenheit, aus eigner Anschauung das schlesische
Leben des verarmten Landadels in derselben Gegend selbst zu beobachten.
Ein junger Herr v. K., ein gebildeter und gereifter Cavalier, lud ihn auf das
Gut seiner honetten Aeltern ein und forderte ihn auf, von dort einen Spazier¬
ritt auf ein Nachbargut zu machen, wo eine Taufe gefeiert wurde. Der v. K.
bat unsern Helden, er möchte sichs gefallen lassen für einen Oberstwachtmeister
in holländischen Diensten ausgegeben zu werden, "denn ich weiß," sagte er.
"daß sonst diese adligen Bauern kein Bedenken haben werden, dem Herrn die
letzte Stelle zu geben und ihn nicht im geringsten zu beachten, trotz seiner
Bildung, und obgleich er, ohne arm zu werden, leicht ihre sämmtlichen Güter
bezahlen könnte." Was der Holländer dort beobachtete, erzählt er folgender¬
maßen :

Das Tractament war so beschaffen, daß die Tafel nicht in Gefahr war.
unter den schweren Schüsseln zu brechen, ein gutes Gericht Speisefische in einer
gelben Zwiebelsauce, alle Regalien eines Kalbes, der ganze Inhalt eines
Schweines, soviel Glieder, soviel Speisen, ein paar Gänse und ein paar Ha¬
sen, dazu ein rohes wässeriges Bier, so daß man bei Zeiten den nicht viel
bessern Branntwein zu Hilfe rufen mußte. Dabei aber war diese adlige Ge¬
sellschaft, die aus etlichen zwanzig Personen bestand, rechtschaffen lustig und
das Frauenzimmer viel aufgeweckter, als die gezierten Kaufmannsfrauen des
Stadtadels. Als die Tafel aufgehoben war und ein Theil der Kavaliere nach
ein paar Fibeln lustig umher sprang, ein Theil das Zimmer mit Tabak voll
rauchte, sing die Frau v. R. an: "Ich sehe meine Lust an diesem ausländischen
Cavalier und bin der Hoffnung, daß mein Sohn, der auch Officier ist, an
andern Orten ebenso lieb und werth gehalten wird." -- "Ich, liebste Frau
Schwester," versetzte die Frau Ilse von der B.. "bin ganz anderer Meinung.
Ich könnte nimmermehr so tyrannisch gegen die Meinigen sein, sie unter diese
Kriegsgurgeln zu verstoßen, denn ich höre, daß sie bisweilen schlecht genug zu
essen haben, viele Nächte in kein warmes Bett kommen, und noch dazu Nie¬
mand haben, der ihnen ein Warmbier machte, oder ein Glas Branntwein
brächte. Sollte ich hören, daß meinen Sohn ein langhalsigcr Tartar, wie
ich ihn neulich im Kretschem abgemalt gesehn, gar gefressen hätte, so würde
mich der Kummer auf der Stelle ersticken. Deswegen erachte- ich besser, meinen
Junker Hans Christoph daheim auf dem Gütlein zu erhalten, so gut ich kann.
Zwar muß ich bekennen, daß er mich schon genug gekostet hat, als ich ihn rittermäßig
ausstaffirte; meine zwei besten Kühe gingen damals drauf, und ich konnte den


paar Stalle für das noch übrige Vieh aufbaute und kurze Zeit darauf das
Gut. welches ich für 6000 Thlr. erkauft hatte, um 4000 wieder weggab.
Darauf begab ich mich nach der Stadt zurück.

So erzählte der bekehrte Landwirth dem jungen Holländer. Wenige Tage
darauf hatte der Fremde Gelegenheit, aus eigner Anschauung das schlesische
Leben des verarmten Landadels in derselben Gegend selbst zu beobachten.
Ein junger Herr v. K., ein gebildeter und gereifter Cavalier, lud ihn auf das
Gut seiner honetten Aeltern ein und forderte ihn auf, von dort einen Spazier¬
ritt auf ein Nachbargut zu machen, wo eine Taufe gefeiert wurde. Der v. K.
bat unsern Helden, er möchte sichs gefallen lassen für einen Oberstwachtmeister
in holländischen Diensten ausgegeben zu werden, „denn ich weiß," sagte er.
„daß sonst diese adligen Bauern kein Bedenken haben werden, dem Herrn die
letzte Stelle zu geben und ihn nicht im geringsten zu beachten, trotz seiner
Bildung, und obgleich er, ohne arm zu werden, leicht ihre sämmtlichen Güter
bezahlen könnte." Was der Holländer dort beobachtete, erzählt er folgender¬
maßen :

Das Tractament war so beschaffen, daß die Tafel nicht in Gefahr war.
unter den schweren Schüsseln zu brechen, ein gutes Gericht Speisefische in einer
gelben Zwiebelsauce, alle Regalien eines Kalbes, der ganze Inhalt eines
Schweines, soviel Glieder, soviel Speisen, ein paar Gänse und ein paar Ha¬
sen, dazu ein rohes wässeriges Bier, so daß man bei Zeiten den nicht viel
bessern Branntwein zu Hilfe rufen mußte. Dabei aber war diese adlige Ge¬
sellschaft, die aus etlichen zwanzig Personen bestand, rechtschaffen lustig und
das Frauenzimmer viel aufgeweckter, als die gezierten Kaufmannsfrauen des
Stadtadels. Als die Tafel aufgehoben war und ein Theil der Kavaliere nach
ein paar Fibeln lustig umher sprang, ein Theil das Zimmer mit Tabak voll
rauchte, sing die Frau v. R. an: „Ich sehe meine Lust an diesem ausländischen
Cavalier und bin der Hoffnung, daß mein Sohn, der auch Officier ist, an
andern Orten ebenso lieb und werth gehalten wird." — „Ich, liebste Frau
Schwester," versetzte die Frau Ilse von der B.. „bin ganz anderer Meinung.
Ich könnte nimmermehr so tyrannisch gegen die Meinigen sein, sie unter diese
Kriegsgurgeln zu verstoßen, denn ich höre, daß sie bisweilen schlecht genug zu
essen haben, viele Nächte in kein warmes Bett kommen, und noch dazu Nie¬
mand haben, der ihnen ein Warmbier machte, oder ein Glas Branntwein
brächte. Sollte ich hören, daß meinen Sohn ein langhalsigcr Tartar, wie
ich ihn neulich im Kretschem abgemalt gesehn, gar gefressen hätte, so würde
mich der Kummer auf der Stelle ersticken. Deswegen erachte- ich besser, meinen
Junker Hans Christoph daheim auf dem Gütlein zu erhalten, so gut ich kann.
Zwar muß ich bekennen, daß er mich schon genug gekostet hat, als ich ihn rittermäßig
ausstaffirte; meine zwei besten Kühe gingen damals drauf, und ich konnte den


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 19, 1860, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341594_109805/34>, abgerufen am 24.07.2024.