Die Grenzboten. Jg. 19, 1860, II. Semester. III. Band.betrachten wird, so gebietet die Pflicht der Selbsterhaltung jedem andern Staat So weit vermögen wir den politischen Schritten des berliner Cabinets Aber wie vorsichtig die Staatsmänner Preußens bis hierher gutes Fahr¬ betrachten wird, so gebietet die Pflicht der Selbsterhaltung jedem andern Staat So weit vermögen wir den politischen Schritten des berliner Cabinets Aber wie vorsichtig die Staatsmänner Preußens bis hierher gutes Fahr¬ <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0339" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/110145"/> <p xml:id="ID_1000" prev="#ID_999"> betrachten wird, so gebietet die Pflicht der Selbsterhaltung jedem andern Staat<lb/> sich zu widersetzen. Und vollends Preußen wahrt seine eigne Existenz, wenn es er¬<lb/> klärt, eine neue Einmischung Frankreichs in die italienischen Kämpfe nicht dulden zu<lb/> können. Darin >werden alle Einsichtsvollen aus den am meisten entgegengesetzten<lb/> Parteien in Deutschland übereinstimmen. Auch wer eine schnelle und voll¬<lb/> ständige Einigung Italiens unter der Herrschaft Victor Emanuels für noth¬<lb/> wendig und vorteilhaft hält, wird sich sagen müssen, daß diese Neugestaltung<lb/> nicht erkauft werden dürfe durch neue Abtretungen, durch eine dominirende<lb/> Stellung Frankreichs innerhalb der Halbinsel. Jeder Preuße, auch wer am<lb/> wärmsten wünscht, daß der Einheitsstaat von den Alpen bis zu der Insel des<lb/> Aetna reiche, wird es für einen Nachtheil halten müssen, wenn die Herrschaft<lb/> Oestreichs nur darum beseitigt werden sollte, um eine entsprechende Herrschaft<lb/> Frankreichs an die Stelle zu setzen.</p><lb/> <p xml:id="ID_1001"> So weit vermögen wir den politischen Schritten des berliner Cabinets<lb/> mit Freude und einigen patriotischen Stolz zu folgen. Und von diesem Stand¬<lb/> punkt erscheint uns auch die Ablehnung einer Konferenz über die Savoyer-<lb/> frage durchaus ccmsequent und klug. Denn in der gegenwärtigen Situation<lb/> kann diese Konferenz keinen andern Zweck haben, als die Einverleibung Snvoyens<lb/> in Frankreich durch das Votum Europas zu sanctioniren. Die englische Ne¬<lb/> gierung hat dem berliner Vorschlage gegen diese Einverleibung energisch zu<lb/> Protestiren, in auffallend indiscreter Weise ihre Mitwirkung versagt, und die<lb/> Verstimmung, welche durch diese Weigerung in die freundschaftlichen Bezie¬<lb/> hungen der beiden Cabinete getragen wurde, ist noch nicht ganz geschwunden.<lb/> Eine Protestation Preußens und Oestreichs kann in gegenwärtiger Sachlage<lb/> keine andere Folgen haben, als eine heftige Erbitterung des Kaisers Napo¬<lb/> leon, thatsächlich würde sie der Schweiz nichts nützen; denn es erscheint auch<lb/> im Interesse der Schweiz durchaus nicht wünschenswert!,, die Ansprüche dieses<lb/> Staats an Chablais, Faucigny und halb Genevois durch die unwesentlichen<lb/> Scheinconccssionen Frankreichs zu beseitigen. Aus diesen Gründen ist es po¬<lb/> litisch, einen Congreß nicht zu beschicken, bei welchem die Opposition gegen<lb/> den Kaiser Napoleon keine Aussicht auf großen Erfolg hätte und die Gro߬<lb/> mächte zuletzt nur ihre Siegel aus eine Vergrößerung Frankreichs drücken wür¬<lb/> den, die bei der Persönlichkeit des Kaisers am besten unsicher bleibt, so lange<lb/> es möglich ist.</p><lb/> <p xml:id="ID_1002" next="#ID_1003"> Aber wie vorsichtig die Staatsmänner Preußens bis hierher gutes Fahr¬<lb/> wasser gesunden haben, die italienische Frage bedroht doch mit Gefahren.<lb/> Sie sind an eine Stelle gekommen, wo der Grund unter ihnen unsicher wird,<lb/> und wol ist es jetzt für sie hohe Zeit, auf das Rauschen der öffentlichen Mei¬<lb/> nung und die fern drohende Brandung zu lauschen. Und die deutsche Presse</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0339]
betrachten wird, so gebietet die Pflicht der Selbsterhaltung jedem andern Staat
sich zu widersetzen. Und vollends Preußen wahrt seine eigne Existenz, wenn es er¬
klärt, eine neue Einmischung Frankreichs in die italienischen Kämpfe nicht dulden zu
können. Darin >werden alle Einsichtsvollen aus den am meisten entgegengesetzten
Parteien in Deutschland übereinstimmen. Auch wer eine schnelle und voll¬
ständige Einigung Italiens unter der Herrschaft Victor Emanuels für noth¬
wendig und vorteilhaft hält, wird sich sagen müssen, daß diese Neugestaltung
nicht erkauft werden dürfe durch neue Abtretungen, durch eine dominirende
Stellung Frankreichs innerhalb der Halbinsel. Jeder Preuße, auch wer am
wärmsten wünscht, daß der Einheitsstaat von den Alpen bis zu der Insel des
Aetna reiche, wird es für einen Nachtheil halten müssen, wenn die Herrschaft
Oestreichs nur darum beseitigt werden sollte, um eine entsprechende Herrschaft
Frankreichs an die Stelle zu setzen.
So weit vermögen wir den politischen Schritten des berliner Cabinets
mit Freude und einigen patriotischen Stolz zu folgen. Und von diesem Stand¬
punkt erscheint uns auch die Ablehnung einer Konferenz über die Savoyer-
frage durchaus ccmsequent und klug. Denn in der gegenwärtigen Situation
kann diese Konferenz keinen andern Zweck haben, als die Einverleibung Snvoyens
in Frankreich durch das Votum Europas zu sanctioniren. Die englische Ne¬
gierung hat dem berliner Vorschlage gegen diese Einverleibung energisch zu
Protestiren, in auffallend indiscreter Weise ihre Mitwirkung versagt, und die
Verstimmung, welche durch diese Weigerung in die freundschaftlichen Bezie¬
hungen der beiden Cabinete getragen wurde, ist noch nicht ganz geschwunden.
Eine Protestation Preußens und Oestreichs kann in gegenwärtiger Sachlage
keine andere Folgen haben, als eine heftige Erbitterung des Kaisers Napo¬
leon, thatsächlich würde sie der Schweiz nichts nützen; denn es erscheint auch
im Interesse der Schweiz durchaus nicht wünschenswert!,, die Ansprüche dieses
Staats an Chablais, Faucigny und halb Genevois durch die unwesentlichen
Scheinconccssionen Frankreichs zu beseitigen. Aus diesen Gründen ist es po¬
litisch, einen Congreß nicht zu beschicken, bei welchem die Opposition gegen
den Kaiser Napoleon keine Aussicht auf großen Erfolg hätte und die Gro߬
mächte zuletzt nur ihre Siegel aus eine Vergrößerung Frankreichs drücken wür¬
den, die bei der Persönlichkeit des Kaisers am besten unsicher bleibt, so lange
es möglich ist.
Aber wie vorsichtig die Staatsmänner Preußens bis hierher gutes Fahr¬
wasser gesunden haben, die italienische Frage bedroht doch mit Gefahren.
Sie sind an eine Stelle gekommen, wo der Grund unter ihnen unsicher wird,
und wol ist es jetzt für sie hohe Zeit, auf das Rauschen der öffentlichen Mei¬
nung und die fern drohende Brandung zu lauschen. Und die deutsche Presse
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