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Die Grenzboten. Jg. 19, 1860, II. Semester. III. Band.

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Dann aber sind auch schelmische Liedchen darunter, wie folgendes:

So viele andere Lieder, bald ernst, bald heiter, dann wieder ein auf den
Flachs bezügliches, welches anhebt:

Nach diesem Liede, gewöhnlich in den ersten Nachmittagsstunden, verläßt
die Gesellschaft plötzlich ihre Schwingstöcke und eilt hinaus vor das Gehöft
auf einen Hügel -- wenn kein solcher in der Nähe ist, auf einen Korn- oder
Heubarn oder sonst eine künstliche Erhöhung wo alle gegen Osten gewen¬
det, mit erhobenen Händen dreimal aus voller Brust aufjauchzen. Was das
zu bedeuten, weiß niemand zu sagen. Es ist von Alters her so gebräuchlich
und gehört zum Schwingtag, meinen die Leute. Daß es die Burschen zu dem
am Abend stattfindenden Tanze herbeirufen solle, ist schwerlich die rechte Er¬
klärung, da der Schwingtag wochenlang vorher in der Nachbarschaft angesagt
wird. Wol aber mag hierher bezogen werden, daß einst am Niederrhein auch
in der Walpurgisnacht jenes dreimalige Aufjauchzen Sitte war und daß man
in Westphalen bei den ländlichen Festlichkeiten, mit denen der Frühling be¬
grüßt wurde, dreimal den Namen Herke zu rufen Pflegte, womit zu vergleichen
ist, daß die Schwingtage früher nur an Freitagen gehalten wurden.

Wieder in das Gehöft zurückgekehrt, beginnen die Frauen ihr Schwingen
und Singen von Neuem, und das geht so fort, bis am Abend sich die Manns¬
leute des Ortes einstellen, um an dem dann beginnenden Tanze theilzunehmen
und zuletzt ihr Schätzchen heimzugeleiten. Noch in der zweiten Hälfte des vo¬
rigen Jahrhunderts geschah es dabei nach einem alten Predigtbuche, "daß
die Dorfburschen einen Pferdeschädel mit Katzendärmen überspannten und ne¬
ben dem Hackbrett darauf schnurrten zu teuflischem Halloh und Hopsa." Bei
der Arbeit und später beim Tanze wird ein nur bei dieser Gelegenheit übliches
Getränk, ein Gemisch aus Wein oder Honigwasser mit Anisbranntwein, worin
Pfefferkuchen gebröckelt ist, herumgereicht. Die herkömmlichen Gerichte dazu


Dann aber sind auch schelmische Liedchen darunter, wie folgendes:

So viele andere Lieder, bald ernst, bald heiter, dann wieder ein auf den
Flachs bezügliches, welches anhebt:

Nach diesem Liede, gewöhnlich in den ersten Nachmittagsstunden, verläßt
die Gesellschaft plötzlich ihre Schwingstöcke und eilt hinaus vor das Gehöft
auf einen Hügel — wenn kein solcher in der Nähe ist, auf einen Korn- oder
Heubarn oder sonst eine künstliche Erhöhung wo alle gegen Osten gewen¬
det, mit erhobenen Händen dreimal aus voller Brust aufjauchzen. Was das
zu bedeuten, weiß niemand zu sagen. Es ist von Alters her so gebräuchlich
und gehört zum Schwingtag, meinen die Leute. Daß es die Burschen zu dem
am Abend stattfindenden Tanze herbeirufen solle, ist schwerlich die rechte Er¬
klärung, da der Schwingtag wochenlang vorher in der Nachbarschaft angesagt
wird. Wol aber mag hierher bezogen werden, daß einst am Niederrhein auch
in der Walpurgisnacht jenes dreimalige Aufjauchzen Sitte war und daß man
in Westphalen bei den ländlichen Festlichkeiten, mit denen der Frühling be¬
grüßt wurde, dreimal den Namen Herke zu rufen Pflegte, womit zu vergleichen
ist, daß die Schwingtage früher nur an Freitagen gehalten wurden.

Wieder in das Gehöft zurückgekehrt, beginnen die Frauen ihr Schwingen
und Singen von Neuem, und das geht so fort, bis am Abend sich die Manns¬
leute des Ortes einstellen, um an dem dann beginnenden Tanze theilzunehmen
und zuletzt ihr Schätzchen heimzugeleiten. Noch in der zweiten Hälfte des vo¬
rigen Jahrhunderts geschah es dabei nach einem alten Predigtbuche, „daß
die Dorfburschen einen Pferdeschädel mit Katzendärmen überspannten und ne¬
ben dem Hackbrett darauf schnurrten zu teuflischem Halloh und Hopsa." Bei
der Arbeit und später beim Tanze wird ein nur bei dieser Gelegenheit übliches
Getränk, ein Gemisch aus Wein oder Honigwasser mit Anisbranntwein, worin
Pfefferkuchen gebröckelt ist, herumgereicht. Die herkömmlichen Gerichte dazu


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[0324] Dann aber sind auch schelmische Liedchen darunter, wie folgendes: So viele andere Lieder, bald ernst, bald heiter, dann wieder ein auf den Flachs bezügliches, welches anhebt: Nach diesem Liede, gewöhnlich in den ersten Nachmittagsstunden, verläßt die Gesellschaft plötzlich ihre Schwingstöcke und eilt hinaus vor das Gehöft auf einen Hügel — wenn kein solcher in der Nähe ist, auf einen Korn- oder Heubarn oder sonst eine künstliche Erhöhung wo alle gegen Osten gewen¬ det, mit erhobenen Händen dreimal aus voller Brust aufjauchzen. Was das zu bedeuten, weiß niemand zu sagen. Es ist von Alters her so gebräuchlich und gehört zum Schwingtag, meinen die Leute. Daß es die Burschen zu dem am Abend stattfindenden Tanze herbeirufen solle, ist schwerlich die rechte Er¬ klärung, da der Schwingtag wochenlang vorher in der Nachbarschaft angesagt wird. Wol aber mag hierher bezogen werden, daß einst am Niederrhein auch in der Walpurgisnacht jenes dreimalige Aufjauchzen Sitte war und daß man in Westphalen bei den ländlichen Festlichkeiten, mit denen der Frühling be¬ grüßt wurde, dreimal den Namen Herke zu rufen Pflegte, womit zu vergleichen ist, daß die Schwingtage früher nur an Freitagen gehalten wurden. Wieder in das Gehöft zurückgekehrt, beginnen die Frauen ihr Schwingen und Singen von Neuem, und das geht so fort, bis am Abend sich die Manns¬ leute des Ortes einstellen, um an dem dann beginnenden Tanze theilzunehmen und zuletzt ihr Schätzchen heimzugeleiten. Noch in der zweiten Hälfte des vo¬ rigen Jahrhunderts geschah es dabei nach einem alten Predigtbuche, „daß die Dorfburschen einen Pferdeschädel mit Katzendärmen überspannten und ne¬ ben dem Hackbrett darauf schnurrten zu teuflischem Halloh und Hopsa." Bei der Arbeit und später beim Tanze wird ein nur bei dieser Gelegenheit übliches Getränk, ein Gemisch aus Wein oder Honigwasser mit Anisbranntwein, worin Pfefferkuchen gebröckelt ist, herumgereicht. Die herkömmlichen Gerichte dazu

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 19, 1860, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341594_109805/324>, abgerufen am 04.07.2024.