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Die Grenzboten. Jg. 19, 1860, II. Semester. III. Band.

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man nach den wenigen Reimen, die sie haben, und nach den Assonanzen und
Alüterntionen schließen darf, mit denen sie durchwebt sind.

Nachdem die Schwingerinnen sich vor ihren Schwingstöcken in Reihe
geordnet haben, die klappernde Arbeit ihren Anfang genommen hat, und die
Zungen durch den hierbei reichlich gespendeten Anisbranntwein gelöst sind,
wird der Schwingtag mit einem feierlichen Liede in Molltönen eröffnet, wel¬
ches mit folgender Strophe anhebt:

Das blaue Blümelein ist die Flachsblüte. Die Strophe wird soviele
Mal wiederholt, als Sängerinnen vorhanden sind, und jede Wiederholung
bezeichnet das Haus einer derselben als Ausgangsstelle des Mondes. Dann
folgen die andern hergebrachten Lieder, darunter manche Ballade mit histori¬
schen Motiven. So die Ballade: "Zu Engclheim (Ingelheim) ein Lindenbaum,"
die nur an zwei Stellen Reime hat und die bekannte Geschichte von Eginhard
und Emma, ohne die Liebenden zu nennen, erzählt. So die Sage von Hero
und Leander: "Es waren zwei Edelkönigskinder," und eine Geschichte vom
Pfalzgrafen Heinrich dem Wüthigen, der seine Gemahlin erschlug. Andere
alte in Wort und Weise merkwürdige Lieder, die bei den Schwingtagt"
vorgetragen werden, sind das von der Grafentochter am Rhein, die von einem
Schelm gestohlen und dem König verkauft wird, der sie, nachdem sie bei ihm sieben
Jahr in seinem Schloß gewohnt und sieben Söhne von ihm getragen, einer
Andern wegen verstoßen will, woran er indeß von dieser Andern, die in jener
ihre Schwester entdeckt, verhindert wird, ferner das von der unschuldig wegen
Kindesmord gesenkten und wieder zu Ehren gebrachten Magd zu Frankfurt
(sie war am Galgen von Engeln behütet und mit Speise und Trank versehn
worden), dann die Ballade vom "Abendrcuter" (Abenteurer), einem Grafen¬
sohn aus Straßburg, der seine von den Heiden geraubte Schwester sieben
Jahre lang in aller Welt sucht und sie endlich als Wirthshausmagd in einer
Herberge am Rheine findet, und das von der Königstochter, die mit einem
Spielmann davon läuft.

Einige dieser Gesänge erinnern an die zarten Weisen der Minnesänger,
so z. B.


man nach den wenigen Reimen, die sie haben, und nach den Assonanzen und
Alüterntionen schließen darf, mit denen sie durchwebt sind.

Nachdem die Schwingerinnen sich vor ihren Schwingstöcken in Reihe
geordnet haben, die klappernde Arbeit ihren Anfang genommen hat, und die
Zungen durch den hierbei reichlich gespendeten Anisbranntwein gelöst sind,
wird der Schwingtag mit einem feierlichen Liede in Molltönen eröffnet, wel¬
ches mit folgender Strophe anhebt:

Das blaue Blümelein ist die Flachsblüte. Die Strophe wird soviele
Mal wiederholt, als Sängerinnen vorhanden sind, und jede Wiederholung
bezeichnet das Haus einer derselben als Ausgangsstelle des Mondes. Dann
folgen die andern hergebrachten Lieder, darunter manche Ballade mit histori¬
schen Motiven. So die Ballade: „Zu Engclheim (Ingelheim) ein Lindenbaum,"
die nur an zwei Stellen Reime hat und die bekannte Geschichte von Eginhard
und Emma, ohne die Liebenden zu nennen, erzählt. So die Sage von Hero
und Leander: „Es waren zwei Edelkönigskinder," und eine Geschichte vom
Pfalzgrafen Heinrich dem Wüthigen, der seine Gemahlin erschlug. Andere
alte in Wort und Weise merkwürdige Lieder, die bei den Schwingtagt»
vorgetragen werden, sind das von der Grafentochter am Rhein, die von einem
Schelm gestohlen und dem König verkauft wird, der sie, nachdem sie bei ihm sieben
Jahr in seinem Schloß gewohnt und sieben Söhne von ihm getragen, einer
Andern wegen verstoßen will, woran er indeß von dieser Andern, die in jener
ihre Schwester entdeckt, verhindert wird, ferner das von der unschuldig wegen
Kindesmord gesenkten und wieder zu Ehren gebrachten Magd zu Frankfurt
(sie war am Galgen von Engeln behütet und mit Speise und Trank versehn
worden), dann die Ballade vom „Abendrcuter" (Abenteurer), einem Grafen¬
sohn aus Straßburg, der seine von den Heiden geraubte Schwester sieben
Jahre lang in aller Welt sucht und sie endlich als Wirthshausmagd in einer
Herberge am Rheine findet, und das von der Königstochter, die mit einem
Spielmann davon läuft.

Einige dieser Gesänge erinnern an die zarten Weisen der Minnesänger,
so z. B.


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[0323] man nach den wenigen Reimen, die sie haben, und nach den Assonanzen und Alüterntionen schließen darf, mit denen sie durchwebt sind. Nachdem die Schwingerinnen sich vor ihren Schwingstöcken in Reihe geordnet haben, die klappernde Arbeit ihren Anfang genommen hat, und die Zungen durch den hierbei reichlich gespendeten Anisbranntwein gelöst sind, wird der Schwingtag mit einem feierlichen Liede in Molltönen eröffnet, wel¬ ches mit folgender Strophe anhebt: Das blaue Blümelein ist die Flachsblüte. Die Strophe wird soviele Mal wiederholt, als Sängerinnen vorhanden sind, und jede Wiederholung bezeichnet das Haus einer derselben als Ausgangsstelle des Mondes. Dann folgen die andern hergebrachten Lieder, darunter manche Ballade mit histori¬ schen Motiven. So die Ballade: „Zu Engclheim (Ingelheim) ein Lindenbaum," die nur an zwei Stellen Reime hat und die bekannte Geschichte von Eginhard und Emma, ohne die Liebenden zu nennen, erzählt. So die Sage von Hero und Leander: „Es waren zwei Edelkönigskinder," und eine Geschichte vom Pfalzgrafen Heinrich dem Wüthigen, der seine Gemahlin erschlug. Andere alte in Wort und Weise merkwürdige Lieder, die bei den Schwingtagt» vorgetragen werden, sind das von der Grafentochter am Rhein, die von einem Schelm gestohlen und dem König verkauft wird, der sie, nachdem sie bei ihm sieben Jahr in seinem Schloß gewohnt und sieben Söhne von ihm getragen, einer Andern wegen verstoßen will, woran er indeß von dieser Andern, die in jener ihre Schwester entdeckt, verhindert wird, ferner das von der unschuldig wegen Kindesmord gesenkten und wieder zu Ehren gebrachten Magd zu Frankfurt (sie war am Galgen von Engeln behütet und mit Speise und Trank versehn worden), dann die Ballade vom „Abendrcuter" (Abenteurer), einem Grafen¬ sohn aus Straßburg, der seine von den Heiden geraubte Schwester sieben Jahre lang in aller Welt sucht und sie endlich als Wirthshausmagd in einer Herberge am Rheine findet, und das von der Königstochter, die mit einem Spielmann davon läuft. Einige dieser Gesänge erinnern an die zarten Weisen der Minnesänger, so z. B.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 19, 1860, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341594_109805/323>, abgerufen am 04.07.2024.