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Die Grenzboten. Jg. 19, 1860, II. Semester. III. Band.

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lassen ihn zur Strafe nicht zur Flegelhenke. In Schlath bei Göppingen aber
wirst man die Mockel dem in der Scheuer, der zuerst mit dem Dreschen zu
Stande kommt. Erwischt man hier den Werfer, so wird ihm das Gesicht mit
Ruß geschwärzt.

Sehr ähnliche Sitten beschließen in Norddeutschland die Mühen der
Ernte. Wenn in den westphälischen Dörfern Deckbergen und Kleinbremen das
Korn abgemäht ist, so werfen die Schnitter unter dem Ruf "Wani! Wani!
Wani!" (wol der Rest eines Dankgebetes um Wodan, Wold. Uald, den "Alten")
ihre Mützen empor. In der Gegend von Wert herrscht der Gebrauch, wenn
der Roggen gemäht wird, einen grünen Baum auf dem Felde aufzurichten,
den man den "Hakelmai" oder "Hörkelmai" (eine Erinnerung an Herke'
einen der Namen, unter denen die saatenscgncnde mütterliche Erdgöttin bei
den alten Deutschen verehrt wurde) nennt. Ist dies geschehn, so ziehen die
Schnitter zum Hofe ihres Bauern und beginnen dort ihre Sensen zu streichen,
worauf sich die Wirthin beeilt, ihnen Branntwein herauszubringen, da sie,
wenn dies nicht geschieht, das Recht haben, in den Garten zu gehen und dort
den Kohl abzumähen. Darauf zieht die Gesellschaft wieder auf das Feld
hinaus. Haben die Mädchen die letzte Garbe gebunden, so müssen sie jenen
Baum umreißen, wobei sie sich aber nur der Hände, keiner Werkzeuge bedie¬
nen dürfen. Nachdem dies gelungen, ziehen auch sie nach dem Gehöft ihres
Arbeitgebers, und zwar schreitet dabei eine voran, die einen grünen Kranz auf
ihrer Harke trägt. Leise schleichen sie sich heran. Aber die Wirthin erwartet
sie schon und hat zu ihrem Empfang einen Eimer mit Wasser bereit, welches
sie ihnen entgegengießt. Sie suchen jedoch vorzudringen und namentlich ihr
den Kranz überzuwerfen. Gelingt ihnen dies, so gestattet ihnen das Herkom¬
men, der Frau mit der Harke das Haar zu kämmen. Beim letzten Fuder
wird dann der Wagen mit grünen Büschen geschmückt. Der Hakclmai wird
hinten angebunden, sodaß er nach schleppt, und so geht es mit jubelnden
Halloh heim, wo der Wirth ihnen abermals mit einem Maß Branntwein
entgegentritt.

In Brockhauscn, wo der Hörkelmai ein grüner, mit einem Kranz ge¬
schmückter Weiden- oder Birkenbusch ist, den einer der Schnitter auf den Hos
trügt, heißt es, "de Hörkelmai traf net trog einkommen," und so gießt man
seinem Träger, sobald er die Diele betreten will, einen Eimer Wasser ins Ge¬
sicht, ein Gebrauch, bei dem an das bei den Maifesten verschiedener Gegen¬
den übliche Beziehen mit Wasser und an die Sitte, den Todten Wasser nach¬
zugießen erinnert werden mag.

In der Gegend von Bissendorf und Gesmold, sowie bei Borgloh bindet
man, wenn der Roggen abgemäht ist, zwei Garben mit einem Strohseil zu
einer Puppe zusammen, die man am Ende einer Mandel ausstellt, worauf


lassen ihn zur Strafe nicht zur Flegelhenke. In Schlath bei Göppingen aber
wirst man die Mockel dem in der Scheuer, der zuerst mit dem Dreschen zu
Stande kommt. Erwischt man hier den Werfer, so wird ihm das Gesicht mit
Ruß geschwärzt.

Sehr ähnliche Sitten beschließen in Norddeutschland die Mühen der
Ernte. Wenn in den westphälischen Dörfern Deckbergen und Kleinbremen das
Korn abgemäht ist, so werfen die Schnitter unter dem Ruf „Wani! Wani!
Wani!" (wol der Rest eines Dankgebetes um Wodan, Wold. Uald, den „Alten")
ihre Mützen empor. In der Gegend von Wert herrscht der Gebrauch, wenn
der Roggen gemäht wird, einen grünen Baum auf dem Felde aufzurichten,
den man den „Hakelmai" oder „Hörkelmai" (eine Erinnerung an Herke'
einen der Namen, unter denen die saatenscgncnde mütterliche Erdgöttin bei
den alten Deutschen verehrt wurde) nennt. Ist dies geschehn, so ziehen die
Schnitter zum Hofe ihres Bauern und beginnen dort ihre Sensen zu streichen,
worauf sich die Wirthin beeilt, ihnen Branntwein herauszubringen, da sie,
wenn dies nicht geschieht, das Recht haben, in den Garten zu gehen und dort
den Kohl abzumähen. Darauf zieht die Gesellschaft wieder auf das Feld
hinaus. Haben die Mädchen die letzte Garbe gebunden, so müssen sie jenen
Baum umreißen, wobei sie sich aber nur der Hände, keiner Werkzeuge bedie¬
nen dürfen. Nachdem dies gelungen, ziehen auch sie nach dem Gehöft ihres
Arbeitgebers, und zwar schreitet dabei eine voran, die einen grünen Kranz auf
ihrer Harke trägt. Leise schleichen sie sich heran. Aber die Wirthin erwartet
sie schon und hat zu ihrem Empfang einen Eimer mit Wasser bereit, welches
sie ihnen entgegengießt. Sie suchen jedoch vorzudringen und namentlich ihr
den Kranz überzuwerfen. Gelingt ihnen dies, so gestattet ihnen das Herkom¬
men, der Frau mit der Harke das Haar zu kämmen. Beim letzten Fuder
wird dann der Wagen mit grünen Büschen geschmückt. Der Hakclmai wird
hinten angebunden, sodaß er nach schleppt, und so geht es mit jubelnden
Halloh heim, wo der Wirth ihnen abermals mit einem Maß Branntwein
entgegentritt.

In Brockhauscn, wo der Hörkelmai ein grüner, mit einem Kranz ge¬
schmückter Weiden- oder Birkenbusch ist, den einer der Schnitter auf den Hos
trügt, heißt es, „de Hörkelmai traf net trog einkommen," und so gießt man
seinem Träger, sobald er die Diele betreten will, einen Eimer Wasser ins Ge¬
sicht, ein Gebrauch, bei dem an das bei den Maifesten verschiedener Gegen¬
den übliche Beziehen mit Wasser und an die Sitte, den Todten Wasser nach¬
zugießen erinnert werden mag.

In der Gegend von Bissendorf und Gesmold, sowie bei Borgloh bindet
man, wenn der Roggen abgemäht ist, zwei Garben mit einem Strohseil zu
einer Puppe zusammen, die man am Ende einer Mandel ausstellt, worauf


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 19, 1860, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341594_109805/318>, abgerufen am 25.07.2024.